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Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 37

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Vergleichskriterien mit Reihen



Es sei ein rechtsseitig unbeschränktes Intervall und sei

eine stetige fallende Funktion mit für alle .

Dann existiert das uneigentliche Integral

genau dann, wenn die Reihe

konvergiert.

Wenn das uneigentliche Integral existiert, so betrachten wir die Abschätzung

die darauf beruht, dass die linke Seite das Treppenintegral zu einer unteren Treppenfunktion für auf ist. Da die rechte Seite beschränkt ist, gilt dies auch für die linke Seite, sodass wegen die Reihe konvergiert.
Ist umgekehrt die Reihe konvergent, so betrachten wir die Abschätzung

die gilt, da die rechte Seite das Treppenintegral zu einer oberen Treppenfunktion ist. Wegen ist die Integralfunktion wachsend und beschränkt, da die rechte Seite wegen der Konvergenz der Reihe beschränkt ist. Daher besitzt die Integralfunktion für einen Grenzwert und das uneigentliche Integral existiert.



Die Funktion

ist streng fallend. Daher ist die Funktion , die für mit () durch definiert ist, eine „Majorante“ für , also . Auf jedem Intervall liefert eine obere Treppenfunktion zu . Ebenso liefert die durch bei definierte Funktion eine untere Treppenfunktion für . Daher gelten die Abschätzungen

Das Integral in der Mitte besitzt den Wert . Daraus ergibt sich mit Lemma 37.1 ein neuer Beweis, dass die harmonische Reihe divergiert.

Die blaue Fläche stellt die Eulersche Konstante dar, die Darstellung ist überhöht.

Die Differenz zwischen der linken und der rechten Summe ist . Daher ist die Differenz

für jedes positiv, mit wachsend und nach oben beschränkt. Daher existiert für der Limes, und dieser Limes ändert sich nicht, wenn man vorne in der Summe bis aufsummiert anstatt bis . Wir setzen

und nennen sie die eulersche Konstante (oder Mascheronische Konstante). Ihr numerischer Wert ist ungefähr

Es ist ein offenes mathematisches Problem, ob diese Zahl rational ist oder nicht.


Die Riemannsche Zeta-Funktion im Reellen

Nach Beispiel 36.8 existiert für das uneigentliche Integral , so dass aufgrund von Lemma 37.1, auch die Reihen konvergieren. Daher ist die folgende Funktion wohldefiniert.


Die Riemannsche -Funktion ist für  mit durch

definiert.

Diese Funktion lässt sich komplex fortsetzen und spielt eine wichtige Rolle in der Zahlentheorie.



Die Fakultätsfunktion

Die Fakultät einer natürlichen Zahl ist . Dabei gilt die rekursive Beziehung . Gibt es eine Möglichkeit, diese für die natürlichen Zahlen definierte Funktion auf durch eine differenzierbare Funktion fortzusetzen? Ist es sogar möglich, dass dabei die Beziehung für jedes gilt? Wir werden mit Hilfe von uneigentlichen Integralen zeigen, dass dies in der Tat möglich ist.


Es sei . Wir betrachten die Funktion

Wir behaupten, dass das uneigentliche Integral

existiert. Für den rechten Rand (also ) betrachten wir eine natürliche Zahl . Da die Exponentialfunktion schneller wächst als jede Polynomfunktion (siehe Aufgabe 25.22), gibt es ein derart, dass für alle gilt. Daher ist

Für wächst das linke Integral und ist durch beschränkt, sodass der Grenzwert existiert. Für das Verhalten am linken Rand (das nur bei problematisch ist) müssen wir wegen nach Lemma 36.6 nur betrachten. Eine Stammfunktion davon ist , deren Exponent positiv ist, sodass der Limes für existiert.


Das uneigentliche Integral

existiert also für . Dies ist der Ausgangspunkt für die Definition der Fakultätsfunktion.


Für , , heißt die Funktion

die Fakultätsfunktion.

Die für durch

definierte Funktion heißt Gammafunktion, mit der häufiger gearbeitet wird. Mit der Fakultätsfunktion werden aber die Formeln etwas schöner und insbesondere wird der Zusammenhang zur Fakultät, der in der folgenden Aussage aufgezeigt wird, deutlicher.



Die Fakultätsfunktion besitzt die folgenden Eigenschaften.

  1. Es ist für .
  2. Es ist .
  3. Es ist für natürliche Zahlen .
  4. Es ist .

(1) Mittels partieller Integration ergibt sich (für reelle Zahlen bei fixiertem )

Für geht und für geht (da positiv ist). Wendet man auf beide Seiten diese Grenzwertprozesse an, so erhält man .
(2). Es ist


(3) folgt aus (1) und (2) durch Induktion.
(4). Es ist

Dies ergibt sich mit der Substitution und dem sogenannten Fehlerintegral.



Gewöhnliche Differentialgleichungen

Welche Bewegung vollzieht ein Löwenzahnfallschirmchen? Das Fallschirmchen lässt sich zu jedem Zeitpunkt von dem Wind tragen, der an der Stelle herrscht, wo es sich gerade befindet. Der Wind, seine Stärke und seine Richtung, hängt sowohl von der Zeit als auch vom Ort ab. Das bedeutet, dass hier ein gewisser „Rückkopplungsprozess“ vorliegt: Die bisherige Bewegung (also die Vergangenheit) bestimmt, wo sich das Fallschirmchen befindet und damit auch, welcher Wind auf es einwirkt und damit den weiteren Bewegungsablauf. Solche Bewegungsprozesse werden durch Differentialgleichungen beschrieben.

