Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II/Vorlesung 51

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Es sei ein reelles Intervall und

eine stetig differenzierbare Funktion mit in einem Punkt . Nehmen wir an es gelte . Da die Ableitung stetig ist, gibt es auch ein offenes Intervall derart, dass für alle ist. Aufgrund von Satz 19.5  (2) ist somit auf streng wachsend. Daher ist insbesondere auf injektiv. Das Bild ist nach dem Zwischenwertsatz ein Intervall und daher liegt eine Bijektion

vor. Nach Fakt ***** ist die Umkehrfunktion

ebenfalls differenzierbar, und ihre Ableitung in ist . Daher ist die Umkehrfunktion auf auch stetig differenzierbar. Eine ähnliche Argumentation ist durchführbar, wenn ist. Insgesamt bedeutet dies, dass aus dem Nichtverschwinden der Ableitung in einem Punkt folgt, dass die Funktion sich in einer kleinen offenen Umgebung des Punktes bijektiv verhält mit stetig differenzierbarer Umkehrabbildung.

Diese Aussage verallgemeinern wir auf höhere Dimensionen.



Der Satz über die Umkehrabbildung

Beispiel  

Wir betrachten die Abbildung

Diese Abbildung ist nicht injektiv, da und auf das gleiche Tupel abgebildet werden, und auch nicht surjektiv, da beispielsweise nicht im Bild liegt. Trotzdem kann man das Gleichungssystem und in gewisser Hinsicht auflösen, also und durch und ausdrücken. Zunächst ist

und damit

oder

Damit ist

und somit

Bis auf die Wahl der Vorzeichen kann man also die Urbilder zu rekonstruieren. Dies zeigt erneut, dass es manchmal mehrere Urbilder und manchmal keine Urbilder gibt (wenn die Wurzel keine reelle Lösung hat). Ein eindeutiges Urbild existiert genau dann, wenn der Radikand gleich ist, also bei

d.h. bei . In einem Punkt verhält sich die Abbildung insofern gut, dass das Bild davon (also ) nur ein Urbild (nämlich ) besitzt. Diese Eigenschaft überträgt sich aber auf keine offene Umgebung des Punktes, da ja und beide auf abgebildet werden. In dieser Hinsicht verhalten sich die anderen Punkte besser. Es sei gegeben mit (sagen wir)

Dann besitzt

wie oben ausgerechnet zwei Urbildpunkte, und zwar ist (der Startpunkt legt die Vorzeichen fest)

Diese Formeln kann man unter der Bedingung, dass

als „lokale Umkehrabbildung“ interpretieren, und dies ist in einer offenen Umgebung von erfüllt. Das Bild von unter dieser lokalen Umkehrabbildung ist eine offene Umgebung von , und die Einschränkung führt zu einer bijektiven Abbildung

mit der angegebenen Umkehrabbildung.


Der Satz über die (lokale) Umkehrabbildung gehört zu den wichtigsten Sätzen der mehrdimensionalen Analysis. Er besagt, dass eine stetig differenzierbare Abbildung zwischen endlichdimensionalen reellen Vektorräumen, für die das totale Differential in einem Punkt bijektiv ist (was voraussetzt, dass die Dimension des Definitionsraum mit der Dimension des Zielraums übereinstimmt), die Abbildung selbst auf geeigneten kleinen offenen Umgebungen von und von eine Bijektion ist. D.h. die Abbildung verhält sich lokal so wie das totale Differential.

Wir brauchen einige Vorbereitungen. Der Beweis des folgenden Lemmas ist schon eine gute Einstimmung für den Beweis des folgenden Hauptsatzes.



Lemma  

Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, und offene Teilmengen und sei

eine bijektive differenzierbare Abbildung. Sei . Das totale Differential

sei bijektiv und die Umkehrabbildung

sei stetig in .

Dann ist die Umkehrabbildung differenzierbar in und für ihre Ableitung gilt

Beweis  

Zuerst kann man durch Verschiebungen im Definitionsraum und im Zielraum annehmen, dass und ist. Es sei die durch das totale Differential gegebene bijektive lineare Abbildung mit der linearen Umkehrabbildung . Wir betrachten die Gesamtabbildung

Diese ist wieder differenzierbar, und das totale Differential davon ist nach der Kettenregel. Wenn wir für diese zusammengesetzte Abbildung die Aussage zeigen können, so folgt die Aussage auch für , da eine lineare Abbildung differenzierbar ist. Wir können also annehmen, dass eine differenzierbare Abbildung mit ist, deren totales Differential in die Identität ist.
Nach diesen Reduktionen bedeutet die Differenzierbarkeit von in , dass der Limes

ist. Wir müssen entsprechend für die Umkehrabbildung die Beziehung

zeigen. Es genügt, dies für jede Folge nachzuweisen. Eine solche Folge kann man eindeutig als (mit ) schreiben und aufgrund der vorausgesetzten Stetigkeit von konvergiert auch die Folge gegen . Also ist

Wegen mit gibt es eine hinreichend kleine Umgebung von derart, dass

Daher lässt sich die obere Gleichungskette (für hinreichend groß) fortsetzen durch

und dies konvergiert gegen .


