Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 52/kontrolle
Wir betrachten die Abbildung
und knüpfen an Beispiel 48.5 an. Der einzige kritische Punkt ist , ansonsten ist die Abbildung in jedem Punkt regulär und daher lassen sich lokal die Fasern als Graphen beschreiben. Die Faser über besteht aus der durch gegebenen Geraden und der durch gegebenen Halbgeraden, die sich im kritischen Punkt senkrecht schneiden. Ansonsten sind die Fasern durch die Gleichung
mit einem , , bestimmt (für nichtpositives sind die Fasern leer). Wir schreiben diese Bedingung als und daher als
Wegen kann man dies zu auflösen und wegen zu
Die Faser besteht jeweils aus zwei Komponenten, die bzw. entsprechen.
- Der Satz über die injektive Abbildung
Als ein weiteres Korollar aus dem Satz über die Umkehrabbildung besprechen wir die Situation, wo das totale Differential injektiv ist.
Es seien und endlichdimensionale reelle Vektorräume, sei offen und sei
eine stetig differenzierbare Abbildung. Es sei ein Punkt, in dem das totale Differential injektiv sei.
Dann gibt es eine offene Umgebung , , derart, dass injektiv ist.
Es sei und . Es sei das Bild des totalen Differentials . Nach Lemma 12.5 (1) ist ein Untervektorraum der Dimension . Wir ergänzen eine Basis von durch zu einer Basis von und setzen . Wir betrachten die Abbildung
wobei links und rechts zwei -dimensionale Vektorräume stehen. Diese Abbildung kann man als die Hintereinanderschaltung
auffassen. Daher ist die Gesamtabbildung stetig differenzierbar und das totale Differential ist , wobei die lineare Einbettung des Unterraums ist. Dieses totale Differential ist surjektiv im Punkt , da sowohl als auch zum Bild gehören, und somit bijektiv. Wir können also den Satz über die Umkehrabbildung anwenden und erhalten offene Mengen und derart, dass ein Diffeomorphismus zwischen und ist. Dies können wir einschränken auf eine offene Menge der Form mit und . Dann ist die Abbildung
injektiv, da dies die Hintereinanderschaltung
mit ist.
- Vektorfelder
Wir kehren nun zu gewöhnlichen Differentialgleichungen zurück, wobei wir im Unterschied zu den beiden Vorlesungen 37 und 38 erlauben, dass die Lösungskurven Kurven in einem höherdimensionalen Vektorraum sind. Mit gewöhnlich wird ausgedrückt, dass die Definitionsmengen der Lösungen eindimensional sind (Differentialgleichungen, deren Lösungen eine höherdimensionale Definitionsmenge ist, heißen partielle Differentialgleichungen). Wir werden zuerst beschreiben, welche Daten eine gewöhnliche Differentialgleichung auszeichnen und dann einen allgemeinen Existenz- und Eindeutigkeitssatz für die Lösung beweisen, den Satz von Picard-Lindelöf. Später werden wir uns hauptsächlich auf lineare Differentialgleichungssysteme beschränken.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall und eine offene Menge. Dann nennt man eine Abbildung
ein Vektorfeld (auf ).
Die übliche physikalische Interpretation ist hierbei, dass die Zeit repräsentiert, den Ort und einen Vektor, der zum Zeitpunkt an den Ortspunkt angeheftet ist und dort eine Richtung vorgibt. Manchmal spricht man auch von einem Richtungsfeld. Im physikalischen Kontext werden die Vektoren als Geschwindigkeitsvektoren, als Kraftvektoren oder als Beschleunigungsvektoren interpretiert.
Wenn das Vektorfeld nicht von abhängt, so spricht man von einem zeitunabhängigen oder autonomen Vektorfeld.
- Gewöhnliche Differentialgleichungen
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Dann nennt man
die gewöhnliche Differentialgleichung (oder gewöhnliches Differentialgleichungssystem) zum Vektorfeld .
(Zeitabhängige) Vektorfelder und gewöhnliche Differentialgleichungssysteme sind im Wesentlichen äquivalente Objekte. Man spricht auch von einem dynamischen System. Von Differentialgleichungen spricht man insbesondere dann, wenn man sich für die Lösungen im Sinne der folgenden Definition interessiert.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Zur gewöhnlichen Differentialgleichung
heißt eine Abbildung
auf einem offenen (Teil)Intervall[1] eine Lösung der Differentialgleichung, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind.
- Es ist für alle .
- Die Abbildung ist differenzierbar.
- Es ist für alle .
Eine Lösung ist also eine differenzierbare Kurve, d.h. eine (orts-)vektorwertige Abbildung
Wenn ist, so wird eine solche Abbildung durch ihre Komponenten
beschrieben. Ebenso wird das Vektorfeld durch , von und abhängige Funktionen beschrieben. Die Differentialgleichung lautet dann ausgeschrieben
Daher spricht man auch von einem Differentialgleichungssystem.
Häufig soll eine Kurve nicht nur eine Differentialgleichung erfüllen, sondern sich zusätzlich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort befinden. Dies führt zum Begriff des Anfangswertproblems.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Es sei gegeben. Dann nennt man
das Anfangswertproblem zur gewöhnlichen Differentialgleichung mit der Anfangsbedingung .
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Es sei vorgegeben. Dann nennt man eine Abbildung
auf einem Intervall mit eine Lösung des Anfangswertproblems
wenn eine Lösung der Differentialgleichung ist und wenn zusätzlich
gilt.
- Lipschitz-Bedingungen
Für den Satz von Picard-Lindelöf wird die Voraussetzung wesentlich sein, dass das Vektorfeld lokal einer Lipschitz-Bedingung genügt.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Man sagt, dass das Vektorfeld einer Lipschitz-Bedingung genügt, wenn es eine reelle Zahl mit
für alle und gibt.
Die reelle Zahl nennt man auch eine Lipschitz-Konstante für das Vektorfeld .
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, ein reelles Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf . Man sagt, dass das Vektorfeld lokal einer Lipschitz-Bedingung genügt, wenn es zu jedem Punkt eine offene Umgebung
derart gibt, dass das auf eingeschränkte Vektorfeld einer Lipschitz-Bedingung genügt.
Die folgende Aussage liefert ein wichtiges und leicht überprüfbares hinreichendes Kriterium, wann ein Vektorfeld lokal einer Lipschitz-Bedingung genügt.
Es sei ein reelles offenes Intervall, eine offene Menge und
ein Vektorfeld auf derart, dass die partiellen Ableitungen nach existieren und stetig sind.
Dann genügt lokal einer Lipschitz-Bedingung.
Sei
ein Punkt in und seiist. Dieses ist eine abgeschlossene Umgebung von und daher kompakt. Da die partiellen Ableitungen nach Voraussetzung stetig sind, gibt es nach Satz 22.7 eine gemeinsame Schranke mit
für alle . Daher gibt es für die Matrizen eine Schranke mit
Man kann daher zu jedem festen Zeitpunkt Lemma 49.3 anwenden und erhält für die Abschätzung
- Fußnoten
- ↑ Rein formal gesehen ist hier auch das leere Intervall zugelassen, wobei diese „leere Lösung“ natürlich uninteressant ist. Bei einem Anfangswertproblem sichert bereits die Anfangsbedingung, dass die Lösung nicht leer ist.
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