Kurs:Elliptische Kurven (Osnabrück 2021-2022)/Vorlesung 5
- Wendepunkte
Eine projektive kubische Kurve ist von der Form
mit einem homogenen Polynom vom Grad . Als solches ist
und daher ist durch die zehn Koeffizienten festgelegt. Die Nullstellenmenge ändert sich nicht bei Multiplikation mit einem Skalar . Durch Variablentransformationen und Normierungen kann man hier die Darstellung vereinfachen. Für einen Teil der Vereinfachungen muss man die Charakteristiken ausschließen und voraussetzen, dass der Körper gewisse Wurzeln besitzt, was über einem algebraisch abgeschlossenen Körper stets gegeben ist. Die Vereinfachungsmöglichkeiten hängen auch davon ab, ob die Kurve glatt ist oder nicht.
Eine ebene projektive Kurve vom Grad schneidet eine projektive Gerade, die nicht ganz auf liegt, in Punkten, wenn man die Multiplizitäten mitzählt. Die Schnittpunkte ergeben sich einfach dadurch, dass man die Geradengleichung nach einer Variable auflöst und diese in der Kurvengleichung ersetzt. Dabei entsteht ein homogenes Polynom vom Grad in zwei Variablen. Über einem algebraisch abgeschlossenen Körper zerfällt dieses in homogene Linearfaktoren, und diese beschreiben die Schnittpunkte mit der Geraden. Unter der Schnittmultiplizität des Schnittpunktes versteht man den Exponenten des zugehörigen Linearfaktors. Multiplizität bedeutet transversaler Schnitt. Die (projektive) Tangente an einen glatten Punkt der Kurve, die durch
gegeben ist, schneidet die Kurve in dem Punkt mit Multiplizität .
Unter einem Wendepunkt einer algebraischen Kurve versteht man einen glatten Punkt der Kurve, in dem die Schnittmultiplizität der Kurve mit ihrer Tangente in dem Punkt ist. Für eine kubische Kurve bedeutet dies, dass die Tangente die Kurve in keinem weiteren Punkt schneidet.
Es sei eine glatte projektive Kurve von Grad über einem Körper der Charakteristik . Es sei ein -Punkt der Kurve, in dem die Determinante der Hesse-Matrix von verschwindet.
Dann ist ein Wendepunkt der Kurve.
Durch eine lineare Transformation können wir erreichen, dass ist und dass die Tangente der Kurve durch diesen Punkt durch gegeben ist. Da die Tangente durch die Gleichung
beschrieben wird, folgt
Dies bedeutet wiederum, dass die Monome und nicht in vorkommen. Die Hesse-Matrix hat somit im gegebenen Punkt die Form
Diese Hesse-Matrix ist nach Voraussetzung nicht invertierbar, es sei ein Element des Kernes. Wir betrachten zuerst den Fall, wo ist. Aus der dritten Zeile folgt
Daher kommt in nicht vor. Dies bedeutet, dass in die Variable höchstens in der ersten Potenz vorkommt. Doch in diesem Fall ist die Kurve nach Aufgabe 4.23 nicht glatt.
Wir betrachten nun den Fall, wo ist, sagen wir . Bei erhält man mit der zweiten Zeile wie soeben eine nichtglatte Kurve. Es sei also . Da und zusammen mit die gleiche projektive Gerade definieren, können wir nach einer weiteren linearen Transformation, die die Koordinaten des Punktes und die Tangentengleichung nicht ändert, annehmen. Daraus ergibt sich
was wiederum bedeutet, dass die Monome und in nicht vorkommen. Somit besitzt die Form
mit einem homogenen Polynom vom Grad in und . Da die Kurve irreduzibel ist, muss in vorkommen. Wenn man die so gegebene Kurve mit der Tangente, also mit der Bedingung schneidet, so muss und also sein, es gibt also genau einen Schnittpunkt mit der Tangente.
Es sei eine glatte projektive Kurve von Grad über einem algebraisch abgeschlossenen Körper der Charakteristik .
Dann besitzt die Kurve zumindest einen Wendepunkt.
In der Hesse-Matrix zu kommen ausschließlich lineare Terme vor. Die Determinante davon ergibt also eine Kurvengleichung vom Grad . Diese Kurve schneidet nach Korollar 30.4 (Algebraische Kurven (Osnabrück 2017-2018)) die Ausgangskurve in zumindest einem Punkt. Auf einen solchen Punkt können wir Lemma 5.1 anwenden und erhalten so einen Wendepunkt.
Da die elliptische Kurve und ebenso die Determinante der Hesse-Matrix den Grad besitzen, gibt es nach
dem Satz von Bezout
(mit Multiplizitäten gezählt)
insgesamt Wendepunkte.
Wir werden nun glatte ebene projektive Kurven vom Grad mit einem Wendepunkt betrachten, den es gemäß Korollar 5.2 bei einem algebraisch abgeschlossenen Körper der Charakteristik stets gibt. Wir wollen die Kurvengleichung weiter vereinfachen und weitgehend affin arbeiten. Dazu führen wir eine lineare Transformation derart durch, dass der fixierte Wendepunkt zum Punkt wird und dass die unendlich ferne Gerade die Tangente durch diesen Punkt wird. Dies bedeutet, dass in der beschreibenden Gleichung die Monome nicht vorkommen. Die homogene Kurvengleichung kann man dann, wenn man die Variablen noch geeignet streckt, in der Form
schreiben.
