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Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2020-2021)/Teil II/Vorlesung 49/kontrolle

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Die Kettenregel

Die Eleganz des totalen Differentials wird in der folgenden allgemeinen Version der Kettenregel deutlich. Sie besagt, dass bei einer Verknüpfung von differenzierbaren Abbildungen das totale Differential (also die lineare Approximation) gleich der Verknüpfung der einzelnen totalen Differentiale ist. Der Beweis verwendet an einer Stelle, dass dass Bild einer abgeschlossenen Kugel unter einer linearer Abbildung beschränkt ist, d.h. dass es ein gibt mit

für alle mit

Diese Aussage gilt sogar für jede stetige Abbildung, wir werden sie hier aber nur für eine lineare Abbildung beweisen.



Lemma  Lemma 49.1 ändern

Es sei eine lineare Abbildung zwischen endlichdimensionalen reellen Vektorräumen und .

Dann ist das Bild von beschränkt.

Wir fixieren ein Skalarprodukt auf und auf und wählen eine Orthonormalbasis von . Sei aus . Wegen

ist

Somit ist

das heißt, dass die Beschränktheit mit

gilt.



Es seien und endlichdimensionale - Vektorräume, und offene Mengen, und und Abbildungen derart, dass gilt. Es sei weiter angenommen, dass in und in total differenzierbar ist.

Dann ist in differenzierbar mit dem totalen Differential

Beweis

Wir haben nach Voraussetzung

(wobei wir setzen)

und

mit linearen Abbildungen und , und mit in stetigen Funktionen und , die beide in den Wert annehmen. Damit gilt

Dabei haben wir in der dritten Gleichung die lineare Approximation für

eingesetzt. Die beiden letzten Gleichungen gelten nur für . Der Ausdruck

ist unser Kandidat für die Abweichungsfunktion. Der erste Summand ist in stetig und hat dort auch den Wert . Es genügt also den zweiten Summanden zu betrachten. Der -Ausdruck ist in einer Umgebung der Null beschränkt, da auf der abgeschlossenen Kugel nach Lemma 49.1

beschränkt ist und da in stetig ist. Daher hängt die Stetigkeit nur von dem rechten Faktor ab. Aber hat für den Grenzwert . Damit ist auch in stetig und hat dort den Grenzwert .



Es seien und offene Mengen, und und seien Abbildungen derart, dass gilt. Es sei weiter angenommen, dass in und in total differenzierbar ist.

Dann ist in differenzierbar und zwischen den Jacobi-Matrizen gilt die Beziehung

also ausgeschrieben

Dies folgt direkt aus Satz 49.2 unter Berücksichtigung von Bemerkung 48.10.


Bei der vorstehenden Aussage kann man mit Satz 48.11 häufig direkt auf die totale Differenzierbarkeit schließen.


Wir wollen die Kettenregel anhand der beiden Abbildungen

und

illustrieren. Diese Abbildungen sind stetig partiell differenzierbar und daher nach Satz 48.11 auch total differenzierbar. Die Jacobi-Matrizen zu diesen Abbildungen (in einem beliebigen Punkt bzw. ) sind

und

Die zusammengesetzte Abbildung ist

die zugehörige Jacobi-Matrix in ist

Die zusammengesetzte lineare Abbildung ist


Es sei ein reelles Intervall, und seien euklidische Vektorräume und es sei

eine differenzierbare Kurve. Es sei

eine lineare Abbildung. In Lemma 37.11 wurde gezeigt, dass die zusammengesetzte Abbildung

(ebenfalls differenzierbar ist) und dass die Beziehung

besteht. Hier erhält man also den Richtungsvektor der zusammengesetzten Kurve, indem man den Richtungsvektor der Kurve in die lineare Abbildung einsetzt. Dies ist ein Spezialfall der Kettenregel angewendet auf und . Es ist nach Proposition 48.4 und es ist nach Lemma 48.6 . Gemäß der Kettenregel ist das totale Differential der zusammengesetzten Kurve gleich

und damit ist


Es seien und euklidische Vektorräume, eine offene Teilmenge und

eine in total differenzierbare Abbildung. Es sei ein Vektor und

die zugehörige affin-lineare Abbildung durch diesen Punkt (dabei sei das reelle Intervall so gewählt, dass ) liegt. Die zusammengesetzte Abbildung

wird zur Definition der Richtungsableitung von in in Richtung verwendet, es ist

Das zur Kurve gehörige totale Differential in von nach , also , ist durch festgelegt. Andererseits ist nach der Kettenregel

und somit ist

Dies ergibt einen neuen Beweis für Proposition 48.9.


Das folgende Beispiel illustriert, dass das totale Differential unabhängig von der Wahl einer Basis ist, die partiellen Ableitungen aber nicht.


Beispiel  Beispiel 49.7 ändern

Wir betrachten die Abbildung , die durch

gegeben sei. Es ist leicht die partiellen Ableitungen in jedem Punkt zu berechnen, nämlich:

Da diese alle stetig sind, haben wir nach Satz 48.11 das totale Differential in jedem Punkt gefunden.

Nehmen wir nun an, dass wir nur an der Restriktion dieser Funktion auf die Ebene

interessiert sind. ist also der Kern der linearen Abbildung

Als Kern ist selbst ein (zweidimensionaler) Vektorraum. Die Einschränkung von auf die Ebene ergibt also die Abbildung

Diese Abbildung kann man als die Komposition auffassen und diese ist nach der Kettenregel differenzierbar. Wenn wir die Inklusion von in mit bezeichnen, so ist das totale Differential der Komposition in einem Punkt gemäß der Kettenregel gerade die Abbildung

Daher ergibt es hier Sinn vom totalen Differential zu sprechen.

Es ergibt allerdings keinen Sinn von partiellen Ableitungen der Abbildung zu sprechen, da es keine natürliche Basis auf gibt und daher auch keine natürlichen Koordinaten. Es ist leicht eine Basis von zu finden und damit Koordinaten, es gibt aber keine „beste Wahl“, und die partiellen Ableitungen sehen in jeder Basis verschieden aus.

Eine Basis von ist beispielsweise durch und gegeben, und eine weitere durch und . Mit solchen Basen erhalten wir Identifikationen und somit numerische Beschreibungen der Abbildung , womit wir die partiellen Ableitungen bezüglich der gewählten Basen berechnen können.

In der ersten Basis ist die Identifikation gegeben durch die Abbildung

und dieser Ausdruck wird durch abgebildet auf

Die partiellen Ableitungen dieser Komposition (nennen wir sie ) bezüglich dieser Basis sind gegeben durch

und

In der zweiten Basis und ist die Identifikation gegeben durch

und dieser Ausdruck wird unter abgebildet auf

Die partiellen Ableitungen der Komposition (nennen wir sie ) bezüglich dieser Basis sind

und

Fazit: Koordinaten sind manchmal gut für Berechnungen, manchmal verdunklen sie aber auch den eigentlichen mathematischen Sachverhalt.