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Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 8

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Cauchy-Folgen

Ein Problem des Konvergenzbegriffes ist, dass zur Formulierung der Grenzwert verwendet wird, den man unter Umständen noch gar nicht kennt. Wenn man beispielsweise die durch das babylonische Wurzelziehen konstruierte Folge (sagen wir zur Berechnung von ) mit einem rationalen Startwert betrachtet, so ist dies eine Folge aus rationalen Zahlen. Wenn wir diese Folge in einem beliebigen angeordneten Körper betrachten, in dem existiert, so ist die Folge konvergent. Innerhalb der rationalen Zahlen ist sie aber definitiv nicht konvergent. Es ist wünschenswert, allein innerhalb der rationalen Zahlen den Sachverhalt formulieren zu können, dass die Folgenglieder beliebig nahe zusammenrücken, auch wenn man nicht sagen kann, dass die Folgenglieder einem Grenzwert beliebig nahe zustreben. Dazu dient der Begriff der Cauchy-Folge.


Es sei ein angeordneter Körper. Eine Folge in heißt Cauchy-Folge, wenn folgende Bedingung erfüllt ist.

Zu jedem , , gibt es ein derart, dass für alle die Abschätzung

gilt.



Es sei ein angeordneter Körper. Dann ist eine Folge genau dann eine Cauchy-Folge, wenn folgende Bedingung gilt: Zu jedem gibt es ein derart, dass für alle die Abschätzung gilt.

Eine Cauchy-Folge erfüllt auch die angegebene Bedingung, da man ja setzen kann.
Für die Umkehrung sei vorgegeben. Die Bedingung der Aussage gilt insbesondere für , d.h. es gibt ein derart, dass für jedes die Abschätzung

gilt. Damit gilt aufgrund der Dreiecksungleichung für beliebige die Abschätzung

sodass eine Cauchy-Folge vorliegt.



Es sei ein angeordneter Körper. Dann ist jede konvergente Folge

eine Cauchy-Folge.

Es sei die konvergente Folge mit Grenzwert . Sei gegeben. Wir wenden die Konvergenzeigenschaft auf an. Daher gibt es ein mit

Für beliebige gilt dann aufgrund der Dreiecksungleichung

  Also liegt eine Cauchy-Folge vor.



Es sei ein angeordneter Körper und sei eine Folge in . Zu jeder streng wachsenden Abbildung , , heißt die Folge

eine Teilfolge der Folge.



Es sei ein archimedisch angeordneter Körper. Es sei eine wachsende, nach oben beschränkte Folge.

Dann ist eine Cauchy-Folge.

Es sei eine obere Schranke, also für alle Folgenglieder .  Wir nehmen an, dass keine Cauchy-Folge ist, und verwenden die Charakterisierung aus Lemma 8.2. Somit gibt es ein derart, dass es für jedes ein mit gibt (wir können die Betragstriche wegen der Monotonie weglassen). Wir können daher induktiv eine wachsende Folge von natürlichen Zahlen definieren durch ,

etc. Andererseits gibt es aufgrund des Archimedesaxioms ein mit . Die Summe der ersten Differenzen der Teilfolge , , ergibt

  Dies impliziert im Widerspruch zur Voraussetzung, dass eine obere Schranke der Folge ist.




Der Körper der reellen Zahlen

Ein angeordneter Körper heißt vollständig oder vollständig angeordnet, wenn jede Cauchy-Folge in konvergiert (also in einen Grenzwert besitzt).


Einen archimedisch angeordneten vollständigen Körper nennt man Körper der reellen Zahlen. Er wird mit bezeichnet.

Die reellen Zahlen sind also ein vollständig und archimedisch angeordneter Körper. Diese Eigenschaften legen die reellen Zahlen eindeutig fest, d.h. wenn es zwei Modelle und gibt, die beide für sich genommen vollständig und archimedisch angeordnete Körper sind, so kann man eine bijektive Abbildung von nach angeben, der alle mathematischen Strukturen erhält (sowas nennt man einen Isomorphismus).

Die Existenz der reellen Zahlen ist nicht trivial. Vom naiven Standpunkt her kann man die Vorstellung einer „kontinuierlichen Zahlengerade“ zugrunde legen, und dies als Existenznachweis akzeptieren. In einer strengeren mengentheoretischen Begründung der Existenz geht man von aus und konstruiert die reellen Zahlen als die Menge der Cauchy-Folgen in mit einer geeigneten Identifizierung. Dies wird im folgenden Beispiel und in den Aufgaben durchgeführt.


