Kurs:Algebraische Kurven (Osnabrück 2012)/Vorlesung 24

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Tangenten bei Parametrisierungen



Satz  

Es sei ein unendlicher Körper und

eine durch Polynome in einer Variablen gegebene Abbildung, deren Bild in der Kurve liege. Es sei .

Dann liegt der (Ableitungs)-Vektor im Kern der durch die Jacobi-Matrix

definierten linearen Tangentialabbildung

Ist und verschwinden nicht beide partiellen Ableitungen von und ist ein glatter Punkt von , so definiert der Vektor die Richtung der Tangente von in .

Beweis  

Wegen ist die Hintereinanderschaltung die konstante Abbildung auf den Nullpunkt. Über einem unendlichen Körper sind dann auch die beschreibenden Komponentenpolynome gleich . Daher ist nach der (algebraischen) Kettenregel auch

und das ist die Behauptung. Daraus folgt auch der Zusatz, da unter den angegebenen Bedingungen der Kern der Jacobi-Matrix und das Bild der Tangentialabbildung eindimensional sind, also wegen der Inklusion übereinstimmen müssen.



Beispiel  

Es sei der endliche Körper mit Elementen, wobei eine Primzahl und ist. Die Abbildung

besitzt den einzigen Bildpunkt . Der formale Ableitungsvektor dieser Parametrisierung ist aber

Eine geometrisch konstante Kurve kann also in positiver Charakteristik eine nicht-verschwindende Ableitung besitzen. Der Nullpunkt ist ein glatter Punkt auf sämtlichen Geraden . Die Tangente stimmt mit der Geradengleichung überein, diese annulliert aber nur bei den Vektor . In Satz 24.1 kann man also nicht auf die Unendlichkeitsvoraussetzung verzichten.



Beispiel  

Wir knüpfen an Beispiel 6.3 an, d.h. wir betrachten die Kurve mit der Parametrisierung

Die partiellen Ableitungen von sind

Die Jacobi-Matrix der Parametrisierung ist

Damit ist in der Tat (mit )

Für ergibt sich beispielsweise der Bildpunkt . Für diesen Wert ist der Ableitungsvektor gleich . Die partiellen Ableitungen an ergeben den Gradienten , der senkrecht zum Tangentialvektor steht. Die Tangente selbst wird durch

beschrieben.




Tangenten bei Raumkurven

Wir beschränken uns zwar hauptsächlich auf den Fall von ebenen Kurven, dennoch kann man auch für Kurven in einer höherdimensionalen Umgebung und überhaupt für beliebige Varietäten mit der Hilfe von Ableitungen die Begriffe glatt und singulär definieren. Wir demonstrieren dies kurz für Raumkurven, die durch zwei Polynome in drei Variablen ohne gemeinsame Komponenten gegeben seien (nicht jede Raumkurve lässt sich so beschreiben!). In diesem Fall betrachtet man zu einem Punkt wieder die Jacobi-Matrix

Dann ist ein glatter Punkt der Kurve genau dann, wenn diese Matrix den Rang zwei hat. Der eindimensionale Kern definiert dann die Tangente.


Beispiel  

Wir knüpfen an Beispiel 4.6 an, also den Schnitt der beiden Zylinder, die durch

gegeben sind. Die partiellen Ableitungen sind

Ein singulärer Punkt liegt vor, wenn diese durch die Jacobi-Matrix definierte Abbildung einen Rang hat, und dies ist genau dann der Fall, wenn die beiden partiellen Ableitungstupel linear abhängig sind (und es ein Punkt der zugehörigen Varietät ist). Wegen der beiden Nullen kann lineare Abhängigkeit nur bei vorliegen, und dort liegt sie für beliebiges auch vor. Bei ergibt allerdings nur einen Punkt der Kurve, und das sind die beiden singulären Punkte von . Dies sind natürlich genau die beiden Schnittpunkte der beiden Kreise, die nach Beispiel 4.6 die irreduziblen Komponenten von sind.

Wenn die Radien der beiden Zylinder nicht gleich groß sind, sagen wir , so funktioniert die Bestimmung der singulären Punkte zunächst genau gleich, und man gelangt zur Bedingung und , die nicht beide zugleich erfüllt sein können. Bei unterschiedlichen Radien ist die Schnittkurve also glatt.




Potenzreihenringe

Definition  

Es sei ein kommutativer Ring und eine Menge von Variablen. Eine formale Potenzreihe ist ein Ausdruck der Form

wobei für alle ist.

Man addiert zwei Potenzreihen komponentenweise und multipliziert sie in der gleichen Weise wie Polynome. In einer Variablen hat man

mit .


Definition  

Es sei ein kommutativer Ring. Dann bezeichnet man mit

den Potenzreihenring in Variablen (oder den Ring der formalen Potenzreihen in Variablen).

