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Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil II/Vorlesung 55

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Volumenberechnungen

Ein -dimensionaler (achsenparalleler) Quader

hat nach Definition das -dimensionale Volumen

Bei handelt es sich um die Streckenlänge, bei um den Flächeninhalt eines Rechtecks, bei um das Volumen eines Quaders. Im Rahmen der Maßtheorie versucht man „möglichst vielen“ Teilmengen ein sinnvolles Volumen (ein Maß), geschrieben

zuzuordnen. Dies ist eine recht aufwändige Theorie, von der wir hier nur einige Prinzipien, Ergebnisse und Berechnungsansätze vorstellen können. Wir beschränken uns auf kompakte, also abgeschlossene und beschränkte Teilmengen des (diese stellen wir uns als einen „starren Körper“ vor). Für den Subgraphen zu einer Funktion, also die Menge (die in der Tat beschränkt und abgeschlossen ist)

zu einer stetigen Funktion

haben wir schon verwendet, dass der Flächeninhalt durch das bestimmte Integral der Funktion berechnet werden kann. Integration ist das wichtigste Hilfsmittel zur numerischen Bestimmung von allgemeinen Volumina.

Wir besprechen nun einige wichtige Prinzipien von Volumina.



Überpflasterungseigenschaften

Integrierbare Funktionen hatten wir über Ober- und Untersummen eingeführt. Für eine beliebige (kompakte) Teilmenge kann man das Volumen ebenfalls über Obersummen berechnen, wobei man Überpflasterungen von mit einer Familie von (achsenparallelen) Quadern , , betrachtet.


Es sei eine Teilmenge. Eine Familie von (achsenparallelen) Quadern , , mit nennt man eine Quader-Überpflasterung von .

Zu einer endlichen Überpflasterung (bei der also die Indexmenge endlich ist) nennt man die Summe die Quadersumme (oder Quadervolumensumme oder Gesamtvolumensumme) der Überpflasterung. Eine wichtige Charakterisierung des Volumens einer kompakten Teilmenge ist, dass sie gleich dem Infimum über alle Quadersummen von Überpflasterungen ist.


Es sei eine kompakte Teilmenge.

Dann ist das - dimensionale Volumen von gleich dem Infimum über die Volumensumme aller endlichen Quader-Überpflasterungen , , von , also

Man könnte insbesondere die rechte Seite, also das Infimum über die Quadervolumensummen von Überpflasterungen, als Definition des Volumens ansetzen. Die Aussage gilt auch, wenn man mit beliebigen Quadern statt nur mit achsenparallelen Quadern arbeitet. Die Infimumseigenschaft bedeutet insbesondere, dass es zu jedem eine Überpflasterung , , mit

gibt, das wahre Volumen wird also beliebig genau durch Quadervolumensummen approximiert. 

Eine abgeschlossene, aber nicht beschränkte Teilmenge wird nicht durch endlich viele Quader überpflastert. Diese Mengen haben aber dennoch ein sinnvolles Volumen (das unendlich sein kann) und es gilt auch eine entsprechende Aussage zu Satz 55.2, wobei man allerdings als Indexmenge die natürlichen Zahlen zulassen muss. Zu einer Überpflasterung muss man als Reihe von nichtnegativen Zahlen interpretieren. Da wir uns für das Infimum interessieren, sind hierbei nur die konvergenten Reihen relevant (wenn es keine Überpflasterung mit endlicher Volumensumme gibt, so besitzt die Teilmenge das Volumen ). Diese Betrachtung ist beispielsweise dann nötig, wenn man uneigentliche Integrale als Flächeninhalt eines (unbeschränkten) Subgraphen verstehen möchte.

Wir erwähnen einige weitere wichtige Eigenschaften des Volumens. Diese Eigenschaften werden natürlich von einer sinnvollen Volumentheorie erwartet, ihr Nachweis kann aber im einzelnen schwierig sein.


  1. Für kompakte Teilmengen und in mit ist
  2. Für kompakte Teilmengen ( endlich) ist
  3. Für mit kompakten Teilmengen ( endlich) ist

Wir argumentieren über die Überpflasterungseigenschaft im Sinne von Satz 55.2. Die Eigenschaft (1) ist klar, da eine Quaderüberpflasterung der größeren Menge insbesondere eine Überpflasterung der kleineren Menge ist.

Zum Beweis von (2) können wir uns auf zwei kompakte Teilmengen und beschränken. Nehmen wir an, dass die Aussage nicht stimmt, sei also

Es sei die Differenz. Wir können das Volumen von durch eine Quaderüberpflasterung , , bis auf einen Fehler und ebenso das Volumen von durch eine Quaderüberpflasterung , , bis auf einen Fehler approximieren. Die Vereinigung der beiden Quaderüberpflasterungen ist eine Quaderüberpflasterung von mit einem Fehler von maximal . Das ergibt einen Widerspruch.

(3) folgt direkt aus (1) und (2).



Es seien und disjunkte kompakte Teilmengen im .

Dann ist

Die Abschätzung folgt aus Lemma 55.4  (2).

