Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil I/Vorlesung 8/kontrolle
- Rechenregeln für Folgen
Es seien und konvergente Folgen. Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Folge ist konvergent und es gilt
- Die Folge ist konvergent und es gilt
- Für
gilt
- Es sei
und
für alle
.
Dann ist ebenfalls konvergent mit
- Es sei
und
für alle
.
Dann ist ebenfalls konvergent mit
(1). Es seien bzw. die Grenzwerte der beiden Folgen. Sei vorgegeben. Wegen der Konvergenz der ersten Folge gibt es zu
ein derart, dass für alle die Abschätzung
gilt. Ebenso gibt es wegen der Konvergenz der zweiten Folge zu ein derart, dass für alle die Abschätzung
gilt. Sei
Dann gilt für alle (unter Verwendung der Dreiecksungleichung) die Abschätzung
(2). Sei vorgegeben. Die konvergente Folge ist nach Lemma 7.6 insbesondere beschränkt und daher existiert ein mit für alle . Sei und . Wir setzen . Aufgrund der Konvergenz gibt es natürliche Zahlen und mit
Diese Abschätzungen gelten dann auch für alle . Für diese Zahlen gilt daher
Für die anderen Teile siehe Aufgabe 8.1, Aufgabe 8.2 und Aufgabe 8.3.
Wir beschreiben eine typische Anwendung des vorstehenden Satzes.
Wir betrachten die durch
definierte Folge und wollen wissen, ob und gegebenenfalls wogegen sie konvergiert. Man kann Lemma 8.1 nicht unmittelbar anwenden, da weder der Zähler noch der Nenner konvergiert. Allerdings kann man den folgenden Trick anwenden, man schreibt
In dieser Form sind die Zähler- und die Nennerfolge konvergent, und zwar gegen bzw. , und daher konvergiert die Folge gegen .
- Cauchy-Folgen
Ein Problem des Konvergenzbegriffes ist, dass zur Formulierung der Grenzwert verwendet wird, den man unter Umständen noch gar nicht kennt. Wenn man beispielsweise die durch das babylonische Wurzelziehen konstruierte Folge (sagen wir zur Berechnung von ) mit einem rationalen Startwert betrachtet, so ist dies eine Folge aus rationalen Zahlen. Wenn wir diese Folge in betrachten, wo existiert, so ist die Folge konvergent. Innerhalb der rationalen Zahlen ist sie aber definitiv nicht konvergent. Es ist wünschenswert, allein innerhalb der rationalen Zahlen den Sachverhalt formulieren zu können, dass die Folgenglieder beliebig nahe zusammenrücken, auch wenn man nicht sagen kann, dass die Folgenglieder einem Grenzwert beliebig nahe zustreben. Dazu dient der Begriff der Cauchy-Folge.
Eine reelle Folge heißt Cauchy-Folge, wenn folgende Bedingung erfüllt ist
Zu jedem gibt es ein derart, dass für alle die Beziehung
gilt.
Jede konvergente Folge
ist eine Cauchy-Folge.
Es sei eine konvergente Folge mit Grenzwert . Sei vorgegeben. Wir wenden die Konvergenzeigenschaft auf an. Daher gibt es ein mit
Für beliebige gilt dann aufgrund der Dreiecksungleichung
Es sei eine reelle Folge. Zu jeder streng wachsenden Abbildung , , heißt die Folge
eine Teilfolge der Folge.
Die reelle Folge heißt wachsend, wenn für alle ist, und streng wachsend, wenn für alle ist.
Die Folge heißt fallend, wenn für alle ist, und streng fallend, wenn für alle ist.
Als gemeinsamen Begriff für (streng) wachsende oder (streng) fallende Folgen verwendet man die Bezeichnung (streng) monotone Folgen.
Es sei eine wachsende, nach oben beschränkte reelle Folge.
Dann ist eine Cauchy-Folge.
Es sei eine obere Schranke, also für alle Folgenglieder . Wir nehmen an, dass keine Cauchy-Folge ist. Dann gibt es ein derart, dass es für jedes Indizes mit gibt (wir können die Betragstriche weglassen). Wegen der Monotonie gibt es dann auch zu jedem ein mit . Wir können daher induktiv eine wachsende Folge von natürlichen Zahlen definieren durch
etc. Andererseits gibt es aufgrund des Archimedesaxioms ein mit
Die Summe der ersten Differenzen der Teilfolge , , ergibt
Dies impliziert im Widerspruch zur Voraussetzung, dass eine obere Schranke der Folge ist.
