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Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 9

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Die eulersche Zahl e

Wir besprechen eine Beschreibung der sogenannten eulerschen Zahl .


Die Intervalle , , mit den Grenzen

definieren eine Intervallschachtelung.

Wegen ist klar, dass

ist, sodass also wirklich Intervalle vorliegen.
Um zu zeigen, dass die Intervalle ineinander liegen, zeigen wir, dass die unteren Grenzen wachsend und die oberen Grenzen fallend sind. Wir betrachten zuerst . Aufgrund der Bernoulli-Ungleichung gilt

Dies schreiben wir als

Daraus ergibt sich durch beidseitige Multiplikation mit (es sei .) die Abschätzung

Für die oberen Intervallgrenzen ergibt die Bernoullische Ungleichung die Abschätzung

Daraus folgt

Durch beidseitige Multiplikation mit ergibt sich


Wir betrachten schließlich die Intervalllängen. Diese sind

und konvergieren somit gegen .
  Also liegt insgesamt eine Intervallschachtelung vor.


Durch diese Intervallschachtelung ist aufgrund von Satz 8.12 eindeutig eine reelle Zahl bestimmt.


Die reelle Zahl

heißt Eulersche Zahl.

Ihr numerischer Wert ist

Wir werden bei der Behandlung der Exponentialfunktion auf die eulersche Zahl zurückkommen und eine andere Beschreibung dafür kennenlernen.



Die komplexen Zahlen

In dieser Vorlesung führen wir aufbauend auf die reellen Zahlen die komplexen Zahlen ein. Damit haben wir alle für die Anfängervorlesungen relevanten Zahlbereiche zur Verfügung. Die Konstruktion der reellen Zahlen aus den rationalen Zahlen war einigermaßen kompliziert, obwohl die reellen Zahlen scheinbar vertraut sind. Dagegen ist die Einführung der komplexen Zahlen einfach, obwohl sie zunächst nicht vertraut aussehen.


Die Menge mit und , mit der komponentenweisen Addition und der durch

definierten Multiplikation nennt man Körper der komplexen Zahlen. Er wird mit

bezeichnet.

Die Addition ist also einfach die vektorielle Addition im , während die Multiplikation eine neuartige Verknüpfung ist, die zwar numerisch einfach durchführbar ist, an die man sich aber dennoch gewöhnen muss. Wir werden in Fakt ***** noch eine geometrische Interpretation für die komplexe Multiplikation kennenlernen.



Die komplexen Zahlen

bilden einen Körper.

Beweis

Siehe Aufgabe 9.5.


Wir lösen uns von der Paarschreibweise und schreiben

Insbesondere ist , diese Zahl heißt imaginäre Einheit. Diese Zahl hat die wichtige Eigenschaft

Aus dieser Eigenschaft ergeben sich sämtliche algebraischen Eigenschaften der komplexen Zahlen durch die Körpergesetze. So kann man sich auch die obige Multiplikationsregel merken, es ist ja

Wir fassen eine reelle Zahl als die komplexe Zahl auf. In diesem Sinne ist . Es ist gleichgültig, ob man zwei reelle Zahlen als reelle Zahlen oder als komplexe Zahlen addiert oder multipliziert.


Zu einer komplexen Zahl

heißt

der Realteil von und

heißt der Imaginärteil von .

Man sollte sich allerdings die Menge der komplexen Zahlen nicht als etwas vorstellen, was weniger real als andere Zahlensysteme ist. Die Konstruktion der komplexen Zahlen aus den reellen Zahlen ist bei Weitem einfacher als die Konstruktion der reellen Zahlen aus den rationalen Zahlen. Allerdings war es historisch ein langer Prozess, bis die komplexen Zahlen als Zahlen anerkannt wurden; das Irreale daran ist, dass sie einen Körper bilden, der nicht angeordnet werden kann, und dass es sich daher scheinbar um keine Größen handelt, mit denen man sinnvollerweise etwas messen kann.

Man kann sich die komplexen Zahlen als die Punkte in einer Ebene vorstellen; für die additive Struktur gilt ja einfach . In diesem Zusammenhang spricht man von der Gaussschen Zahlenebene. Die horizontale Achse nennt man dann die reelle Achse und die vertikale Achse die imaginäre Achse.


Real- und Imaginärteil von komplexen Zahlen erfüllen folgende Eigenschaften (für und aus ).

