Kurs:Bündel, Garben und Kohomologie (Osnabrück 2019-2020)/Vorlesung 2

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Schnitte

Definition  

Es seien und topologische Räume und es sei

eine stetige Abbildung. Unter einem stetigen Schnitt zu versteht man eine stetige Abbildung mit

Man denke bei beispielsweise an ein Vektorbündel über . Einen Schnitt kann es nur geben, wenn surjektiv ist, was bei einem Vektorbündel stets der Fall ist. Gelegentlich identifiziert man einen Schnitt mit seinem Bild, was problemlos ist, da ein Schnitt stets injektiv ist. Eine besondere Rolle spielt der Nullschnitt, der jedem Basispunkt den Nullpunkt im Vektorraum zuordnet. Für Tangentialbündel haben Schnitte einen eigenen Namen.


Definition  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine Abbildung

mit der Eigenschaft, dass für jeden Punkt ist, heißt (zeitunabhängiges) Vektorfeld.



Der Satz vom Igel

Satz

Auf der - Sphäre

besitzt jedes stetige Vektorfeld zumindest eine Nullstelle.

Insbesondere ist das Tangentialbündel der -Sphäre nicht trivial. Es gibt verschiedene Interpretationen für diesen Satz. Beispielsweise besagt er, dass es auf der Erdoberfläche stets einen Punkt gibt, in dem Windstille herrscht (die momentane horizontale Windrichtung ist ein stetiges Vektorfeld), oder, dass man die Stacheln eines Igels nicht alle an den Igel flach anlegen kann.

Bemerkung  

Mit dem Satz vom Igel können wir begründen, dass das Vektorbündel über aus Beispiel 1.2 keine stetige Trivialisierung besitzt. Zunächst ist eine Teilmenge, so dass wir auf einschränken können. Wenn selbst trivial wäre, so wäre auch diese Einschränkung trivial. Die Einschränkung des Bündels auf die Einheitssphäre ist aber das Tangentialbündel der Einheitssphäre, da die Bedingung

als Orthogonalitätsrelation aufgefasst werden kann und der (extrinsische) Tangentialraum an einen Ortspunkt der Sphäre durch diese Orthogonalitätsrelation festgelegt ist. Wenn das Tangentialbündel trivial wäre, so würde es eine stetige Vektorfelder und geben, die in jedem Punkt der Sphäre eine Basis des Tangentialraumes bildeten. Der Satz vom Igel sagt aber, dass sogar jedes Vektorfeld eine Nullstelle hat, und kann nicht Teil einer Basis sein.




Verklebungsdaten für topologische Räume

Ein Vektorbündel „setzt“ sich aus den trivialen Vektorbündeln zu einer offenen Überdeckung von zusammen, wobei die genaue Zusammensetzung eben das Vektorbündel ausmacht. Die Art der Zusammensetzung kann man übersichtlich mit Verklebungsdaten beschreiben. Dafür brauchen wir zunächst generell Verklebungsdaten für topologische Räume. Die grundlegende Fragestellung dahinter ist einfach, was man von einer offenen Überdeckung wissen muss, um den Raum rekonstruieren zu können. Die kurze Antwort ist, dass man die kennen muss, die Zweierdurchschnitte , und zwar sowohl als Teilmenge in als auch in und wie diese zu identifizieren sind, und dann noch eine Kompatibilitätsbedingung für diese Identifizierungen, die auf je drei Teilmengen Bezug nimmt.


Definition  

Unter einem Verklebungsdatum für topologische Räume versteht man den folgenden Datensatz.

  1. Eine Familie , , von topologischen Räumen.
  2. Für jedes Paar eine offene Teilmenge (mit ).
  3. Für jedes Paar einen Homöomorphismus

    (mit ).

  4. Für Indizes ist die Kozykelbedingung

    als Abbildung von nach erfüllt.



Lemma  

Es sei ein Verklebungsdatum , , für topologische Räume gegeben.

Dann gibt es einen eindeutig bestimmten topologischen Raum , eine offene Überdeckung und Homöomorphismen derart, dass

ist und

gilt.

Beweis  

Es sei die disjunkte Vereinigung der . Wir definieren auf eine Äquivalenzrelation , wobei wir Punkte und als äquivalent ansehen, wenn , und ist. Die Eigenschaften einer Äquivalenzrelation sind dabei durch die Kozykelbedingung gesichert, siehe Aufgabe 2.14. Wir setzen

und versehen mit der Quotiententopologie. Die Verknüpfungen

sind die , und sind die Bilder dieser Abbildungen. Daher liegen Homöomorphismen vor. Dabei ist zu

genau dann, wenn ist, da genau in diesem Fall mit identifiziert wird. Daher ist . Die Kommutativität des Diagramms

folgt ebenso.



