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Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 18/kontrolle

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Wesentliche Singularitäten

Es sei eine offene Teilmenge, ein Punkt und

eine holomorphe Funktion. Man sagt, dass im Punkt eine wesentliche Singularität besitzt, wenn weder eine hebbare Singularität noch ein Pol von ist.

Dies bedeutet, dass für der Betrag in weder einen Limes besitzt noch gegen bestimmt divergiert. Die beiden Standardbeispiele sind die folgenden.


Die Funktion

besitzt im Nullpunkt eine wesentliche Singularität. Für jedes feste ist für nicht beschränkt, da (mit ) ja für reelles gilt (die Exponentialfunktion wächst schneller als jedes Polynom, siehe Aufgabe 15.19 (Analysis (Osnabrück 2021-2023))).



Die Funktion

besitzt im Nullpunkt eine wesentliche Singularität. Die Funktion ist zwar auf beschränkt und die reelle Funktion besitzt eine stetige Fortsetzung nach , doch geht es um das Verhalten der Betragsfunktion über . Mit der Beschreibung

gilt

Für Argumente mit reell ist

und dabei geht für , , der rechte Summand im Zähler gegen und der linke Summand gegen .




Lemma  Lemma 18.4 ändern

Es sei eine offene Teilmenge, ein Punkt und

eine holomorphe Funktion. Dann sind folgende Eigenschaften äquivalent.

  1. besitzt in eine wesentliche Singularität.
  2. In der Laurent-Reihe zu in gibt es unendlich viele Koeffizienten zu negativen Indizes, die nicht gleich sind.

Dies folgt aus Korollar 17.3 und aus Lemma 17.5.


Eine wesentliche Singularität ist nach Definition eine, in der der Betrag der Funktion keinen Limes in besitzt. Darüber hinaus kann man über das Verhalten der Werte der Funktion selbst auf einer punktierten Umgebung eine sehr viel stärkere Aussage machen, dies ist der Inhalt des Satzes von Casorati-Weierstrass.



Satz  Satz 18.5 ändern

Es sei eine offene Teilmenge,

ein Punkt und

eine holomorphe Funktion. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. besitzt in eine wesentliche Singularität.
  2. Für jede offene Kreisscheibenumgebung ist das Bild dicht in .

Es liege eine wesentliche Singularität vor, wobei wir annehmen können. Nehmen wir an, dass es eine Ballumgebung derart gibt, dass das Bild der punktierten Ballumgebung nicht dicht ist. Dann gibt es einen Punkt und eine Ballumgebung , die disjunkt zum Bild ist. Wir betrachten die holomorphe Funktion

die ja wohldefiniert ist, da gilt. Ferner folgt daraus, dass auf der offenen Menge ist. Daher ist aber nach Satz 14.5 nach holomorph fortsetzbar. Eine Umstellung der definierenden Gleichung für ergibt

woraus folgt, dass in eine hebbare Singularität oder einen Pol besitzt, jedenfalls keine wesentliche Singularität.

Von (2) nach (1) ist im hebbaren Fall klar und ergibt sich im Fall eines Poles aus Lemma 17.5.



Automorphismen

Wir möchten die holomorphen Automorphismen auf gewissen Gebieten (wir ) bestimmen, also die Menge der biholomorphen Funktionen . Die Menge der Automorphismen bilden mit der Hintereinanderschaltung von Abbildungen eine Gruppe. Tyischerweise hat man einerseits eine übersichtliche Beschreibung von expliziten Automorphismen und muss dann andererseits zeigen, dass sämtliche Automorphismen von dieser Art sind.



Satz  Satz 18.6 ändern

Es sei eine ganze Funktion.

Dann ist genau dann ein Polynom, wenn die auf definierte holomorphe Funktion

im Nullpunkt keine wesentliche Singularität besitzt.

Wir setzen

Wenn

ein Polynom ist, so ist

d.h. der Hauptteil der Laurent-Reihe ist endlich. Aus Lemma 18.4 folgt, dass die Singularität unwesentlich ist.

Wenn in keine wesentliche Singularität besitzt, so ist nach Lemma 18.4 der Hauptteil der Laurent-Reihe zu in endlich. Wenn

die Potenzreihenentwicklung von ist, so ist

und die Endlichkeit des Hauptteiles von bedeutet eben, dass für für ein ist. Also ist ein Polynom.



Es sei

eine injektive ganze Funktion.

Dann ist eine affin-lineare Funktion, also von der Form

mit .

Wir betrachten auf . Diese Funktion ist ebenfalls injektiv. Wir behaupten, dass im Nullpunkt keine wesentliche Singularität besitzt. Würde nämlich eine wesentliche Singularität vorliegen, so wäre nach Satz 18.5 die Menge für jedes dicht. Nach Satz 15.8 ist offen. Es wäre dann

was der Injektivität widerspricht. Es liegt also keine wesentliche Singularität vor und nach Satz 18.6 muss ein Polynom sein. Wegen injektiv folgt mit Lemma 15.10, dass die Ableitung nullstellenfrei ist. Daher ist wegen Satz 15.4 konstant und somit ist linear.