Wir konstruieren, ausgehend von den rationalen Zahlen , einen vollständigen archimedisch angeordneten Körper, also ein Modell für den Körper der reellen Zahlen. Es sei

die Menge aller Cauchy-Folgen mit rationalen Gliedern. Wir definieren in eine Relation durch

Dies ist eine Äquivalenzrelation, siehe Aufgabe 8.8. Wir definieren nun die Quotientenmenge unter dieser Relation als reelle Zahlen, also

Unter dieser Identifzierungsabbildung werden also alle Nullfolgen zu null gemacht, und zwei rationale Folgen werden miteinander identifiziert, wenn ihre Differenz eine Nullfolge ist. Wir schreiben die zugehörigen Äquivalenzklassen als .

Auf gibt es die gliedweise Addition und Multiplikation. Auf der Quotientenmenge führt dies zum Ansatz

Dies ergibt eine wohldefinierte Addition und Multiplikation auf , siehe

Aufgabe 8.9. Durch die konstanten Folgen zu einer rationalen Zahl ergibt sich eine Abbildung

die mit der Addition und der Multiplikation verträglich ist. Mit diesen Operationen und mit und (also der konstanten Nullfolge und der konstanten Einsfolge) ist ein Körper, siehe Aufgabe 8.17. Für jede Cauchy-Folge gilt die ausschließende Alternative: ist eine Nullfolge, oder es gibt ein mit für fast alle[1] , oder es gibt ein mit für fast alle . Darauf aufbauend kann man in null, in positve und in negative reelle Zahlen einteilen bzw. eine (totale) Ordnungsrelation darauf definieren. Damit wird zu einem angeordneten Körper, der auch archimedisch ist, siehe Aufgabe 8.18. In einem letzten Schritt kann man zeigen, dass auch vollständig ist, siehe Aufgabe 8.19.


Statt von einem vollständig und archimedisch angeordneten Körper werden wir von nun an von den reellen Zahlen sprechen. Als Beweismittel sind aber lediglich die genannten Axiome erlaubt.



Weitere Eigenschaften der reellen Zahlen



Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge der reellen Zahlen

besitzt ein Supremum in .

Es sei eine nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge. Es sei und eine obere Schranke für , d.h. es ist für alle . Wir konstruieren zwei Folgen und , wobei wachsend, fallend ist und jedes eine obere Schranke von ist (sodass insbesondere für alle ist), und so, dass eine Cauchy-Folge ist. Dabei gehen wir induktiv vor, d.h. die beiden Folgen seien bis bereits definiert und erfüllen die gewünschten Eigenschaften. Wir setzen

und

Dies erfüllt die gewünschten Eigenschaften, und es ist

da in beiden Fällen der Abstand zumindest halbiert wird. Da die Folge wachsend und nach oben beschränkt ist, handelt es sich nach Fakt ***** um eine Cauchy-Folge. Wegen der Vollständigkeit besitzt die konstruierte Folge einen Grenzwert . Ebenso ist die fallende Folge , die nach unten beschränkt ist, eine Cauchy-Folge mit demselben Grenzwert .  Wir behaupten, dass dieses das Supremum von ist. Wir zeigen zuerst, dass eine obere Schranke von ist.  Es sei dazu angenommen für ein . Da die Folge gegen konvergiert, gibt es insbesondere ein mit

im Widerspruch dazu, dass jedes eine obere Schranke von ist.
 Für die Supremumseigenschaft müssen wir zeigen, dass kleiner oder gleich jeder oberen Schranke von ist. Es sei dazu eine obere Schranke von und  nehmen wir an, dass ist. Da gegen konvergiert, gibt es wieder ein mit

im Widerspruch dazu, dass eine obere Schranke ist. Also liegt wirklich das Supremum vor.



Eine beschränkte und monotone Folge in

konvergiert.

Nach Voraussetzung ist die Folge wachsend und nach oben beschränkt oder fallend und nach unten beschränkt. Nach Lemma 8.5 liegt eine Cauchy-Folge vor, und diese konvergiert in .



Es sei ein angeordneter Körper. Eine Folge von abgeschlossenen Intervallen

in heißt eine Intervallschachtelung, wenn für alle ist und wenn die Folge der Intervalllängen, also

gegen konvergiert.



Es sei , , eine Intervallschachtelung in .

Dann besteht der Durchschnitt

aus genau einem Punkt

.

Eine reelle Intervallschachtelung bestimmt also genau eine reelle Zahl.

Beweis

Siehe Aufgabe 8.16.

Eine Folge in einem angeordneten Körper heißt bestimmt divergent gegen , wenn es zu jedem ein mit

gibt. Sie heißt bestimmt divergent gegen , wenn es zu jedem ein mit

gibt.



Fußnoten
  1. Das bedeutet für alle bis auf endlich viele.



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