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Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil II/Vorlesung 48

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Intervallschachtelungen

Eine weitere Möglichkeit, reelle Zahlen zu beschreiben, einzuführen, zu approximieren und rechnerisch zu handhaben, wird durch Intervallschachtelungen gegeben.


Es sei ein angeordneter Körper. Eine Folge von abgeschlossenen Intervallen

in heißt eine Intervallschachtelung, wenn für alle ist und wenn die Folge der Intervalllängen, also

gegen konvergiert.

Die Intervalllängen müssen also insbesondere eine fallende Nullfolge bilden. Es wird nicht eine bestimmte Geschwindigkeit dieser Konvergenz verlangt. Die Intervallhalbierung ist eine spezielle Intervallschachtelung, bei der man zusätzlich verlangt, dass das folgende Intervall jeweils die untere oder die obere Hälfte des Vorgängerintervalls ist. Zu einer Dezimalbruchfolge

gehört die Intervallschachtelung

Hier ist der untere Rand des Intervalls und es gilt (und wobei zusätzlich ausgeschlossen ist, dass der rechte Rand von ist). Die Intervalllängen sind hier .

Die Vollständigkeit der reellen Zahlen wirkt sich auf Intervallschachtelungen folgendermaßen aus.


Es sei , , eine Intervallschachtelung in .

Dann besteht der Durchschnitt

aus genau einem Punkt

.

Eine reelle Intervallschachtelung bestimmt also genau eine reelle Zahl.

Es sei beliebig gewählt. Wir behaupten, dass dies eine Cauchy-Folge ist. Zu gegebenem sei derart, dass

Für ist dann

da ja ist. Es sei der Limes dieser Cauchy-Folge. Wäre für ein , so wäre

(oder ), doch wegen der Konvergenz der Folge gegen würden dann auch die Folgenglieder für hinreichend groß echt unterhalb von und damit von liegen, im Widerspruch zu . Also ist . Würden zwei Zahlen zum Durchschnitt aller Intervalle gehören, so wäre

für alle im Widerspruch dazu, dass die Intervalllängen gegen konvergieren.


Der Beweis zeigt, dass jede Folge gegen die gleiche durch die Intervallschachtelung definierte Zahl konvergiert. Dies gilt insbesondere für die Folge der unteren und die Folge der oberen Intervallgrenzen.



Dedekindsche Schnitte

Unter einem Dedekindschen Schnitt versteht man ein Paar bestehend aus Teilmengen der rationalen Zahlen, die folgende Eigenschaften erfüllen.

  1. und sind nicht leer.
  2. d.h. es liegt eine Zerlegung der Menge aller rationalen Zahlen in zwei Teilmengen vor.

  3. Für jedes und jedes ist .
  4. Zu gibt es ein mit .

Die Mengen bzw. heißen auch die Untermenge bzw. Obermenge des Dedekindschen Schnittes. Sie legen sich wegen der Bedingung (2) gegenseitig fest. Jede reelle Zahl (und auch jedes Element in einem angeordneten Körper) definiert einen Dedekindschen Schnitt, indem man

und

setzt. Die Eigenschaften sind erfüllt, wie eine direkte Überprüfung zeigt. Man spricht von einem Punktschnitt. Ob ein Dedekindscher Schnitt ein Punktschnitt ist, hängt wesentlich vom Körper ab. Der durch definierte Dedekindsche Schnitt ist in ein Punktschnitt, in aber nicht.


Die Vollständigkeit der reellen Zahlen hat folgende Auswirkungen auf die Dedekindschen Schnitte.


In den reellen Zahlen ist jeder Dedekindsche Schnitt

ein Punktschnitt, d.h. es gibt ein mit

Es seien und . Wir definieren rekursiv eine Intervallschachtelung mit und . Wir setzen und . Wenn und schon definiert sind, so setzen wir

und

Damit ist stets , und insbesondere , die Folgen sind wachsend bzw. fallend und die Intervalllänge wird in jedem Schritt halbiert. Somit liegt eine Intervallschachtelung vor. Nach Satz 48.2 gibt es genau eine reelle Zahl , die in allen Intervallen liegt. Wir behaupten, dass dieses der trennende Punkt ist, d.h. wir müssen

zeigen. Es sei zunächst . Dann ist für jedes und somit ist . Da mit auch noch größere Elemente enthält, sagen wir , gilt sogar . Wenn dagegen , also ist, so zeigt die gleiche Argumentation mit vertauschten Rollen die Beziehung .


