Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 21

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Die beiden nächsten Vorlesungen kann man unter dem Aspekt sehen, welche topologischen Eigenschaften die reellen Zahlen gegenüber den rationalen Zahlen auszeichnen und wie sich diese Unterschiede auf stetige Abbildungen auswirken. Bereits in der achten Vorlesung wurde die intuitive Vorstellung, dass die reellen Zahlen ein „Kontinuum“ bilden, durch den Begriff der Vollständigkeit präzisiert, also durch die Eigenschaft, dass jede Cauchy-Folge konvergiert. Weitere mathematische Präzisierungnen dieser Vorstellung liefern die beiden Begriffe zusammenhängend und kompakt.



Zusammenhängende Räume
Die rote Menge ist zusammenhängend, die grüne Menge nicht.



Definition  

Ein metrischer Raum heißt zusammenhängend, wenn es genau zwei Teilmengen von gibt (nämlich und selbst), die sowohl offen als auch abgeschlossen sind.

Den leeren metrischen Raum bezeichnet man gemäß dieser Definition als nicht zusammenhängend (oder unzusammenhängend). Ein nichtleerer nicht zusammenhängender Raum ist dadurch ausgezeichnet, dass man als disjunkte Vereinigung schreiben kann, wobei und beide nichtleer und in abgeschlossen (und damit auch beide offen) sind.

Das Tierchen Trichoplax adhaerens hat merkwürdige Zusammenhangseigenschaften. Es ist ein zusammenhängender Vielzeller. Wenn man es durch ein Sieb drückt, so dass die einzelnen Zellen voneinander getrennt werden, entstehen unzusammenhängende Zellen. Diese finden dann aber wieder zueinander und es entsteht erneut ein zusammenhängendes lebendiges Tierchen.


In der folgenden Aussage verstehen wir unter Intervalle auch die (einseitig oder beidseitig) unbeschränkten Intervalle, wie z.B. .


Satz  

Es sei eine Teilmenge der reellen Zahlen.

Dann ist genau dann zusammenhängend, wenn ein (nichtleeres) Intervall ist.

Beweis  

Es sei zuerst kein Intervall. Wenn leer ist, so ist nach Definition nicht zusammenhängend. Es sei also , aber kein Intervall. Dann gibt es nach Aufgabe ***** und mit

Dann ist die Menge

sowohl offen als auch abgeschlossen in , da man sowohl als Durchschnitt von mit einem offenen Intervall als auch als Durchschnitt mit einem abgeschlossenen Intervall schreiben kann. Wegen und ist sie weder noch , also ist nicht zusammenhängend.
Es sei nun ein nichtleeres Intervall und  sei angenommen, dass es eine Teilmenge mit gibt, die in sowohl offen als auch abgeschlossen sei. Es sei und  , . Wir betrachten das (abgeschlossene und beschränkte) Intervall (ohne Einschränkung sei ) und setzen . Dies ist eine in offene und abgeschlossene Teilmenge von , die wegen nicht leer ist und wegen nicht ganz ist. D.h., es genügt, die Behauptung für ein abgeschlossenes und beschränktes Intervall zu zeigen und können davon ausgehen, dass es eine offene und abgeschlossene Teilmenge mit und gibt. Wir betrachten die reelle Zahl , die wegen Satz 8.9 existiert. Da ein abgeschlossenes Intervall vorliegt, gehört zu und aufgrund von Korollar 19.17 ist . Da aber auch offen in ist, gibt es ein mit . Da das Supremum von ist, folgt . Dies ist ein Widerspruch zu .


Insbesondere sind also die reellen Zahlen zusammenhängend. Dies gilt auch für die komplexen Zahlen und für . Für die rationalen Zahlen gilt die vorstehende Aussage nicht, dort sind nämlich nur die einpunktigen Intervalle zusammenhängend, alle anderen Intervalle sind in unzusammenhängend, da es zwischen zwei rationalen Zahlen stets irrationale Zahlen gibt, mit deren Hilfe man Teilmenge definieren kann, die zugleich offen als auch abgeschlossen sind.



Zusammenhängende Räume und stetige Abbildungen

Wir interessieren uns dafür, was unter einer stetigen Abbildung mit einem Intervall passiert. Der Zwischenwertsatz besagt, dass das Bild wieder ein Intervall ist. Wir werden allgemeiner studieren, was mit einer zusammenhängenden Teilmenge unter einer stetigen Abbildung passiert.



Satz  

Es seien und metrische Räume und sei

eine stetige Abbildung. Es sei eine zusammenhängende Teilmenge.

Dann ist auch das Bild

zusammenhängend.

Beweis  

 Es sei und eine offene und abgeschlossene Teilmenge, die weder leer noch ganz sei. Die eingeschränkte Abbildung

ist ebenfalls stetig, und sie ist auch surjektiv. Daher ist eine offene und abgeschlossene Teilmenge in , die ebenfalls weder leer noch ganz ist, im Widerspruch zur Voraussetzung, dass zusammenhängend ist.




