Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil III/Vorlesung 88
- Mannigfaltigkeiten mit Rand
Es seien und . Ein topologischer Hausdorff-Raum zusammen mit einer offenen Überdeckung und Karten
wobei die offene Mengen im euklidischen Halbraum der Dimension sind, und mit der Eigenschaft, dass die Übergangsabbildungen
-Diffeomorphismen sind, heißt -Mannigfaltigkeit mit Rand oder differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand (vom Grad ), oder berandete Mannigfaltigkeit. Die Menge der Karten , , nennt man auch den -Atlas der berandeten Mannigfaltigkeit.
Da auch offene Mengen im Halbraum zugelassen sind, die den Rand gar nicht treffen, umfasst dieser Begriff den der differenzierbaren Mannigfaltigkeit. Bei einer Mannigfaltigkeit mit Rand kann der Rand (den wir gleich in naheliegender Weise definieren) eben auch leer sein. Dies ist genau bei den „gewöhnlichen“ differenzierbaren Mannigfaltigkeiten der Fall.
Es sei eine Mannigfaltigkeit mit Rand. Dann ist der Rand von , geschrieben , durch
definiert, wobei Karten sind.
Dabei kann man auf jeder Karte testen, ob ein gegebener Punkt ein Randpunkt ist.
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand . Dann gelten folgende Aussagen.
- Ein Punkt ist genau dann ein Randpunkt, wenn dies für jede Karte, deren Kartengebiet den Punkt beinhaltet, gilt.
- Der Rand ist abgeschlossen.
- Das Komplement ist eine differenzierbare Mannigfaltikeit (ohne Rand).
(1). Es sei und ein Kartengebiet mit zwei Karten
und
mit und offen in euklidischen Halbräumen . Die Kartenwechselabbildung ist ein Diffeomorphismus, und das heißt nach Aufgabe ***** für jeden Punkt , dass es offene Umgebungen und in gibt mit und eine diffeomorphe Ausdehnung
von . Daher ist offen in .
Es sei nun
und mit den eben erwähnten Eigenschaften gewählt. Wenn kein Randpunkt in der ersten Karte ist, so ist
eine offene Umgebung und damit ist
eine offene Umgebung in
.
Ferner ist
.
D.h.
besitzt eine in offene Umgebung innerhalb von und kann daher
nach Aufgabe *****
auch in der zweiten Karte kein Randpunkt sein.
(2). Sei
und sei
ein Kartengebiet mit dem
Homöomorphismus
mit
offen. Da kein Randpunkt ist, ist die erste Komponente von positiv und daher gibt es eine offene Menge
.
Daher ist
eine offene Umgebung von , die
(nach Teil 1)
den Rand nicht trifft.
(3). Für jeden Punkt
kann man wie in (2) ein Kartengebiet angeben, das disjunkt zum Rand ist und dessen Kartenbild eine offene Menge im ist. Daher liegt eine
Mannigfaltigkeit
(ohne Rand)
vor.
Auch die Begriffe differenzierbare Abbildung, Diffeomorphismus und Tangentialraum übertragen sich auf eine Mannigfaltigkeit mit Rand, siehe
Aufgabe *****.
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand der Dimension .
Dann ist der Rand eine differenzierbare Mannigfaltigkeit (ohne Rand) der Dimension .
Zunächst ist mit der induzierten Topologie ein Hausdorff-Raum. Sei und sei
eine Karte mit offen und . Da eine Homöomorphie ist und da nach Lemma 88.3 (1) bei jeder Karte Randpunkte zu Randpunkten korrespondieren, induziert dies eine Homöomorphie
Dabei ist eine offene Umgebung von in , sodass wir diese Mengen als Kartengebiete nehmen können. Betrachten wir nun einen Kartenwechsel, wobei wir gleich von einem einzigen Kartengebiet und zwei Karten und mit offen ausgehen können. Es liegt dann ein - Diffeomorphismus
vor. Dies bedeutet zunächst, dass eine Homöomorphie vorliegt. Die Diffeomorphismuseigenschaft von bedeutet für jeden Punkt , dass es offene Umgebungen und und eine diffeomorphe Fortsetzung
von von nach gibt. Diese Fortsetzung induziert dann nach Aufgabe 88.13 auch eine - Diffeomorphie zwischen den Rändern und , sodass insgesamt eine Diffeomorphie
vorliegt.
Wir wissen bereits, dass die Faser einer differenzierbaren regulären Abbildung zwischen differenzierbaren Mannigfaltigkeiten die Struktur einer abgeschlossenen Untermannigfaltigkeit trägt. Auf einem ähnlichen Argument beruht der folgende Satz, der die Existenz von sehr vielen berandeten Mannigfaltigkeiten sichert.
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und es sei
eine stetig differenzierbare Funktion. Es sei . Jeder Punkt der Faser über sei regulär.
Dann sind die Teilmengen
differenzierbare Mannigfaltigkeiten mit Rand, und zwar ist ihr Rand jeweils gleich .