Mit den Dedekindschen Schnitten kann man, wie mit Cauchy-Folgen, die reellen Zahlen konstruieren; Bei diesem Zugang definiert man direkt die reellen Zahlen als die Menge aller Dedekindschen Schnitte. Man muss dann natürlich auf der Ebene der Schnitte eine Addition, eine Multiplikation und eine Ordnungsrelation einführen und die gewünschten Eigenschaften nachweisen, siehe Aufgabe 48.13, Aufgabe 48.14, Aufgabe 48.15, Aufgabe 48.16. Dies ist ein gangbarer Weg. Der Vorteil liegt darin, dass es direkt eine Korrespondenz zwischen Dedekindschen Schnitten und den reellen Zahlen gibt, man muss nicht verschiedene Darstellungen (mit Hilfe einer Äquivalenzrelation) identifizieren. Der Nachteil ist, das Dedekindsche Schnitte abgesehen von dieser Konstruktion keine wichtige Rolle in der Mathematik spielen, während Folgen und Intervallschachtelungen überall in der Mathematik begegnen. Auch der rechnerisch-approximative Aspekt ist bei Dedekindschen Schnitten nicht wirklich vorhanden.



Existenz der Wurzeln

Die Vollständigkeit der reellen Zahlen sichert auch die Existenz einer eindeutig bestimmten Wurzel für eine nichtnegative reelle Zahl. Für Quadratwurzeln folgt dies auch aus Lemma 45.5  (1).



Zu jeder nichtnegativen reellen Zahl und jedem

gibt es eine eindeutige nichtnegative reelle Zahl mit

Wir betrachten den Dedekindschen Schnitt mit

und

Die Eigenschaften eines Dedekindschen Schnittes beruhen hierbei darauf, dass eine totale Ordnung ist, auf dem Archimedes-Axiom, auf Lemma 19.13  (8) und auf dem binomischen Lehrsatz, siehe Aufgabe 48.18. Nach Satz 48.5 gibt es somit ein mit

Wir behaupten

Dies ergibt sich, da die beiden Annahmen bzw. jeweils zu einem Widerspruch führen.



Zu einer nichtnegativen reellen Zahl und bezeichnet man mit diejenige nichtnegative reelle Zahl, deren -te Potenz gleich ist.

Statt schreibt man auch . Auf der eindeutigen Existenz von Wurzeln aus positiven reellen Zahlen beruht auch das Potenzprinzip, mit dem man in der Regel die Gleichheit von Wurzelausdrücken begründet: Zwei positive Zahlen stimmen bereits dann überein, wenn eine gewisse gleichnamige Potenz von ihnen übereinstimmt. Dieses Prinzip findet im Beweis der nächsten Aussage Verwendung.



Es seien positive reelle Zahlen und . Dann gelten die folgenden Aussagen.

  1. Es ist
  2. Es ist
  3. Es ist

Wegen der Eindeutigkeit der Wurzeln stimmen zwei positive reellen Zahlen überein, sobald eine gewisse Potenz davon übereinstimmt. Damit kann man die Aussagen auf die Potenzgesetze mit ganzzahligen Exponenten zurückführen.

  1. Es ist unter Verwendung von Lemma 23.13  (4)

    was auch herauskommt, wenn man von der rechten Seite die -te Potenz nimmt.

  2. Nach Lemma 23.13  (5) ist

    was auch links herauskommt.

  3. Dies folgt aus Teil (2) mit .



Zu zwei nichtnegativen reellen Zahlen und heißt

das geometrische Mittel.



Die eulersche Zahl e

Wir besprechen eine Beschreibung der sogenannten eulerschen Zahl .


Die Intervalle , , mit den Grenzen

definieren eine Intervallschachtelung.

Wegen ist klar, dass

ist, sodass also wirklich Intervalle vorliegen.
Um zu zeigen, dass die Intervalle ineinander liegen, zeigen wir, dass die unteren Grenzen wachsend und die oberen Grenzen fallend sind. Wir betrachten zuerst . Aufgrund der Bernoulli-Ungleichung gilt

Dies schreiben wir als

Daraus ergibt sich durch beidseitige Multiplikation mit (es sei .) die Abschätzung

Für die oberen Intervallgrenzen ergibt die Bernoullische Ungleichung die Abschätzung

Daraus folgt

Durch beidseitige Multiplikation mit ergibt sich


Wir betrachten schließlich die Intervalllängen. Diese sind

und konvergieren somit gegen .
  Also liegt insgesamt eine Intervallschachtelung vor.


Durch diese Intervallschachtelung ist aufgrund von Satz 48.2 eindeutig eine reelle Zahl bestimmt.


Die reelle Zahl

heißt Eulersche Zahl.

Ihr numerischer Wert ist

Eine wichtige alternative Möglichkeit, die eulersche Zahl festzulegen, ist

d.h. die Zahl

stimmt mit der Zahl

überein. Es ist nicht so einfach, die Übereinstimmung dieser beiden Definitionen zu zeigen. Die Konvergenz in der Reihenentwicklung ist deutlich schneller.



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