Differentialgleichungen sind ein fundamentaler Bestandteil der Mathematik und der Naturwissenschaften. Sie drücken eine Beziehung zwischen einer abhängigen Größe (häufig ) und der Änderung dieser Größe () aus. Viele Gesetzmäßigkeiten in der Natur wie Bewegungsprozesse, Ablauf von chemischen Reaktionen, Wachstumsverhalten von Populationen werden durch Differentialgleichungen beschrieben. Hier besprechen wir nur solche Differentialgleichungen, die durch Integration gelöst werden können.

Die Vektorfelder werden im Folgenden nicht immer auf ganz definiert sein, sondern auf einer offenen Menge . Dabei heißt offen, wenn es zu jedem Punkt eine offene Ballumgebung gibt, die ganz in liegt.


Es sei eine offene Teilmenge und es sei

eine Funktion. Dann nennt man

die (gewöhnliche) Differentialgleichung zu (oder zum Vektorfeld oder zum Richtungsfeld ).

Dabei ist erstmal nur ein formaler Ausdruck, dem wir aber sofort eine inhaltliche Interpretation geben. Das soll eine Funktion in einer Variablen repräsentieren und ihre Ableitung. Dies wird präzisiert durch den Begriff der Lösung einer Differentialgleichung.


Es sei eine offene Teilmenge und es sei

eine Funktion. Zur gewöhnlichen Differentialgleichung

heißt eine Funktion

auf einem (mehrpunktigen) Intervall eine Lösung der Differentialgleichung, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind.

  1. Es ist für alle .
  2. Die Funktion ist differenzierbar.
  3. Es ist für alle .

Statt Lösung sagt man auch Lösungsfunktion oder Lösungskurve. Es sei betont, dass anders als bei vielen Gleichungen wie quadratische Gleichungen oder lineare Gleichungssysteme, wo die Lösung eine Zahl oder ein Vektor ist, die Lösungen von Differentialgleichungen Funktionen sind.

Differentialgleichungen beschreiben häufig physikalische Prozesse, insbesondere Bewegungsprozesse. Daran soll auch die Notation erinnern, es steht für die Zeit und für den Ort. Dabei ist hier der Ort eindimensional, d.h. die Bewegung findet nur auf einer Geraden statt. Den Wert sollte man sich als eine zu einem Zeit- und Ortspunkt vorgegebene Richtung auf der Ortsgeraden vorstellen. Eine Lösung ist dann eine Funktion

die differenzierbar ist und deren Ableitung, vorgestellt als Momentangeschwindigkeit, zu jedem Zeitpunkt mit dem durch gegebenen Richtungsvektor übereinstimmt. Später werden wir auch Bewegungen betrachten, die sich in der Ebene oder im Raum abspielen, und die durch ein entsprechendes Richtungsfeld gesteuert werden.


Die Lösung einer Differentialgleichung ist im Allgemeinen nicht eindeutig, man muss noch Anfangsbedingungen festlegen.


Es sei eine offene Teilmenge und es sei

eine Funktion. Es sei vorgegeben. Dann nennt man

das Anfangswertproblem zur gewöhnlichen Differentialgleichung mit der Anfangsbedingung .


Es sei eine offene Teilmenge und es sei

eine Funktion. Es sei vorgegeben. Dann nennt man eine Funktion

auf einem Intervall eine Lösung des Anfangswertproblems

wenn eine Lösung der Differentialgleichung ist und wenn zusätzlich

gilt.

Es gibt kein allgemeines Verfahren eine Differentialgleichung bzw. ein Anfangswertproblem explizit zu lösen. Die Lösbarkeit hängt wesentlich von der gegebenen Funktion ab.

Das eine Differentialgleichung beschreibende Vektorfeld hängt im Allgemeinen von beiden Variablen und ab. Einfache, aber keineswegs triviale Spezialfälle von Differentialgleichungen liegen vor, wenn das Vektorfeld nur von einer der beiden Variablen abhängt.


Eine gewöhnliche Differentialgleichung

heißt ortsunabhängig, wenn die Funktion nicht von abhängt, wenn also mit einer Funktion in der einen Variablen gilt.

Eine ortsunabhängige gewöhnliche Differentialgleichung

zu einer stetigen Funktion ist nichts anderes als das Problem, eine Stammfunktion von zu finden; eine Lösung der Differentialgleichung ist ja genau durch die Bedingung ausgezeichnet, dass ist. Da eine Stammfunktion nur bis auf die Integrationskonstante bestimmt ist, besitzt ein ortsunabhängiges Anfangswertproblem eine eindeutige Lösung.


Eine gewöhnliche Differentialgleichung

heißt zeitunabhängig, wenn die Funktion nicht von abhängt, wenn also mit einer Funktion in der einen Variablen gilt.

Bei einer zeitunabhängigen Differentialgleichung hängt nur das zugrunde liegende Vektorfeld nicht von der Zeit ab, die Lösungskurven sind hingegen im Allgemeinen zeitabhängig.


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