Zur Notationsvereinfachung sei , und wir beschränken uns auf . Es ist
wobei die linke Menge eine offene Menge von und damit eine offene Untermannigfaltigkeit ist. Entscheidend ist also zu zeigen, dass es für die Punkte aus der Faser Karten und damit eine Mannigfaltigkeitsstruktur gibt. Es sei also . Nach dem Beweis des Satzes über implizite Abbildungen gibt es zu eine offene (Karten)-Umgebung und eine Karte
, derart, dass ist. Dabei korrespondiert zu und zu , sodass also die Einschränkung von auf eine Karte für in liefert. Die Kartenwechsel sind dabei - diffeomorph, da dies für die (vollen) Karten auf gilt.
ist eine - differenzierbare Mannigfaltigkeit mit der Sphäre
als Rand. Dies folgt unmittelbar aus Satz 88.5 angewendet auf die differenzierbare Funktion
die in jedem Punkt regulär ist.
ist bei keine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand, da er nicht nur Seiten, sondern auch (je nach Dimension) Ecken und Kanten besitzt. Ein Rechteck besitzt vier Eckpunkte, denen man nicht die Struktur einer (mit dem umgebenden Raum verträglichen) differenzierbaren berandeten Mannigfaltigkeit geben kann (da das abgeschlossene Rechteck homöomorph zur abgeschlossenen Kreisscheibe ist, kann man darauf die Struktur einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit mit Rand erklären; mit dieser Struktur ist aber die natürliche Einbettung des Rechtecks in den nicht differenzierbar), ein dreidimensionaler Quader besitzt zwölf Kanten und acht Ecken, an denen es keine natürliche Mannigfaltigkeitsstruktur gibt.
Wenn man allerdings diese Ecken, Kanten etc. entfernt und nur die „Seiten der Kodimension eins“ beibehält, so bekommt man eine (nicht kompakte) Mannigfaltigkeit mit Rand. Der Rand ist dabei die disjunkte Vereinigung dieser Hyper-Seiten. Dieser Rand ist, wie bei jeder Mannigfaltigkeit mit Rand, abgeschlossen innerhalb der Mannigfaltigkeit, allerdings nicht abgeschlossen im umgebenden euklidischen Raum.
- Orientierungen auf Mannigfaltigkeiten mit Rand
Der sei mit der durch die Standardvektoren gegebenen Orientierung versehen, ferner sei der Halbraum
als der „innere Halbraum“ ausgezeichnet. Dann nennt man die auf der Hyperebene (also dem Rand der berandeten Mannigfaltigkeit )
durch die Basis definierte Orientierung die Orientierung durch die äußere Normale. Eine beliebige Basis von repräsentiert diese Orientierung genau dann, wenn für einen beliebigen Vektor (das bedeutet, nach „außen“, also raus aus dem Halbraum zu zeigen) die Basis (also zuerst) von die Ausgangsorientierung repräsentiert .[1]
Dieser Zusammenhang zwischen Orientierungen auf einem reellen Vektorraum und Orientierungen auf dem Rand eines Halbraumes überträgt sich auf Mannigfaltigkeiten mit Rand. Wichtig ist dabei, dass der Tangentialraum in einem Randpunkt eine kanonische Hyperebene enthält, nämlich den Tangentialraum des Randes. Die Mannigfaltigkeit definiert dabei eine „innere“ und eine „äußere Hälfte“ des Tangentialraumes.
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Rand, die eine Orientierung trage.
Dann trägt auch die Randmannigfaltigkeit eine kanonische Orientierung, nämlich diejenige, die auf jeder Karte durch die äußere Normale festgelegt ist.
Für jede (orientierte) Karte
zu offen wird die induzierte Karte
mit der Orientierung durch die äußere Normale auf versehen. Nach Voraussetzung besitzen sämtliche Kartenwechsel zu in jedem Punkt eine positive Fundamentaldeterminante bezüglich der die Orientierungen repräsentierenden Basen, und wir müssen zeigen, dass dies auch für die induzierten Kartenwechsel gilt. Dabei können wir von einem offenen Kartengebiet und zwei Karten
und
ausgehen und die Übergangsabbildung
mit offenen Mengen und betrachten. Es sei eine Basis von und derart, dass die äußere Normale von repräsentiert, dass also die Orientierung des repräsentiert (es seien die zugehörigen Koordinaten); ebenso sollen die entsprechenden Eigenschaften erfüllen. Wir schreiben die Fundamentalmatrix von bezüglich dieser Basen hin, also die Matrix mit den Einträgen
Die Determinante davon ist nach Voraussetzung positiv. Wegen gilt für einen Punkt die Beziehung
für . Nach dem Entwicklungssatz hängt daher das Vorzeichen der Determinante der Matrix
die die Fundamentalmatrix der Übergangsabbildung der Randkarten
(bezüglich der Basen und ) im Punkt ist, nur von ab. Dabei gilt mit nach Lemma 43.2 die Beziehung
Da die äußere Normale repräsentiert, ist bei negativem (betragsmäßig hinreichend kleinen) der Vektor mit den Koordinaten . Daher muss der Bildvektor zu gehören und daher ist wiederum . Also ist dieser Quotient , was dann auch für den Limes gilt. Da ein Diffeomorphismus vorliegt, muss der Limes sogar positiv sein, woraus die Aussage folgt.
- Fußnoten
- ↑ Dies ist für eine Halbgerade mit seinem einzigen Randpunkt folgendermaßen zu interpretieren. Die beiden Orientierungen auf sind und , und repräsentiert die Orientierung durch die äußere Normale, da für einen nach außen weisenden Vektor der entgegengesetzte Vektor die Standardorientierung von repräsentiert. Für den negativen Halbraum repräsentiert hingegen im Nullpunkt die Orientierung durch die äußere Normale.
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