Satz (Zwischenwertsatz)  

Es seien reelle Zahlen und sei eine stetige Funktion. Es sei eine reelle Zahl zwischen und .

Dann gibt es ein mit .

Beweis  

Wir beschränken uns auf die Situation und zeigen die Existenz von einem solchen mit Hilfe einer Intervallhalbierung. Dazu setzt man und , betrachtet die Intervallmitte und berechnet

Bei setzt man

und bei setzt man

In jedem Fall hat das neue Intervall die halbe Länge des Ausgangsintervalls und liegt in diesem. Da es wieder die Voraussetzung erfüllt, können wir darauf das gleiche Verfahren anwenden und gelangen so rekursiv zu einer Intervallschachtelung. Sei die durch diese Intervallschachtelung gemäß Satz 8.12 definierte reelle Zahl. Für die unteren Intervallgrenzen gilt und das überträgt sich wegen der Stetigkeit nach dem Folgenkriterium auf den Grenzwert , also . Für die oberen Intervallgrenzen gilt und das überträgt sich ebenfalls auf , also .  Also ist .



Korollar  

Es seien reelle Zahlen und sei eine stetige Funktion mit und .

Dann gibt es ein mit und mit ,

d.h. besitzt eine Nullstelle zwischen und .

Beweis  

Dies folgt direkt aus Satz 21.4.



Beispiel  

Die Abbildung

ist stetig, sie genügt aber nicht dem Zwischenwertsatz. Für ist und für ist , es gibt aber kein mit , da dafür sein muss, wofür es in keine Lösung gibt. Der Zwischenwertsatz funktioniert also nur für reelle Zahlen.



Beispiel  

Es seien reelle Zahlen und sei eine stetige Funktion mit und . Dann besitzt die Funktion aufgrund des Zwischenwertsatzes eine Nullstelle in diesem Intervall. Diese kann man durch eine Intervallhalbierung finden. Dazu setzt man und und betrachtet die Intervallmitte . Man berechnet

Bei setzt man

und bei setzt man

In jedem Fall hat das neue Intervall die halbe Länge des Ausgangsintervalls und liegt in diesem. Da es wieder die Voraussetzung erfüllt, können wir darauf das gleiche Verfahren anwenden und gelangen so rekursiv zu einer Intervallschachtelung. Die durch die Intervallschachtelung definierte reelle Zahl ist eine Nullstelle der Funktion: Für die unteren Intervallgrenzen gilt und das überträgt sich auf den Grenzwert , und für die oberen Intervallgrenzen gilt und das überträgt sich ebenfalls auf .




Stetige bijektive Funktionen und ihre Umkehrfunktion

Es ist keineswegs so, dass die Umkehrabbildung einer bijektiven stetigen Abbildung zwischen metrischen Räumen wieder stetig ist. Für stetige Funktionen auf reellen Intervallen gilt dies aber.



Satz  

Es sei ein Intervall und

eine stetige, streng wachsende Funktion.

Dann ist das Bild

ebenfalls ein Intervall, und die Umkehrabbildung

ist ebenfalls stetig.

Beweis  

Dass das Bild wieder ein Intervall ist folgt aus Satz 21.3 und aus Satz 21.2.
Die Funktion ist injektiv, da sie streng wachsend ist und damit ist die Abbildung

auf das Bild bijektiv.
Die Umkehrfunktion

ist ebenfalls streng wachsend.
Sei und vorgegeben. Es sei zunächst kein Randpunkt von . Dann ist auch kein Randpunkt von . Sei vorgegeben und ohne Einschränkung angenommen. Dann ist

und für gilt wegen der Monotonie

Also ist stetig in . Wenn ein Randpunkt von ist, so ist auch ein Randpunkt von , sagen wir der rechte Randpunkt. Dann ist zu vorgegebenem wieder und erfüllt die geforderte Eigenschaft.




Wurzeln



Satz  

Es sei . Für ungerade ist

die Potenzfunktion

stetig, streng wachsend, bijektiv und die Umkehrfunktion

ist streng wachsend und stetig.

Für gerade ist die Potenzfunktion

stetig, streng wachsend, bijektiv und die Umkehrfunktion

ist streng wachsend und stetig.

Beweis  

Die Stetigkeit ergibt sich aus Fakt *****. Das strenge Wachstum für folgt aus der allgemeinen binomischen Formel. Für ungerades folgt das strenge Wachstum für aus der Beziehung und dem Verhalten im positiven Bereich. Daraus ergibt sich die Injektivität. Für ist , woraus die Unbeschränktheit des Bildes nach oben folgt. Bei ungerade folgt ebenso die Unbeschränktheit des Bildes nach unten. Aufgrund des Zwischenwertsatzes ist das Bild daher bzw. . Somit sind die angegebenen Potenzfunktionen surjektiv und die Umkehrfunktionen existieren. Die Stetigkeit der Umkehrfunktionen folgt aus Satz 21.8.



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