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Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2020-2021)/Teil II/Vorlesung 57

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Gradientenfelder

Es sei ein euklidischer Vektorraum, offen und

eine differenzierbare Funktion. Dann nennt man die Abbildung

das zugehörige Gradientenfeld.

Ein Gradientenfeld ist also ein zeitunabhängiges Vektorfeld. Man spricht auch von einem Potentialfeld, die Funktion (manchmal ) heißt dann ein Potential des Vektorfeldes. Wenn zweimal stetig differenzierbar ist, so genügt nach Lemma 56.3 das zugehörige Gradientenfeld lokal einer Lipschitz-Bedingung.

Die folgende Aussage zeigt, dass die Lösungskurven der zugehörigen Differentialgleichung senkrecht auf den Fasern von liegen. Die Fasern beschreiben, wo das Potential (oder die Höhenfunktion) konstant ist, die Lösungen beschreiben nach Satz 51.8 den Weg des steilsten Anstiegs. Wenn beispielsweise die Höhenfunktion eines Gebirges ist, so gibt das Gradientenfeld in jedem Punkt den steilsten Anstieg an und die Trajektorie einer Lösungskurve beschreibt den Verlauf eines Baches (wir behaupten nicht, dass die Bewegung eines Wassermoleküls im Bach durch diese Differentialgleichung bestimmt ist, sondern lediglich, dass der zurückgelegte Weg, also das Bild der Kurve, mit dem Bild der Lösungskurve übereinstimmt). Der Bach verläuft immer senkrecht zu den Höhenlinien.


Es sei ein euklidischer Vektorraum, offen,

eine differenzierbare Funktion und

das zugehörige Gradientenfeld. Es sei

eine Lösung der Differentialgleichung

Dann steht senkrecht auf dem Tangentialraum der Faser von durch für , für die reguläre Punkte von sind.

Sei ein regulärer Punkt von und sei ein Vektor aus dem Tangentialraum. Dann gilt direkt



Wir betrachten die Produktabbildung

Das zugehörige Gradientenfeld ist

Die Fasern von sind das Achsenkreuz (die Faser über ) und die durch , , gegebenen Hyperbeln. Die Lösungen der linearen Differentialgleichung

sind von der Form

mit beliebigen , wie man direkt nachrechnet und was sich auch aus Lemma 43.1 bzw. Aufgabe ***** ergibt. Dabei ist . Für ist dies die stationäre Lösung im Nullpunkt, in dem die Produktabbildung nicht regulär ist. Bei ist , das Bild dieser Lösung ist die obere Halbdiagonale (ohne den Nullpunkt), bei ist , das Bild dieser Lösung ist die untere Halbdiagonale, bei und ist , das Bild dieser Lösung ist die untere Hälfte der Nebendiagonalen, bei und ist , das Bild dieser Lösung ist die obere Hälfte der Nebendiagonalen.

Ansonsten treffen die Lösungskurven das Achsenkreuz in einem Punkt . Wenn man diesen Punkt als Anfangswert zum Zeitpunkt nimmt, so kann man die Lösungskurven als

(zum Zeitpunkt befindet sich die Lösung auf der Achse im Punkt ),

und als

(zum Zeitpunkt befindet sich die Lösung auf der Achse im Punkt ) realisieren. Die Bahnen dieser Lösungen erfüllen die Gleichung bzw. , d.h. sie sind selbst Hyperbeln.




Wegintegrale und Gradientenfelder

Eine offene Teilmenge heißt (weg-)zusammenhängend, wenn man je zwei Punkte durch einen stetigen Weg miteinander verbinden kann.



Es sei eine offene Teilmenge und

eine stetig differenzierbare Funktion mit dem zugehörigen Gradientenfeld . Es sei ein stetig differenzierbarer Weg in .

Dann gilt für das Wegintegral

D.h. das Wegintegral hängt nur vom Anfangs- und Endpunkt des Weges ab.[1]

Aufgrund der Kettenregel ist



Es sei eine offene Teilmenge und

eine differenzierbare Funktion mit dem zugehörigen Gradientenfeld . Es sei ein stetig differenzierbarer Weg mit .

Dann ist

Dies folgt direkt aus Lemma 57.4.