Lemma

Es sei ein Verklebungsdatum , , für topologische Räume gegeben. Es sei ein weiterer topologischer Raum und es seien stetige Abbildungen

gegeben, die die Bedingung erfüllen.

Dann gibt es eine eindeutig bestimmte stetige Abbildung

mit , wobei den durch die Verklebungsdaten festgelegten topologischen Raum (siehe Lemma 2.6, auch für die Notation) bezeichnen.

Beweis

Siehe Aufgabe 2.18.




Verklebungsdaten für Vektorbündel

Definition  

Unter einem Verklebungsdatum für ein reelles Vektorbündel vom Rang über einem topologischen Raum versteht man den folgenden Datensatz.

  1. Eine offene Überdeckung
  2. Eine Familie , , von reellen Vektorbündeln vom Rang .
  3. Für jedes Paar einen Isomorphismus von Vektorbündeln

    über .

  4. Für Indizes ist die Kozykelbedingung

    als Abbildung von nach erfüllt.

Bemerkung  

Typischerweise sind in der Definition 2.8 die Vektorbündel aus (2) triviale Vektorbündel auf , also . Die Isomorphismen aus (3) sind dann einfach durch bijektive lineare Abbildungen gegeben, die stetig vom Basispunkt aus abhängen. Diese kann man kompakt durch stetige Abbildungen

in die allgemeine lineare Gruppe beschreiben. Den Basispunkten wird also in stetiger Weise eine invertierbare - Matrix zugeordnet, wobei die Stetigkeit bedeutet, dass sämtliche Matrixeinträge stetige Funktionen sind. Man spricht von einer Matrixbeschreibung des Bündels. Die Kozykelbedingung bleibt bestehen.




Lemma  

Es sei ein Verklebungsdatum , , über einem topologischen Raum

gegeben.

Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes reelles Vektorbündel und Isomorphismen derart, dass

gilt.

Beweis  

Die Existenz eines topologischen Raumes mit den besagten Eigenschaften ergibt sich aus Lemma 2.6 (zu verkleben sind die offenen Mengen ) und die Existenz der stetigen Abbildung nach aus Lemma 2.7. Dabei gibt es eine wohldefinierte Vektorraumstruktur auf jeder Faser , die von zu einer beliebigen offenen Umgebung herrührt. Die Unabhängigkeit beruht darauf, dass für nach Voraussetzung ein Vektorbündelisomorphismus

vorliegt, der einen Vektorraumisomorphismus

induziert.



Beispiel  

Wir betrachten auf der eindimensionalen Sphäre

die offene Überdeckung mit und . Darauf beschreiben wir ein Verklebungdatum für ein reelles Vektorbündel vom Rang . Die beiden offenen Mengen sind homöomorph zur reellen Geraden. Es ist

und dies ist nicht zusammenhängend, sondern homöomorph zu zwei disjunkten reellen offenen Halbgeraden (bzw. Geraden). Wir setzen und . Wir legen einen Isomorphismus

durch

fest. Man beachte, dass stetig ist, da die beiden funktionalen Ausdrücke für zueinander disjunkte offene Teilmengen gelten. Auf der einen Hälfte wird identisch abgebildet, auf der anderen Hälfte wird umgeklappt. Im Sinne von Bemerkung 2.9 liegt die stetige (konstante) Matrixbeschreibung

auf vor. Da nur zwei offene Mengen vorliegen, ist die Kozykelbedingung automatisch erfüllt. Dieses Verklebungsdatum definiert nach Lemma 2.10 ein reelles Vektorbündel vom Rang auf der Sphäre, das Möbiusband heißt.


Wir geben eine direkte algebraische Realisierung des Möbiusbandes im an.


Beispiel  

Wir betrachten

zusammen mit der natürlichen Projektion auf die eindimensionalen Sphäre

mit und . Wir behaupten, dass ein Vektorbündel vom Rang ist, das isomorph zum Möbiusband ist. Auf ist und daher kann man die zweite Gleichung nach auflösen, also

Damit ist die dritte Gleichung wegen

automatisch erfüllt. Entsprechend gilt auf die Beziehung

und die andere Gleichung ist automatisch erfüllt. Daher ist auf bzw. auf ein triviales Vektorbündel vom Rang mit der Variablen bzw. . Die Übergangsabbildung auf ist durch

gegeben, eine Matrixbeschreibung dieses Bündels ist also . Diese Matrix hängt, im Gegensatz zur konstanten Matrix aus Beispiel 2.11 explizit von

ab. Dennoch sind die beiden Vektorbündel zueinander isomorph. Dazu verwenden wir Aufgabe 2.21 und betrachten die beiden stetigen Funktionen auf und auf , die beide nullstellenfrei sind.

Es ist

abhängig vom Vorzeichen von . Daher sind die Bündel isomorph.




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