Logik/Vollständigkeitssatz/Textabschnitt
Im Laufe der Einführung des syntaktischen Prädikatenkalküls haben wir gesehen, dass die in ihm ableitbaren Ausdrücke allgemeingültig sind, dass also sämtliche durch den Prädikatenkalkül generierten formalen Tautologien auch semantische Tautologien sind. Daraus ergibt sich insbesondere, dass sich aus der Ableitbarkeitsbeziehung
die Folgerungsbeziehung
ergibt. Diese Aussage nennt man auch den Korrektheitssatz. Der entworfene Kalkül produziert also nur korrekte mathematische Aussagen.
Die Umkehrung ist deutlich schwieriger: Es geht um die Frage, ob der Kalkül jeden allgemeingültigen Ausdruck formal ableiten kann, ob es also für jeden mathematischen Beweis eines Ausdrucks einer Sprache erster Stufe auch einen formalen Beweis gibt. Es ist die Frage, ob der Kalkül vollständig ist. Dies ist in der Tat der Fall. Für diesen Vollständigkeitssatz, der auf Gödel zurückgeht, geben wir nur eine kurze Beweisidee.
- Der Satz von Henkin
Eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ) heißt maximal widerspruchsfrei, wenn sie widerspruchsfrei ist und wenn jede Hinzunahme eines jeden Ausdrucks die Menge widersprüchlich macht.
Man sagt, dass eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ) Beispiele enthält, wenn es für jeden Ausdruck der Form einen -Term derart gibt, dass
zu gehört.
Diese beiden Begriffe sind durch folgende Aussage motiviert.
Es sei ein Symbolalphabet und eine -Interpretation auf einer Menge , wobei die Terminterpretation surjektiv sei.
Dann ist die Gültigkeitsmenge maximal widerspruchsfrei und enthält Beispiele.
Zunächst ist
aufgrund des
Korrektheitssatzes
abgeschlossen unter Ableitungen. Für jeden
-Ausdruck
gilt die Alternative: Entweder
oder
.
Insbesondere ist widerspruchsfrei. Wenn
ist, so ist
und daher ist widersprüchlich. Also ist maximal widerspruchsfrei.
Wir betrachten nun einen Ausdruck der Form
.
Wenn
gilt, so gilt in für jeden Term , da ja der Vordersatz nicht gilt. Wenn hingegen
gilt, so gibt es aufgrund des semantischen Aufbaus der Gültigkeitbeziehung ein
derart, dass gilt. Wegen der vorausgesetzten Surjektivität der Belegung gibt es einen Term , der durch interpretiert wird. Daher gilt
nach dem Substitutionslemma
in . Also gilt in .
Es sei eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ), die maximal widerspruchsfrei ist. Dann gelten folgende Eigenschaften.
- Für jeden Ausdruck ist entweder oder .
- Aus folgt , d.h. ist abgeschlossen unter Ableitungen.
- Für Ausdrücke ist genau dann, wenn und ist.
(1). Wegen der Widerspruchsfreiheit kann nicht sowohl als auch zu gehören. Wenn weder noch zu gehören, so ist entweder oder widerspruchsfrei. Wären nämlich beide widersprüchlich, so würde für einen beliebigen Ausdruck sowohl
als auch
gelten. Dies bedeutet
und
woraus aufgrund der Fallunterscheidungsregel
folgt. Dies bedeutet aber, dass widersprüchlich ist.
(2). Es sei . Nach (1) ist
oder
.
Das zweite kann nicht sein, da sich daraus sofort ein Widerspruch ergeben würde. Also ist
.
(3). Die Richtung von links nach rechts folgt aus (2). Es seien also
.
Da
nach Aufgabe
eine Tautologie ist, folgt
nach Teil (2).
Wir werden nun umgekehrt zu
Fakt
zeigen, dass man zu einer jeden maximal widerspruchsfreien Ausdrucksmenge , die Beispiele enthält, eine Interpretation konstruieren kann, deren Gültigkeitsmenge mit übereinstimmt. Diese Konstruktion, die wir die kanonische Termidentifizierung nennen, geht folgendermaßen.
Es sei eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ), die abgeschlossen unter Ableitungen ist. Dann definiert man auf der Menge aller -Terme eine Äquivalenzrelation durch
Es sei die Menge der Termklassen (also die Menge der Äquivalenzklassen zu dieser Äquivalenzrelation). Auf definiert man für jedes -stellige Relationssymbol eine -stellige Relation durch
und für jedes -stellige Funktionssymbol eine -stellige Funktion durch
Konstanten werden als
interpretiert.
Wir müssen natürlich zunächst zeigen, dass wirklich eine Äquivalenzrelation vorliegt und dass die Relationen und Funktionen wohldefiniert sind.