Für die andere Abschätzung sei eine Überpflasterung von gegeben. Aufgrund der Disjunktheit und der Kompaktheit gibt es einen positiven Abstand zwischen den beiden Mengen, d.h. es gibt ein derart, dass für alle , , ist. Einen Quader aus der Überpflasterung, der beide Teilmengen schneidet, kann man dann in endlich viele Quader unterteilen, sodass diese zu (mindestens) einer der beiden Mengen disjunkt sind. So erreicht man eine Verfeinerung der Überpflasterung mit der gleichen Quadervolumensumme, deren Quader jeweils nur eine Teilmenge treffen. Daher ist die Volumensumme dieser Überpflasterung gleich der Summe der Volumensumme der beiden Teilüberpflasterungen und damit mindestens so groß wie .



Es seien und kompakte Teilmengen.

Dann gilt für die Produktmenge die Beziehung

Eine typische Produktmenge ist ein Zylinder, also das Produkt aus einer Grundmenge und einer Stecke, also einem Intervall . Sein Volumen ist das Produkt aus dem Volumen der Grundmenge und der Streckenlänge.


Es sei ein Untervektorraum der Dimension und eine kompakte Teilmenge

Dann ist .

Man beachte, dass dies eine Aussage über das -dimensionale Volumen ist, nicht über das -dimensionale Volumen als Teilmenge in . Insbesondere besitzen einzelne Punkte im , , das Volumen . Da sich jede Teilmenge aus seinen Einzelpunkten zusammensetzt, kann die obige Vereinigungsregel nicht für beliebige Vereinigungen gelten, d.h. die Gleichungskette

ist falsch (andernfalls hätte jede Teilmenge das Volumen ). Teilmengen, deren Volumen ist, nennt man Nullmenge.



Volumina und lineare Abbildungen

Eine weitere wichtige Eigenschaft der Maßtheorie ist die Translationsinvarianz. Für eine beliebige Teilmenge in einem Vektorraum und einen Vektor nennt man

die um verschobene Menge.


Es sei eine kompakte Teilmenge und .

Dann ist

Beweis

Dies folgt direkt aus der Überpflasterungseigenschaft, da beliebige Quader-Überpflasterungen mitverschoben werden können und so über die gleiche Menge das Infimum gebildet wird.


Für lineare Abbildungen gilt die folgende Beziehung zwischen dem Volumen einer Teilmenge und dem Volumen ihres Bildes.


Es sei eine kompakte Teilmenge und

eine lineare Abbildung.

Dann ist

Beweis

Dies folgt u.A. aus der multiplikativen Zerlegung einer Matrix in Elementarmatrizen und eine Diagonalmatrix und aus dem Determinantenmultiplikationssatz.



Bei einer Streckung

um den Streckungsfaktor gilt für jede kompakte Teilmenge

die Formel

Beweis

Dies ist ein Spezialfall von Satz 55.9



Den Flächeninhalt des Einheitskreises haben wir in Beispiel 25.10 über ein Integral als bestimmt. Unter der durch die Matrix gegebenen linearen Abbildung wird die Einheitskreisscheibe auf

abgebildet. Das Bild ist eine (achsenparallele) Ellipsenscheibe. Ihr Flächeninhalt ist nach Satz 55.9 gleich .




Das Cavalieri-Prinzip
Das Cavalieri-Prinzip

Für Berechnungen ist das Cavalieri-Prinzip entscheidend. Mit ihm wird die Berechnung eines -dimensionalen Volumens auf die Integration des -dimensionalen Volumens des Querschnitts des Körpers zurückgeführt. Zu einer Teilmenge

und einem nennt man den Querschnitt von durch . Der Querschnitt zu kompaktem ist eine kompakte Teilmenge des und besitzt somit ein -dimensionales Volumen, das mit variiert.


Es sei eine kompakte Teilmenge und es sei vorausgesetzt, dass die Funktion

stetig ist.

Dann ist


Wir wollen das Volumen einer dreidimensionalen abgeschlossenen Kugel vom Radius berechnen, also von

Wegen Satz 55.9 gilt dabei , d.h. es geht im Wesentlichen darum, das Volumen der Einheitskugel auszurechnen.

Für jedes fixierte , , kann man den Querschnitt als

schreiben, d.h. als eine Kreisfläche vom Radius . Aufgrund des Cavalieri-Prinzips ist daher




Rotationsmengen und Kegel

Zu einer Teilmenge nennt man

die zugehörige Rotationsmenge (um die -Achse).

Zu einer Funktion

nennt man die Rotationsmenge (oder Rotationskörper) zum Subgraphen zu auch den Rotationskörper zu .



Es sei

eine stetige Funktion und sei der Rotationskörper zu um die -Achse.

Dann besitzt das Volumen

Die Querschnittsfläche zu ist ein Kreis mit Radius , dessen Flächeninhalt ist nach Beispiel 25.10. Somit folgt die Aussage aus dem Cavalieri-Prinzip.



Es sei und ein Punkt. Dann nennt man die Menge

den Kegel zur Basis mit der Spitze .



Es sei kompakt, ein Punkt und der zugehörige Kegel. Es sei die letzte Koordinate von .

Dann ist ebenfalls kompakt, und es gilt

Der Durchschnitt von mit der durch , zwischen und , gegebenen Hyperebene ist

Wegen der Translationsinvarianz und Korollar 55.10 ist dessen Volumen gleich . Nach dem Cavalieri-Prinzip ist also (mit )



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