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Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 26

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In den verbleibenden Vorlesungen konzentrieren wir uns auf den holomorphen Standpunkt, insbesondere deshalb, weil man in der holomorphen Kategorie deutlich mehr Isomorphismen zur Verfügung habt, mit deren Hilfe man nahe verwandte Situationen ineinander überführen kann. Der hier relevante Unterschied zwischen der polynomialen (algebraischen) und der holomorphen Situation kommt schon darin zum Ausdruck, dass es zwar eine holomorphe Version des Satzes über implizite Abbildungen gibt, aber keine algebraische. Deshalb kann man rein algebraisch verschiedene glatte gleichdimensionale Punkte auf Varietäten nicht ineinander überführen, oft sind verschiedene Funktionenkörper der Varietäten ein Hindernis dafür (formal algebraisch, wenn man mit Komplettierungen arbeitet, ist das wiederum möglich). Wir besprechen hier die sogenannte Rechtsäquivalenz von holomorphen Funktionen (und der Singularitäten auf den dadurch definierten Hyperflächen) und Kriterien dafür, wann Rechtsäquivalenz vorliegt. Die Theorie der endlichen Bestimmtheit erlaubt es in vielen Fällen, zu zeigen, dass „kleine“ algebraische Manipulationen den Rechtsäquivalenztyp nicht ändern. Die Frage, wie viele unterschiedliche Singularitäten bei einer Deformation einer holomorphen Funktion bzw. einer Hyperfläche auftreten können, führt zum Konzept der einfachen Singularitäten. Damit ergibt sich überraschenderweise eine neue Charakterisierung der ADE-Singularitäten.



Rechtsäquivalenz

Es seien und holomorphe Funktionen mit offen, mit und . Dann heißen rechtsäquivalent (im Nullpunkt), wenn es offene Teilmengen und und eine biholomorphe Abbildung

mit

gibt.

Es liegt dann ein kommutatives Diagramm

vor. Man beachte, dass man dabei die offenen Definitionsbereiche durch kleinere ersetzen darf. Typischerweise wird diese Verkleinerung stillschweigend durchgenommen, man ändert die Bezeichnung der offenen Menge nicht. Statt von einer biholomorphen Abbildung spricht man auch von einer (holomorphen) Transformation oder einem (holomorphen) Koordinatenwechsel. Von Rechtsäquivalenz spricht man, da die vermittelnde biholomorphe Abbildung rechts steht. Mit der Umkehrabbildung gilt dann die Beziehung , was die Symmetrie dieses Konzeptes sicherstellt. Insgesamt liegt eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Paare bzw. auf der Menge der holomorphen Abbildungskeime vor.

Wenn man sich nicht auf den Nullpunkt konzentrieren möchte, so gilt eine entsprechende Definition, bei der dann den Punkt auf den Punkt abbilden muss und wo im Bildraum noch die Bildpunkte ineinander verschoben werden.


Es seien und holomorphe Funktionen mit offen, mit und . Für beide Funktionen sei ein regulärer Punkt.

Dann sind und zueinander rechtsäquivalent.

Da die Rechtsäquivalenz eine Äquivalenzrelation ist, können wir annehmen dass die Projektion

die Projektion auf die erste Koordinate ist. Dann folgt die Aussage direkt aus der holomorphen Version des Satzes über implizite Abbildungen.

Insofern ist das Konzept Rechtsäquivalenz hauptsächlich für kritische Punkte von holomorphen Funktionen relevant. Im rein algebraischen Kontext gibt es keinen Satz über implizite Abbildungen und dort gibt es im Allgemeinen keinen Isomorphismus zwischen regulären Ringen gleicher Dimension.


Es seien und holomorphe Funktionen mit offen, mit und . Die beiden Funktionen seien rechtsäquivalent.

Dann sind die Hyperflächen und im Nullpunkt zueinander lokal analytisch isomorph und es liegt ein - Algebraisomorphismus vor.

Die biholomorphe Abbildung , die es aufgrund der Rechtsäquivalenz gibt, überführt die Faser unmittelbar in die Faser . Die biholomorphe Abbildung definiert dabei einen - Algebraisomorphismus

der in überführt. Dies induziert einen -Algebraisomorphismus



Eine nichtkonstante holomorphe Funktion in einer Variablen (mit offen) ist im Nullpunkt rechtsäquivalent zu einer Potenz . Die Potenzreihenentwicklung von im Nullpunkt hat die Form

mit , , und . Dann ist in einer offenen Umgebung von die Funktion nullstellenfrei und daher ist auf einer offenen Umgebung der auch eine Wurzel wohldefiniert und holomorph. Daher ist dort durch eine biholomorphe Abbildung gegeben, die und als rechtsäquivalent erweist. Verschiedene Potenzen sind untereinander nicht rechtsäquivalent nach Lemma 26.3.


Die Rechtsäquivalenz bedeutet insbesondere, dass es konvergente Potenzreihen in Variablen (nämlich den Komponentenfunktionen zu ) gibt, sagen wir

derart, dass die Determinante der Matrix

(die ja die lineare Approximation von im Nullpunkt ist) von verschieden ist und dass die Potenzreihengleichheit

gilt.



Es seien und holomorphe Funktionen mit offen, mit und . Die beiden Funktionen seien rechtsäquivalent.

Dann überführt der zur biholomorphen Abbildung

gehörende - Algebraisomorphismus

das Jacobiideal in das Jacobiideal , also

Insbesondere haben die beiden Funktionen im Nullpunkt die gleiche Milnorzahl.

