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Kurs:Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)/Vorlesung 22/kontrolle

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Die normale Hülle

Es sei eine algebraische Körpererweiterung. Man nennt einen Körper mit eine normale Hülle von über , wenn der gemeinsame Zerfällungskörper aller Minimalpolynome von Elementen aus ist.



Es sei eine endliche Körpererweiterung.

Dann existiert die normale Hülle .

Es sei und seien die zugehörigen Minimalpolynome. Wir setzen , und es sei der Zerfällungskörper von über . Nach Satz 15.7 ist die Körpererweiterung normal.



Auflösbare Körpererweiterungen

Wir kommen nun zu einer Ausgangsfrage der Galoistheorie zurück, nämlich zur Frage, ob man für jedes gegebene Polynom eine Kette von einfachen Radikalerweiterungen finden kann, so dass die Nullstellen von enthält. Dies ist die körpertheoretische Variante der Frage, ob es entsprechend zur Lösungsformel von Cardano auch für höhere Grade eine Lösung mit Radikalen gibt. Diese Fragestellung führt zu den folgenden Begriffen.


Eine Körpererweiterung heißt auflösbar, wenn es eine Radikalerweiterung mit gibt.


Es sei ein Körper und ein Polynom. Man sagt, dass das Polynom auflösbar ist (bzw., dass die Gleichung auflösbar ist), wenn die Körpererweiterung auflösbar ist.

Wir erinnern daran, dass eine Radikalerweiterung aus einer Kette von einfachen Radikalerweiterungen besteht, wobei eine einfache Radikalerweiterung durch die Adjunktion einer gewissen Wurzel eines Elements gegeben ist.[1] Eine Radikalerweiterung

nennt man eine -Radikalerweiterung, wenn es eine Körperkette aus einfachen Radikalerweiterungen gibt, wobei die Beziehung gilt. Jede Radikalerweiterung ist eine -Radikalerweiterung für viele , beispielsweise kann man jedes gemeinsame Vielfache der Einzelexponenten der beteiligten einfachen Radikalerweiterungen nehmen. Ein solches hat (ähnlich wie der Exponent bei Kummererweiterungen) lediglich die Funktion, gewisse numerische Daten durch eine „gemeinsame Schranke“ zu kontrollieren.



Lemma  Lemma 22.5 ändern

Es sei eine - Radikalerweiterung.

Dann ist auch die normale Hülle von eine -Radikalerweiterung von .

Es sei eine Körperkette aus einfachen Radikalerweiterungen gegeben, also

mit und . Wir zeigen durch Induktion über , dass die normale Hülle von über ebenfalls eine -Radikalerweiterung ist. Bei ist nichts zu zeigen. Wir nehmen also an, dass die Aussage schon für kleinere Zahlen bewiesen sei. Es sei die normale Hülle, die die normale Hülle von enthält. Nach Induktionsvoraussetzung ist eine -Radikalerweiterung. In zerfallen die Minimalpolynome der , , und in zerfallen die Minimalpolynome der , . Daher ist , wobei die die Nullstellen des Minimalpolynoms von sind. Wegen sind diese auch Nullstellen des Polynoms .


Wir kommen nun zur gruppentheoretischen Charakterisierung von auflösbaren Körpererweiterungen. Dabei beschränken wir uns auf Charakteristik . Dies sichert, dass es zu jeder Zahl primitive -te Einheitswurzeln in einem Erweiterungskörper gibt. Durch die Hinzunahme von Einheitswurzeln können wir auf eine Situation hin transformieren, in der wir mittels Kummertheorie aus der Kommutativität von gewissen Galoisgruppen auf die Existenz von Wurzeln schließen können.


Satz  Satz 22.6 ändern

Es sei ein Körper der Charakteristik und sei eine Galoiserweiterung.

Dann ist die Körpererweiterung genau dann auflösbar, wenn ihre Galoisgruppe auflösbar ist.