Es sei eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ), die abgeschlossen unter Ableitungen ist.
Dann liefert die in Fakt beschriebene Konstruktion eine Äquivalenzrelation auf der Menge aller Terme und wohldefinierte Relationen bzw. Funktionen auf der Menge der Termklassen.
Eine Äquivalenzrelation liegt aufgrund von Axiom (1) und Fakt (1), (2) vor, da ja nach Voraussetzung abgeschlossen unter Ableitungen ist und insbesondere alle syntaktischen Tautologien enthält.
Es sei die Menge der Äquivalenzklassen, die wir in diesem Zusammenhang Termklassen nennen. Es sei ein -stelliges Relationssymbol. Es sei ein -Tupel aus Termklassen, die einerseits durch das Termtupel und andererseits durch das Termtupel repräsentiert werde. Es gilt also bzw. . Wenn nun zu gehört, so folgt aus Fakt (4) auch . Unter den gleichen Voraussetzungen folgt mit Fakt (3) die Zugehörigkeit und somit
also die Wohldefiniertheit der Funktion.
Es sei eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ), die abgeschlossen unter Ableitungen ist.
Dann gilt für die Interpretation , wobei die in Fakt beschriebene Menge aus Termklassen (mit der natürlichen Interpretation von Konstanten, Funktionssymbolen und Relationssymbolen) und die natürliche Belegung für Variablen ist, die Beziehung
für alle Terme .
Wir führen Induktion über den Aufbau der Terme, wobei der Induktionsanfang unmittelbar durch die natürliche Belegung gesichert ist. Die Aussage gelte nun für Terme und sei ein -stelliges Funktionssymbol. Dann ist
Die folgende Aussage heißt Satz von Henkin. Er wird durch Induktion über den sogenannten Rang eines Ausdrucks bewiesen.
Es sei eine Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ), die maximal widerspruchsfrei ist und Beispiele enthält.
Dann ist die in Fakt gegebene Interpretation ein Modell für .
Insbesondere ist erfüllbar.
Es sei das konstruierte Modell zu und die zugehörige Interpretation mit der natürlichen Belegung für die Variablen. Wir zeigen die Äquivalenz
für alle Ausdrücke , durch Induktion über den Rang der Ausdrücke. Zum Induktionsanfang sei der Rang von gleich , also atomar. D.h. ist entweder von der Form oder . Im ersten Fall ist äquivalent zu bzw. in . Dies ist nach Fakt äquivalent zu und das bedeutet .
Im zweiten Fall ist - nach Konstruktion von und - äquivalent zu , und dies ist äquivalent zu .
Es sei nun die Aussage für alle Ausdrücke vom Rang bewiesen und sei ein Ausdruck vom Rang . Wir betrachten die mögliche Struktur von gemäß Definition. Bei
ergibt sich die Äquivalenz aus der Induktionsvoraussetzung ( hat kleineren Rang als ) und Fakt (1). Bei
besitzen die beiden Bestandteile kleineren Rang als . Die Zugehörigkeit ist nach Fakt (3) äquivalent zur gemeinsamen Zugehörigkeit . Nach Induktionsvoraussetzung bedeutet dies und . Dies bedeutet wiederum aufgrund der Modellbeziehung. Bei
besitzt wieder einen kleineren Rang. Die Zugehörigkeit ist aufgrund der Eigenschaft, Beispiele zu enthalten und aufgrund von Axiom äquivalent zur Existenz eines Terms und der Zugehörigkeit . Die Substitution von nach verändert nach Aufgabe nicht den Rang. Wir können also auf die Induktionsvoraussetzung anwenden und erhalten die Äquivalenz zu . Nach dem Substitutionslemma ist dies äquivalent zu bzw. wegen Fakt. Dies ist äquivalent zu aufgrund der Modellbeziehung und der Surjektivität der Termabbildung.
- Auffüllungsstrategien
Die Strategie ist nun, eine widerspruchsfreie Ausdrucksmenge zu einer maximal widerspruchsfreien Ausdrucksmenge, die Beispiele enthält, aufzufüllen, und so ein erfüllenden Modell zu bekommen. Dabei betrachten wir zunächst das Problem, Beispiele hinzuzunehmen. Es sei eine widerspruchsfreie Ausdrucksmenge über dem Alphabet . Zu jedem Ausdruck müssen wir einen Ausdruck der Form mit einem gewissen Term hinzunehmen. Das Problem ist hierbei, dass bei ungeeigneter Wahl von die Hinzunahme dieses Ausdrucks widersprüchlich machen könnte. Es gibt keine Garantie, dass es überhaupt einen -Term gibt, mit dem man widerspruchsfrei erweitern kann. Von daher wählt man eine andere Strategie, indem man simultan das Symbolalphabet erweitert und den hinzuzunehmenden Existenzausdruck mit einem neuen „unbelasteten“ Term ansetzt.