- Weierstraßform
Wir betrachten affine kubische Gleichungen in den Variablen . Eine Gleichung der Form
nennt man eine lange Weierstraß-Gleichung und eine Gleichung der Form
eine kurze Weierstraß-Gleichung. Die homogene Gestalt der langen Weierstraß-Gleichungen ist
und die homogene Gestalt der kurzen Weierstraß-Gleichung ist
Auf die lange Form kann man eine elliptische Kurve über einem algebraisch abgeschlossenen Körper der Charakteristik nach Korollar 5.2 stets bringen, aber auch, wie wir jetzt sehen, auf die kurze Form. Wenn man setzt, also den Durchschnitt mit der unendlich fernen Geraden betrachtet, so erhält man , also den einzigen Schnittpunkt , den man (siehe die nächste Vorlesung) üblicherweise als Nullpunkt der Gruppenverknüpfung auf der elliptischen Kurve wählt.
Es sei eine affine kubische Gleichung
über einem Körper der Charakteristik gegeben.
Dann gibt es eine lineare Variablensubstitution derart, dass in den neuen Variablen die Gleichung die Form
besitzt.
Wir schreiben
Dann ist
wobei wir für dieses kubische Polynom neue Bezeichnungen für die Koeffizienten eingeführt haben. Mit der Transformation können wir den quadratischen Term eliminieren.
Wir möchten die Fermat-Kubik
in Charakteristik auf die kurze Weierstraßform transformieren. Die Hesse-Matrix ist
Daher ist ein Wendepunkt der Kurve, den wir nach transformieren wollen. Wir erreichen dies mit den neuen Variablen . Die Gleichung wird zu
Die (projektive) Tangente in wird durch beschrieben. Die Dehomogenisierung bezüglich führt auf die affine Gleichung
durch eine quadratische Ergänzung und Normierung entsteht eine Gleichung der Form
mit , was man wiederum über einem algebraisch abgeschlossenen Körper zu normieren kann.
Es seien
und
kubische Kurven in kurzer Weierstraßform über einem Körper .
Dann gibt es genau dann eine lineare Variablentransformation, die die erste Gleichung in die zweite überführt, wenn es ein , , mit
und
gibt.
Es sei
Wenn man für den Term einsetzt, so entsteht bei ein -Term, den man durch eine Substitution
nicht wegbekommt. Also muss sein. Damit muss auch sein, da andernfalls ein -Term entsteht. Es sei also und , was auf die neue Gleichung
führt. Damit man diese sowohl in als auch in normieren kann, muss
sein. Dies ist nach Aufgabe 1.10 genau dann der Fall, wenn es ein mit , gibt. Die Normierung wird dann mittels Division durch durchgeführt, was auf und führt.
Wir betrachten die elliptischen Kurven der Form bzw. mit , die in Zusammenhang mit den kongruenten Zahlen auftreten. Nach Lemma 5.5 sind die beiden genau dann durch eine lineare Variablentransformation ineinander überführbar, wenn der Quotient eine vierte Potenz in ist, wenn also ein Quadrat (in und dann bereits) in ist. Bei elliptischen Kurven dieser Bauart kann man sich also auf quadratfreie natürliche Zahlen beschränken. Wenn man diese Kurven als elliptische Kurven über betrachtet, so sind sie alle gleich.
Es sei eine elliptische Kurve über einem Körper in kurzer Weierstraßform
Dann nennt man
die Diskriminante von .
Vergleiche zur Diskriminante eines kubischen Polynoms auch Satz 1.2 (Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)) und Beispiel 8.13 (Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)). Die Diskriminante ist genau dann , wenn das kubische Polynom keine mehrfache Nullstelle besitzt, was nach Lemma 4.8 die Glattheit der Kurve bedeutet, siehe Aufgabe 5.4.
Es sei eine elliptische Kurve über einem Körper in kurzer Weierstraßform
Dann nennt man
wobei die Diskriminante zu bezeichnet, die -Invariante von .
Bei der in Lemma 5.5 beschriebenen Transformation ändert sich die -Invariante der Kurve nicht, siehe Aufgabe 5.10.
- Legendresche Normalform
Wir sagen, dass eine elliptische Kurve in Zerlegungsform vorliegt, wenn sie die Gestalt
mit Elementen besitzt. In diesem Fall kann man durch Verschiebungen und Streckungen auch die sogenannte Legendresche Normalform erreichen.
Man sagt, dass eine elliptische Kurve in Legendrescher Normalform vorliegt, wenn sie durch eine Gleichung der Form
mit beschrieben wird.
Es ist
Wenn man aus der Legendreschen Normalform die Weierstraßsche Normalform erhalten möchte, so muss man hier den quadratischen Term eliminieren. Wenn Weierstraßsche Normalform vorliegt, so muss das Polynom im Allgemeinen keine Faktorzerlegung in Linearfaktoren besitzen. Nach einer endlichen Erweiterung des Körpers und erst recht über einem algebraisch abgeschlossenen Körper ist aber eine solche Zerlegung möglich. Durch Verschieben und Strecken kann man dann erreichen, dass und Nullstellen sind, die dritte Nullstelle kann alles sein und man hat im Allgemeinen keine Optimierungsmöglichkeiten mehr.
Es sei ein Körper der Charakteristik und es liege eine elliptische Kurve über in Legendrescher Normalform
vor. Dann gelten folgende Aussagen.
- Eine kurze Weierstraßgleichung von ist durch
mit
und
gegeben.
- Die
Diskriminante
von ist
- Die
-
Invariante
von ist
- Es ist
Mit dem Ansatz
ist dies gleich
- Eine längere Rechnung
(siehe
Aufgabe 5.13
und
Aufgabe 5.14)
zeigt
- Es ist
Die dritte Nullstelle, also das in der Legendreschen Normalform, ist durch die elliptische Kurve nicht eindeutig bestimmt. Stattdessen kann man auch
nehmen.
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