  1. Es ist .
  2. Es ist .
  3. Es ist .
  4. Für ist
  5. Es ist genau dann, wenn ist, und dies ist genau dann der Fall, wenn ist.

Beweis

Siehe Aufgabe 9.7.



Die Abbildung

heißt komplexe Konjugation.

Zu heißt die konjugiert-komplexe Zahl von . Geometrisch betrachtet ist die komplexe Konjugation zu einfach die Achsenspiegelung an der reellen Achse.



Für die komplexe Konjugation gelten die folgenden Rechenregeln (für beliebige ).

  1. Es ist .
  2. Es ist .
  3. Es ist .
  4. Für ist .
  5. Es ist .
  6. Es ist genau dann, wenn ist.

Beweis

Siehe Aufgabe 9.13.



Für eine komplexe Zahl gelten die folgenden Beziehungen.

  1. Es ist .
  2. Es ist .
  3. Es ist .

Beweis

Siehe Aufgabe *****.


Das Quadrat einer reellen Zahl ist stets nichtnegativ, und die Summe von zwei nichtnegativen reellen Zahlen ist wieder nichtnegativ. Zu einer nichtnegativen reellen Zahl gibt es eine eindeutige nichtnegative Quadratwurzel , siehe Aufgabe 8.7. Daher liefert folgende Definition eine wohldefinierte nichtnegative reelle Zahl.


Zu einer komplexen Zahl

ist der Betrag durch

definiert.

Der Betrag einer komplexen Zahl ist aufgrund des Satzes des Pythagoras der Abstand von zum Nullpunkt . Insgesamt ist der Betrag eine Abbildung

Die Menge aller komplexen Zahlen mit einem bestimmten Betrag bilden einen Kreis mit dem Nullpunkt als Mittelpunkt und mit dem Betrag als Radius. Insbesondere bilden alle komplexen Zahlen mit dem Betrag den komplexen Einheitskreis. Die Zahlen auf dem komplexen Einheitskreis stehen durch die eulersche Formel in Beziehung zur komplexen Exponentialfunktion und zu den trigonometrischen Funktionen, siehe Satz 25.11 und Satz 29.11. Es sei hier erwähnt, dass das Produkt von zwei komplexen Zahlen auf dem Einheitskreis sich ergibt, indem man die zugehörigen Winkel, gemessen von der positiven reellen Achse aus gegen den Uhrzeigersinn, addiert.



Für den Betrag von komplexen Zahlen gelten folgende Eigenschaften.

  1. Es ist .
  2. Für reelles stimmen reeller und komplexer Betrag überein.
  3. Es ist genau dann, wenn ist.
  4. Es ist .
  5. Es ist .
  6. Für ist .
  7. Es ist .
  8. Es ist (Dreiecksungleichung).

Wir zeigen die Dreiecksungleichung, für die anderen Aussagen siehe Aufgabe 9.9. Zunächst gilt nach (7) für jede komplexe Zahl die Abschätzung . Daher ist

und somit ist

Durch Wurzelziehen ergibt sich die gewünschte Abschätzung.



Quadratwurzeln von komplexen Zahlen

Die imaginäre Einheit hat die wichtige Eigenschaft . Das Negative von besitzt die gleiche Eigenschaft, nämlich

Damit gibt es zu jeder negativen reellen Zahl (mit positiv) in die beiden Quadratwurzeln und . Im folgenden Beispiel zeigen wir, dass nicht nur jede reelle Zahl in eine Quadratwurzel besitzt, sondern überhaupt jede komplexe Zahl.


Es sei eine komplexe Zahl. Dann hat die komplexe Zahl

mit dem Vorzeichen

die Eigenschaft

Insbesondere besitzt also zwei Quadratwurzeln, nämlich und , die bei zusammenfallen.

Wir zeigen dies für den Fall

Dann ist


Daraus ergibt sich, dass innerhalb von jede quadratische Gleichung

mit , mindestens eine komplexe Lösung besitzt, siehe Aufgabe 9.14.

Ein wichtiger Satz, der sogenannte Fundamentalsatz der Algebra besagt, dass überhaupt jede polynomiale Gleichung

mit und mit und mindestens eine Lösung in besitzt. D.h., dass jedes nichtkonstante Polynom über den komplexen Zahlen eine Nullstelle besitzt. Diesen Satz können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beweisen.



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