Satz  Satz 18.8 ändern

Die holomorphen Automorphismen auf

sind die affin-linearen Abbildungen

mit .

Dies folgt direkt aus Satz 18.6.



Satz  Satz 18.9 ändern

Die holomorphen Automorphismen auf

sind die linearen Abbildungen

mit und die Abbildungen

mit .

Es sei

biholomorph. Wenn in eine hebbare Singularität besitzt, und die Fortsetzung bezeichnet, so ist

Wäre nämlich

so gibt es auch einen Punkt mit . Für und gibt es disjunkte offene Umgebungen, die nach Satz 15.8 auf offene Umgebungen und von abbilden. Die Punkte im Durchschnitt werden dann doppelt getroffen, was der Injektivität von widerspricht.

Daher ist die Fortsetzung ein Automorphismus von nach und es handelt sich nach Satz 18.8 um eine affin-lineare Abbildung. Wegen

ist der konstante Term gleich und die Abbildung ist linear.

Es sei nun nicht hebbar in . Eine wesentliche Singularität kann nicht vorliegen, da in diesem Fall wegen Satz 18.5 die Abbildung in keiner punktierten Umgebung injektiv sein kann. Also liegt ein Pol vor. Dann ist im Nullpunkt mit dem Wert fortsetzbar. Da ebenfalls ein Automorphismus ist, handelt es sich nach dem zuerst behandelten Fall um eine bijektive lineare Abbildung, sagen wir

Dann ist


Die folgende Aussage heißt Lemma von Schwarz, sie wird benötigt, um die Automorphismen auf einer (punktierten) Kreisscheibe zu verstehen.


Lemma  Lemma 18.10 ändern

Es sei

holomorph mit .

Dann gilt

für alle und

Wenn in der ersten Abschätzung für ein oder wenn in der Ableitungsabschätzung Gleichheit gilt, so ist eine Drehung.

Die Funktion ist wegen auf der Kreisscheibe holomorph, und wegen (Differenzenquotient)

ist der Wert von im Nullpunkt gleich . Auf dem Kreis mit als Mittelpunkt und mit Radius ist

Da beliebig nahe an gewählt werden kann, ergibt sich die Abschätzung

was einerseits und andererseits impliziert.

Betrachten wir jetzt die Situation, in der für ein gilt. Dies bedeutet, dass die Funktion ihr Maximum im Punkt annimmt. Aus dem Maximumsprinzip folgt, dass konstant ist, also mit einer Konstanten , deren Betrag gleich sein muss. Das Argument im Fall von Gleichheit in der Ableitungsabschätzung ist entsprechend.



Lemma  Lemma 18.11 ändern

Die biholomorphen Abbildungen der offenen Kreisscheibe in sich mit als Fixpunkt

sind genau die Drehungen, also die Multiplikationen mit einer komplexen Zahl vom Betrag .

Nach Lemma 18.10 gilt

Da die Umkehrfunktion die gleichen Bedingungen erfüllt, gilt auch die umgekehrte Abschätzung und daher gilt

für alle . Aufgrund des Zusatzes von Lemma 18.10 liegt eine Drehung vor. Umgekehrt ist eine Drehung natürlich eine biholomorphe Abbildung.



Die biholomorphen Abbildungen der offenen punktierten Kreisscheibe in sich

sind genau die Drehungen, also die Multiplikationen mit einer komplexen Zahl vom Betrag .

Es sei

biholomorph. Wegen der Beschränktheit des Bildes muss im Nullpunkt nach Korollar 17.3 eine hebbare Singularität besitzen, sei

die holomorphe Fortsetzung. Ein Argument wie im Beweis zu Satz 18.9 zeigt . Nach Lemma 18.11 ist daher und somit selbst eine Drehung.



Satz  Satz 18.13 ändern

Die biholomorphen Abbildungen der offenen Kreisscheibe in sich

sind die Einschränkungen der gebrochen-linearen Funktionen der Form mit

Die angegebenen gebrochen-linearen Funktionen bilden die Kreisscheibe in sich ab, siehe Aufgabe 2.14, ferner bilden sie eine Gruppe, siehe Aufgabe 2.13. Es sei ein Automorphismus mit

Nach Aufgabe 2.15 gibt es einen gebrochen-linearen Automorphismus der angegeben Form mit . Daher ist ein Automorphismus der Kreisscheibe, der auf abbildet, also nach Lemma 18.11 eine Multiplikation mit einer komplexen Zahl vom Betrag . Es sei eine komplexe Quadratwurzel von . Dann ist die gebrochen-lineare Abbildung , nennen wir sie , wegen

gleich der Multiplikation mit und erfüllt die Betragsbedingung. Deshalb ist