Es sei eine widerspruchsfreie Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ).
Dann gibt es eine Symbolerweiterung und eine widerspruchsfreie -Ausdrucksmenge derart, dass es zu jedem Ausdruck einen Term (über ) derart gibt, dass
gilt.
Die Menge definieren wir als disjunkte Vereinigung
wobei eine Variablenmenge ist, die für jeden Ausdruck der Form genau eine (neue) Variable enthält, die wir mit bezeichnen. Wir setzen
Daher ist und enthält -Beispiele. Es bleibt also die Widerspruchsfreiheit zu zeigen. Wäre widerspruchsvoll, so wäre auch eine endliche Teilmenge davon widerspruchsvoll und insbesondere würde es Ausdrücke derart geben, dass
widersprüchlich ist (dabei können die gleich oder verschieden sein). Da bei jeder Hinzunahme eine neue Variable verwendet wird, können wir induktiv Fakt anwenden und erhalten die Widersprüchlichkeit von .
Es sei eine widerspruchsfreie Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ).
Dann gibt es eine aufsteigende Folge von Symbolmengen
und eine Folge von aufsteigenden -Ausdrucksmengen
derart, dass zum Symbolalphabet die -Ausdrucksmenge
widerspruchsfrei ist und Beispiele enthält.
Exkurs zum Zornschen Lemma.
Es sei eine widerspruchsfreie Menge an -Ausdrücken (über einem Symbolalphabet ).
Dann gibt es eine maximal widerspruchsfreie -Menge mit .
Wie betrachten die Menge
aller widerspruchsfreien -Ausdrucksmengen oberhalb von . Es ist . Es sei eine nichtleere total geordnete Teilmenge. Die Vereinigung ist ebenfalls eine -Ausdrucksmenge, die umfasst. Sie ist auch widerspruchsfrei. Würde nämlich gelten, so könnte man schon aus einer endlichen Teilmenge einen Widerspruch ableiten. Die Elemente aus liegen jeweils in je einem , und da diese eine Kette bilden, gibt es auch ein mit , also wäre widersprüchlich. Somit sind die Voraussetzungen im Lemma von Zorn erfüllt und daher gibt es eine maximale Menge in . Diese ist offenbar maximal widerspruchsfrei.
Die folgende Aussage ist der Vollständigkeitssatz.
Es sei ein Symbolalphabet, eine Menge an -Ausdrücken und ein weiterer -Ausdruck.
Dann gilt genau dann, wenn gilt.
Die Richtung von rechts nach links ist der Korrektheitssatz. Es sei umgekehrt . Um zu zeigen, dass auch gilt, müssen wir ein Modell angeben, das erfüllt, aber nicht . Die Nichtableitbarkeit bedeutet, dass widerspruchsfrei ist, und wir müssen zeigen, dass erfüllbar ist. Nach Fakt gibt es eine widerspruchsfreie Erweiterung des Symbolalphabets und eine Erweiterung von , die Beispiele enthält. Nach Fakt gibt es eine maximal widerspruchsfreie -Ausdrucksmenge . Diese enthält mit ebenfalls Beispiele. Nach dem Satz von Henkin gibt es eine -Interpretation, die erfüllt. Diese Interpretation erfüllt erst recht .
Das folgende Korollar, der sogenannte Endlichkeitssatz, demonstriert, dass der Vollständigkeitssatz keineswegs selbstverständlich ist. Es sei eine Folgerungsbeziehung bewiesen, also gezeigt, dass jede Interpretation, die erfüllt, auch erfüllen muss. Dabei sei unendlich, man denke etwa an ein unendliches Axiomenschema, wie es im Induktionsschema der einstufigen Peano-Arithmetik vorliegt. Ist es vorstellbar, dass in einem Beweis irgendwie auf all diese unendlich vielen Voraussetzungen Bezug genommen wird?
Es sei ein Symbolalphabet, eine Menge an -Ausdrücken und ein weiterer -Ausdruck.
Dann gilt genau dann, wenn es eine endliche Teilmenge gibt mit .
Es sei ein Symbolalphabet und eine Menge an -Ausdrücken. Es sei jede endliche Teilmenge erfüllbar.
Dann ist erfüllbar.
Dies folgt aus Fakt. Für die Widerspruchsfreiheit ist die Aussage klar, da eine Ableitung eines Widerspruchs nur Bezug auf endlich viele Voraussetzungen nimmt.