Es sei zuerst die Körpererweiterung auflösbar, und zwar sei eine Körpererweiterung derart, dass eine Radikalerweiterung ist. Es sei dabei ein gemeinsamer „Radikalexponent“ der beteiligten einfachen Radikalerweiterungen. Da wir in Charakteristik sind, können wir zu eine -te primitive Einheitswurzel adjungieren und erhalten eine -Radikalerweiterung . Wir ersetzen durch seine normale Hülle , die nach Lemma 22.5 ebenfalls eine -Radikalerweiterung von ist. Da wir in Charakteristik sind, ist eine Galoiserweiterung. Wir können also davon ausgehen, dass eine Kette

vorliegt, wobei galoissch ist und wo die sukzessiven Körpererweiterungen einfache Radikalerweiterungen sind. Es sei und wir setzen

Dabei gelten nach Lemma 16.3  (2) die natürlichen Inklusionen

Da die Zwischenerweiterungen für einfache Radikalerweiterungen und in die benötigten Einheitswurzeln vorhanden sind, folgt aus Satz 18.5, dass es sich um Galoiserweiterungen mit abelscher Galoisgruppe handelt. Aufgrund von Satz 17.5  (2) sind daher die Normalteiler in und die Restklassengruppen sind kommutativ. Die Erweiterung besitzt nach Aufgabe 20.21 ebenfalls eine abelsche Galoisgruppe. Daher liegt insgesamt eine Filtrierung vor, die als auflösbar erweist. Da eine Galoiserweiterung ist, gilt wieder nach Satz 17.5 die Beziehung

sodass auch wegen Lemma 21.3 eine auflösbare Gruppe ist.

Es sei nun vorausgesetzt, dass die Galoisgruppe auflösbar ist, und sei

eine Filtrierung mit Untergruppen derart, dass jeweils ein Normalteiler ist mit abelscher Restklassengruppe . Wir setzen , sodass nach Lemma 16.3  (1) und Satz 16.6 die Körperkette

vorliegt. Dabei sind nach Korollar 16.7 die Körpererweiterungen galoissch, und ihre Galoisgruppen sind gemäß Satz 17.1. Da die Normalteiler in sind, sind aufgrund von Satz 17.5 die Körpererweiterungen galoissch mit Galoisgruppe . Diese sukzessiven Erweiterungen sind also Galoiserweiterungen mit abelscher Galoisgruppe. Es sei der Exponent von . Es sei ein -ter Kreisteilungskörper, also ein Zerfällungskörper von über , und sei eine -te primitive Einheitswurzel. Es ist somit . Wir setzen (innerhalb von ) und haben dann die Körperkette

Hierbei gilt . Nach Satz 20.7 ist ebenfalls galoissch, und es gilt die Untergruppenbeziehung

sodass diese Galoisgruppen auch abelsch sind. Da die -te primitive Einheitswurzel zu gehört, sind die Erweiterungen allesamt Kummererweiterungen und damit nach Korollar 18.4 auch Radikalerweiterungen. Da auch eine (einfache) Radikalerweiterung ist, ist insgesamt eine Radikalerweiterung, die umfasst. Somit ist auflösbar.



Es sei ein Körper der Charakteristik und sei ein Polynom.

Dann ist genau dann auflösbar, wenn die Galoisgruppe des Zerfällungskörpers von auflösbar ist.

Wegen Satz 16.6 ist eine Galoiserweiterung, sodass die Aussage direkt aus Satz 22.6 folgt.


Ein wichtiges unmittelbares Korollar aus der vorstehenden Charakterisierung ist die Auflösbarkeit mit Radikalen von polynomialen Gleichungen vom Grad vier, wobei man dieses Ergebnis auch direkt über die (recht komplizierten, aber) expliziten Cardanoschen Lösungsformeln zum vierten Grad erhalten kann.



Es sei ein Körper der Charakteristik und sei ein Polynom vom Grad .

Dann ist auflösbar.

D.h. es gibt eine Radikalerweiterung derart, dass über in Linearfaktoren zerfällt.

Es sei der Zerfällungskörper von über , der aufgrund der Voraussetzung über die Charakteristik nach Satz 16.6 eine Galoiserweiterung ist. Sei . Über besitzt maximal Nullstellen. Nach Lemma 14.2 ist eine Untergruppe der Permutationsgruppe der Nullstellen, also ist jedenfalls . Wegen Lemma 21.8 und Lemma 21.2 ist somit eine auflösbare Gruppe. Aus Satz 22.6 folgt daher die Auflösbarkeit des Zerfällungskörpers über .


Das entscheidende Schlussfolgerung aus der obigen Charakterisierung ist aber, dass nicht alle Gleichungen auflösbar sind. Das ist Gegenstand der nächsten Vorlesung.



Fußnoten
  1. Man beachte, dass eine einfache Radikalerweiterung nicht das gleiche ist wie eine Radikalerweiterung, die zugleich eine einfache Körpererweiterung ist.