Wir interessieren uns hauptsächlich für den Potenzreihenring in einer Variablen über einem Körper . Mit Hilfe von Potenzreihenringen kann man „formale Parametrisierungen“ für beliebige algebraische Kurven in jedem Punkt finden, was wir in der nächsten Vorlesung behandeln werden. Zunächst müssen wir einige grundlegende Eigenschaften der Potenzreihenringe verstehen.



Satz  

Es sei ein Körper und sei der Ring der formalen Potenzreihen in einer Variablen.

Dann ist eine formale Potenzreihe genau dann eine Einheit, wenn der konstante Term ist.

Beweis  

Die angegebene Bedingung ist notwendig, da die Abbildung

die eine Potenzreihe auf ihren konstanten Term schickt, ein Ringhomomorphismus ist, siehe Aufgabe *****. Für die Umkehrung müssen wir eine Potenzreihe mit

angeben. Für ergibt sich daraus die Bedingung , die wegen eine eindeutige Lösung besitzt, nämlich . Nehmen wir induktiv an, dass die Koeffizienten für schon konstruiert seien, und zwar derart, dass sämtliche Koeffizienten , , der Produktreihe gleich sind. Für den -ten Koeffizienten ergibt sich die Bedingung

Dabei sind bis auf alle Werte schon festgelegt, und wegen ergibt sich eine eindeutige Lösung für .



Korollar  

Es sei ein Körper und der Potenzreihenring in einer Variablen.

Dann ist ein diskreter Bewertungsring.

Beweis  

Zunächst ist ein lokaler Ring mit maximalem Ideal . Wenn nämlich eine Potenzreihe keine Einheit ist, so muss nach Satz 24.7 der konstante Term von gleich sein. Dann kann man aber mit der umindizierten Potenzreihe schreiben. Die Nullteilerfreiheit folgt durch Betrachten der Anfangsterme: Sind und von verschiedene Potenzreihen, so ist

und

mit . Für die Produktreihe ist dann der Koeffizient

da die kleineren Koeffizienten alle sind. Es bleibt also noch noethersch zu zeigen. Es ergibt sich aber direkt, dass ein Hauptidealbereich vorliegt, und zwar wird jedes Ideal von erzeugt, wobei das Minimum über alle Indizes von Koeffizienten von Potenzreihen in dem Ideal ist.


Man kann Potenzreihen nicht nur addieren und multiplizieren, sondern auch, unter gewissen Zusatzbedingungen, Potenzreihen in andere Potenzreihen einsetzen. Diese Operation entspricht der Hintereinanderschaltung von Abbildungen.


Definition  

Es sei ein Körper und eine Potenzreihe. Es sei eine weitere Potenzreihe mit konstantem Term . Dann nennt man die Potenzreihe

die eingesetzte Potenzreihe. Ihre Koeffizienten sind durch

festgelegt. Hierbei wird über alle geordneten -Tupel summiert.

Man beachte in der vorstehenden Definition, dass wegen nur über summiert wird, so dass alle beteiligten Summen endlich sind. Die Formeln für das Einsetzen sind derart, dass sie bei Polynomen das übliche Einsetzen von Polynomen in Polynome ergeben. Einsetzen von Potenzreihen in Potenzreihen liefert wieder einen Einsetzungshomomorphismus der Potenzreihenringe.


Lemma  

Es sei ein Körper mit dem Potenzreihenring . Es sei eine Potenzreihe mit konstantem Term .

Dann definiert durch Einsetzen einen - Algebrahomomorphismus

Beweis  

Die Abbildung ist wohldefiniert. Um zu zeigen, dass ein Ringhomomorphismus vorliegt, muss man lediglich gewisse Koeffizienten vergleichen. Diese hängen immer nur von endlich vielen Koeffizienten der beteiligten Potenzreihen an, so dass sich diese Aussage aus dem polynomialen Fall ergibt.



Lemma  

Es sei ein Körper, der Potenzreihenring über und mit und .

Dann definiert der durch definierte Einsetzungshomomorpismus einen - Algebraautomorphismus auf .

Beweis  

Wir zeigen zunächst, dass es eine Potenzreihe mit gibt. Dabei muss und sein. Es sei nun die Potenreihe mit der gewünschten Eigenschaft bis zum -Koeffizienten bereits konstruiert. Für den Koeffizienten hat man nach der Definition 24.9 die Bedingung

Daraus ergibt sich eine eindeutig lösbare Bedingung an .

Wir betrachten nun die Hintereinanderschaltung

Dabei ist die Gesamtabbildung der Einsetzungshomomorphismus , und das ist die Identität. Insbesondere ist die hintere Abbildung surjektiv. Da nach Korollar 24.8 ein diskreter Bewertungsring, sind die Ideale darin bekannt, und nur das Nullideal kommt als Kern der Abbildung in Frage. Die Abbildung ist also auch injektiv und damit bijektiv.


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