Es sei eine offene zusammenhängende Teilmenge und

ein stetiges Vektorfeld. Dann sind die folgenden Eigenschaften äquivalent.

  1. ist ein Gradientenfeld.
  2. Für jeden stetig differenzierbaren Weg hängt das Wegintegral nur vom Anfangspunkt und Endpunkt ab.

Die Implikation folgt aus Lemma 57.4.
Es sei umgekehrt die Eigenschaft erfüllt. Wir geben eine auf definierte Funktion an, die differenzierbar ist und deren Gradientenfeld gleich dem vorgegebenen Vektorfeld ist. Dazu sei ein Punkt fixiert. Für jeden Punkt gibt es einen stetig differenzierbaren Weg[2]

mit und . Wir setzen

Aufgrund der vorausgesetzten Wegunabhängigkeit des Integrals ist wohldefiniert. Wir müssen zeigen, dass diese so definierte Funktion in jedem Punkt und in jede Richtung differenzierbar ist und die Richtungsableitung mit übereinstimmt. Dazu betrachten wir

wobei der verbindende lineare Weg von nach auf sei (und hinreichend klein sei, damit ist). Für den Differentialquotienten ist

Somit existiert die Richtungsableitung von in Richtung und hängt stetig von ab. Diese Gleichung zeigt ferner

sodass das Gradientenfeld zu ist.



Die Integrabilitätsbedingung

Wie kann man erkennen, ob ein gegebenes Vektorfeld ein Gradientenfeld ist? Eine notwendige Bedingung schlägt sich in der folgenden Definition nieder.


Es sei eine offene Teilmenge und

ein differenzierbares Vektorfeld. Man sagt, dass die Integrabilitätsbedingung erfüllt (oder lokal integrabel ist), wenn

für alle und alle gilt.



Dies folgt direkt aus Satz 47.11.



Das lineare Vektorfeld

erfüllt wegen

nicht die Integrabilitätsbedingung. Es kann also nach Lemma 57.8 kein Gradientenfeld sein.



Eine Teilmenge heißt sternförmig bezüglich eines Punktes , wenn für jeden Punkt die Verbindungsstrecke , , ganz in liegt.



Es sei eine sternförmige offene Teilmenge und

ein stetig differenzierbares Vektorfeld. Dann sind die folgenden Eigenschaften äquivalent.

  1. ist ein Gradientenfeld.
  2. erfüllt die Integrabilitätsbedingung.
  3. Für jeden stetig differenzierbaren Weg hängt das Wegintegral nur vom Anfangspunkt und Endpunkt ab.

Die Äquivalenz folgt aus Satz 57.6 und die Implikation aus Lemma 57.8. Es bleibt also zu zeigen, wobei wir explizit eine Stammfunktion zum Vektorfeld angeben. Es sei ein Punkt derart, dass bezüglich sternförmig ist. Wir definieren über das Wegintegral zu zum linearen Verbindungsweg

also

Wir müssen zeigen, dass der Gradient zu gleich ist, d.h. es ist

zu zeigen. Dafür können wir annehmen und wir schreiben statt . Mit diesen Bezeichnungen und Voraussetzungen ist

Dabei beruht die zweite Gleichung auf der Vertauschbarkeit von Integration und Differentiation (angewendet auf die stetig differenzierbare Funktion , ), die vierte Gleichung auf Aufgabe 46.13, die fünfte Gleichung auf der Integrabilitätsbedingung, die sechste Gleichung auf der Kettenregel und der Produktregel und die siebte Gleichung auf der Newton-Leibniz-Formel.



Wir betrachten das Vektorfeld

Wegen

und

erfüllt dieses Vektorfeld die Integrabilitätsbedingung. Es handelt sich aber nicht um ein Gradientenfeld: Das Wegintegral zur (geschlossenen) trigonometrischen Parametrisierung des Einheitskreises

ist

im Gegensatz zu Korollar 57.5.




Fußnoten
  1. In einem Potentialfeld ist also die geleistete Arbeit gleich der Potentialdifferenz von Start- und Endpunkt.
  2. Aus der Existenz eines verbindenden stetigen Weges folgt die Existenz eines verbindenden stetig differenzierbaren Weges. Man könnte also auch diese Eigenschaft als Definition für zusammenhängend nehmen.


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