- Die Vollständigkeit der reellen Zahlen
Innerhalb der rationalen Zahlen gibt es Cauchy-Folgen, die nicht konvergieren, beispielsweise die Heron-Folge zur Berechnung von . Man kann sagen, dass eine nichtkonvergente Cauchy-Folge eine Lücke entdeckt und adressiert. Innerhalb der reellen Zahlen werden diese Lücken aufgefüllt.
Ein angeordneter Körper heißt vollständig oder vollständig angeordnet, wenn jede Cauchy-Folge in konvergiert (also in einen Grenzwert besitzt).
Die rationalen Zahlen sind nicht vollständig. Die Vollständigkeit fordern wir für die reellen Zahlen als das letzte Axiom.
Die reellen Zahlen sind ein vollständiger archimedisch angeordneter Körper.
Damit haben wir alle Axiome der reellen Zahlen zusammengetragen: die Körperaxiome, die Anordnungsaxiome und das Vollständigkeitsaxiom. Diese Eigenschaften legen die reellen Zahlen eindeutig fest, d.h. wenn es zwei Modelle und gibt, die beide für sich genommen diese Axiome erfüllen, so kann man eine bijektive Abbildung von nach angeben, der alle mathematischen Strukturen erhält (sowas nennt man einen „Isomorphismus“).
Die Existenz der reellen Zahlen ist nicht trivial. Vom naiven Standpunkt her kann man, und das haben wir bisher getan und werden wir auch weiterhin tun, die Vorstellung einer „kontinuierlichen Zahlengerade“ zugrunde legen, und dies als Existenznachweis akzeptieren. In einer strengeren mengentheoretischen Begründung der Existenz geht man von aus und konstruiert die reellen Zahlen als die Menge der Cauchy-Folgen in mit einer geeigneten Identifizierung.
- Folgerungen aus der Vollständigkeit
Eine beschränkte und monotone Folge in
Diese Aussage ist auch die Grundlage dafür, dass die Dezimalentwicklung stets eine
(eindeutige)
reelle Zahl definiert. Eine
(unendliche)
Dezimalentwicklung
mit (wir beschränken uns auf nichtnegative Zahlen) und ist nämlich die Folge der rationalen Zahlen
Diese ist offenbar monoton wachsend. Sie ist ferner nach oben beschränkt, beispielsweise durch , so dass dadurch in der Tat eine reelle Zahl definiert wird.
- Intervallschachtelungen
Eine Folge von abgeschlossenen Intervallen
in heißt eine Intervallschachtelung, wenn für alle ist und wenn die Folge der Intervalllängen, also
gegen konvergiert.
Es sei , , eine Intervallschachtelung in .
Dann besteht der Durchschnitt
.
Eine reelle Intervallschachtelung bestimmt also genau eine reelle Zahl.
Beweis
Zu jeder nichtnegativen reellen Zahl und jedem
gibt es eine eindeutige nichtnegative reelle Zahl mit
Wir definieren rekursiv eine Intervallschachtelung , und zwar setzen wir
und eine beliebige reelle Zahl mit . Es seien die Intervallgrenzen bis zum Index bereits definiert, die Intervalle seien ineinander enthalten und es gelte dabei
Wir setzen
und
Dadurch wird eine Grenze beibehalten und die andere Grenze wird durch das arithmetische Mittel der beiden Vorgängergrenzen ersetzt. Insbesondere gelten die angegebenen Eigenschaften für alle Intervalle und es liegt eine Intervallschachtelung vor. Es sei die durch diese Intervallschachtelung gemäß Satz 8.12 festgelegte reelle Zahl. Nach Aufgabe 8.18 gilt
Damit ist nach Lemma 8.1 (2)
Wegen der Konstruktion der Intervallgrenzen ist dies nach Lemma 7.11 sowohl als auch , also ist .
Diese eindeutig bestimmte Zahl wird mit oder mit bezeichnet.
- Bestimmte Divergenz
Eine Folge in heißt bestimmt divergent gegen , wenn es zu jedem ein mit
gibt.
Sie heißt bestimmt divergent gegen , wenn es zu jedem ein mit
gibt.