Aufgrund der Rechtsäquivalenz gibt es eine biholomorphe Abbildung und dadurch einen -Algebraisomorphismus

(die Indizes beziehen sich auf die Räume, nicht auf die Dimension). Es seien die Koordinaten von und die Koordinaten von . Nach der Kettenregel gilt die Beziehung

für bzw., mit den partiellen Ableitungen und als Gleichheit von Funktionstupeln auf geschrieben,

Insbesondere gilt

im lokalen Ring und das bedeutet

für alle , also

Wegen der Symmetrie der Situation gilt Gleichheit.

Das Konzept der Rechtsäquivalenz kann man auch rein algebraisch definieren, für Polynome oder rationale Funktionen auf Zariski-offenen Mengen im affinen Raum (oder für rationale Funktionen auf glatten gleichdimensionalen Varietäten) mit der Hilfe von (auf eventuell kleineren offenen Teilmengen definierten) Isomorphismen zwischen und . Dabei sind aber, anders als in Lemma 26.2, noch nicht einmal glatte Punkte auf den Nullstellengebilden zueinander algebraisch rechtsäquivalent. Bei einer Isomorphie der umgebenden Räume, die die beiden algebraischen Situationen ineinander überführt, werden wie in Lemma 26.3 insbesondere auch die Nullstellengebilde ineinander überführt und diese sind daher isomorph. Einen solchen Isomorphismus kann es aber beispielsweise zwischen einer Geraden in der Ebene und der Kurve nicht geben, da der Quotientenkörper der letzteren Kurve kein rationaler Funktionenkörper in einer Variablen ist.



Wir betrachten das Polynom und das zugehörige Nullstellengebilde , also die zugehörige ebenen monomiale Kurve. Wir betrachten die polynomiale Abbildung

die einen Isomorphismus

induziert, die Umkehrabbildung ist durch

gegeben. Dabei ist

Somit liefert eingeschränkt auf bzw. einen Isomorphismus, der die monomialen Kurve ohne die Singularität in die Parabel ohne den Nullpunkt überführt.




Vektorfelder und Flüsse

Um verschiedene Funktionen in kritischen Punkten als rechtsäquialent nachweisen zu können, brauchen wir vor allem biholomorphe Abbildungen, die diese Rechtsäquivalenz vermitteln. Eine wichtige Quelle solcher Abbildungen ergibt sich mit der Hilfe von Vektorfeldern und den zugehörigen Flüssen.


Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine Abbildung

mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt ist, heißt (zeitunabhängiges) Vektorfeld.

Ein Vektorfeld definiert für jeden Punkt eine gewöhnliche zeitunabhängige Differentialgleichung (ein dynamisches System), nämlich

wobei die gesuchte auf einem reellen Intervall mit definierte differenzierbare Kurve ist. Zu jedem Zeitpunkt soll die Geschwindigkeit (also Ableitung) der Kurve mit dem durch das Vektorfeld vorgegebenen Richtungsvektor im Ortspunkt übereinstimmen und es soll die Anfangsbedingung erfüllt sein. Unter recht schwachen Bedingungen ist die Lösung einer solchen Differentialgleichung eindeutig. Wenn man den Punkt variiert, und die Lösungen zu jedem Anfangspunkt stets auf ganz definiert sind, so ergibt sich insgesamt eine Abbildung

wobei

und die Lösung der Differentialgleichung zum Startpunkt ist. Die Abbildung enthält die volle Information über das Vektorfeld und alle Lösungen der zugehörigen Differentialgleichungen und heißt der Fluss zum Vektorfeld. Die Abbildung zu festem ergibt die Lösungskurve und die Abbildung

zu festem beschreibt, wohin ein Punkt durch die Differentialgleichung hintransportiert wird. Das Vektorfeld kann man über

ebenfalls aus ablesen. Die zu einem fixierten gegebene Abbildung ist unter gewissen Differenzierbarkeitsvoraussetzungen ein Diffeomorphismus der Mannigfaltigkeit in sich. Dies kann man wiederum als eine Abbildung

auffassen. Dabei gilt und

für . Das ist also ein Gruppenhomomorphismus der reellen additiven Gruppe in die Gruppe der Diffeomorphismen, man spricht von einer Einparametergruppe von Diffeomorphismen. Die begleitende Vorstellung ist dabei, dass die Identität mit Hilfe des Zeitparameters in einen komplizierteren Diffeomorphismus deformiert wird.

Im Allgemeinen sind die Lösungen zu einer gewöhnlichen Differentialgleichung nicht auf ganz definiert, sondern nur auf bestimmten Intervallen, die auch noch vom Startpunkt abhängen. Typischerweise ist dann nicht auf ganz definiert, sondern, bei gegebenem Punkt , auf einer Menge der Form , wobei ein reelles Intervall mit und eine offene Umgebung von ist. Der Fluss ist also immerhin in einer Umgebung des Punktes für ein gewisses Zeitintervall definiert. Die Morphismen sind von der Form und sind Diffeomorphismen auf das (offene) Bild.


Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit eine offene Teilmenge und ein offenes Intervall. Eine differenzierbare Abbildung

heißt lokal einparametrige Gruppe von Diffeomorphismen, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind.

  1. Für jedes ist ein Diffeomorphismus auf die offene Menge .
  2. Es ist .
  3. Für mit und mit gilt



Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit, und ein Vektorfeld auf .

Dann gibt es eine offene Umgebung , ein offenes Intervall und eine lokal einparametrige Gruppe von Diffeomorphismen

die das Vektorfeld löst.

Dieser Satz wird in Büchern über Differentialgleichungen bewiesen.


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Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)