Im Allgemeinen ist eine differenzierbare Abbildung nicht bijektiv. Man kann das Lemma aber häufig anwenden, indem man zu einer kleineren offenen Umgebung des Punktes übergeht und für diese die Bijektivität auf das Bild zeigt.

Im Beweis des folgenden Satzes geht die folgende Version des Mittelwertsatzes ein. Wir versehen Homomorphismenräume mit der Norm



Lemma  

Es seien und euklidische Vektorräume, sei offen und enthalte mit je zwei Punkten die Verbindungsstrecke. Es sei

eine differenzierbare Abbildung und es gelte

für alle .

Dann gilt für die Abschätzung

Beweis  

Bei ist nichts zu zeigen, sei also . Wir betrachten die Abbildung

Da nach Voraussetzung ist, ist dies eine differenzierbare Kurve in . Daher gibt es nach der Mittelwertabschätzung für Kurven ein mit

Der folgende Satz, der Satz über die lokale Umkehrabbildung, besagt, dass eine stetig differenzierbare Abbildung in einer geeigneten offenen Umgebung eines Punktes bijektiv ist, wenn die Ableitung in diesem Punkt bijektiv ist. D.h., dass sich die Abbildung lokal so verhält wie die lineare Approximation. Die Bedingung, dass das totale Differential in einem Punkt bijektiv ist, lässt sich einfach mit der Determinante überprüfen.



Satz  

Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, sei offen und es sei

eine stetig differenzierbare Abbildung. Es sei ein Punkt derart, dass das totale Differential

bijektiv ist.

Dann gibt es eine offene Menge und eine offene Menge mit und mit derart, dass eine Bijektion

induziert, und dass die Umkehrabbildung

ebenfalls stetig differenzierbar ist.

Beweis  

  Wir beginnen mit einigen Reduktionen. Zuerst kann man durch Verschiebungen im Definitionsraum und im Zielraum annehmen, dass und ist. Es sei die durch das totale Differential gegebene bijektive lineare Abbildung mit der linearen Umkehrabbildung . Wir betrachten die Gesamtabbildung

Diese ist wieder stetig differenzierbar, und das totale Differential davon ist . Wenn wir für diese zusammengesetzte Abbildung die Aussage zeigen können, so folgt die Aussage auch für , da eine lineare Abbildung stetig differenzierbar ist. Wir können also annehmen, dass eine stetig differenzierbare Abbildung mit ist, deren totales Differential in die Identität ist. Wir werden dennoch von und sprechen, um klar zu machen, ob sich etwas im Definitionsraum oder im Zielraum abspielt.
Sei fixiert. Wir betrachten die Hilfsabbildung

Diese Hilfsabbildung erfüllt folgende Eigenschaft: Ein Punkt ist genau dann ein Fixpunkt von , also ein Punkt mit , wenn ist, d.h. wenn ein Urbild von unter ist. Die Abbildungen sind selbst stetig differenzierbar und es gilt .
  Wir möchten den Banachschen Fixpunktsatz auf anwenden, um dafür einen Fixpunkt zu gewinnen und diesen als Urbildpunkt von unter nachweisen zu können. Wir fixieren eine euklidische Norm. Wegen der Stetigkeit von und wegen

gibt es ein , , derart, dass für alle die Abschätzung

gilt. Für jedes gilt daher nach der Mittelwertabschätzung die Abschätzung

Für und gilt

Für jedes liegt also eine Abbildung

vor.
Wegen der oben formulierten Ableitungseigenschaft und aufgrund der Mittelwertabschätzung gilt für zwei Punkte die Abschätzung

so dass eine stark kontrahierende Abbildung ist. Da ein euklidischer Vektorraum und damit auch die abgeschlossene Kugel vollständig sind (siehe Aufgabe 36.6 und Aufgabe 36.15), besitzt jede Abbildung aufgrund des Banachschen Fixpunktsatzes genau einen Fixpunkt aus , den wir mit bezeichnen. Aufgrund der eingangs gemachten Überlegung ist .
Zu gehört das eindeutige Urbild zur offenen Kugel , wie die obige Abschätzung zeigt. Wir setzen und , wobei aufgrund der Stetigkeit von offen ist. Die eingeschränkte Abbildung

ist wieder stetig und bijektiv. Insbesondere gibt es eine Umkehrabbildung

die wir als stetig differenzierbar nachweisen müssen.
Wir zeigen zuerst, dass Lipschitz-stetig ist mit der Lipschitz-Konstanten . Seien gegeben mit den eindeutigen Elementen mit und . Es gelten die Abschätzungen

wobei die letzte Abschätzung auf obiger Überlegung beruht. Durch Umstellung ergibt sich


Aufgrund von Lemma 52.1 ist auch differenzierbar und es gilt die Formel

Aus dieser Darstellung lässt sich auch die stetige Abhängigkeit der Ableitung von ablesen, da stetig ist, da das totale Differential von nach Voraussetzung stetig von abhängt und da das Bilden der Umkehrmatrix ebenfalls stetig ist.


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