Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil II/Vorlesung 34/kontrolle
Eine wichtige Zielsetzung dieses Kurses ist es, die Analysis und insbesondere die Konzepte Approximation, Konvergenz, Stetigkeit und Differenzierbarkeit auf höherdimensionale Situationen zu verallgemeinern. Dazu brauchen wir zunächst einen sinnvollen Abstandsbegriff.
- Euklidische Vektorräume
Im Anschauungsraum kann man nicht nur Vektoren addieren und skalieren, sondern ein Vektor hat auch eine Länge, und die Lagebeziehung von zwei Vektoren zueinander wird durch den Winkel zwischen ihnen ausgedrückt. Länge und Winkel werden beide durch den Begriff des Skalarprodukts präzisiert. Dafür muss ein reeller Vektorraum[1] vorliegen.
Es sei ein reeller Vektorraum. Ein Skalarprodukt auf ist eine Abbildung
mit folgenden Eigenschaften:
- Es ist
für alle , und ebenso in der zweiten Komponente.
- Es ist
für alle .
- Es ist für alle und genau dann, wenn ist.
Die dabei auftretenden Eigenschaften heißen Bilinearität (das ist nur eine andere Bezeichnung für multilinear, wenn der Definitionsbereich das Produkt von zwei Vektorräumen ist), Symmetrie und positive Definitheit.
Auf dem ist die Abbildung
ein Skalarprodukt, das man das Standardskalarprodukt nennt. Einfache Rechnungen zeigen, dass dies in der Tat ein Skalarprodukt ist.
Beispielsweise ist im mit dem Standardskalarprodukt
Ein reeller, endlichdimensionaler Vektorraum, der mit einem Skalarprodukt versehen ist, heißt euklidischer Vektorraum.
Zu einem euklidischen Vektorraum ist jeder Untervektorraum selbst wieder ein euklidischer Vektorraum, da man das Skalarprodukt auf einschränken kann und dabei die definierenden Eigenschaften erhalten bleiben.
- Norm und Abstand
Mit einem Skalarprodukt kann man die Länge eines Vektors und damit auch den Abstand zwischen zwei Vektoren erklären.
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt . Dann nennt man zu einem Vektor die reelle Zahl
die Norm von .
Die Norm ist der Abstand (siehe weiter unten) zum Nullpunkt. Im mit dem Standardskalarprodukt ist beispielsweise
Dass dies der „richtige“ Abstand zum Nullpunkt ist, beruht auf dem elementargeometrischen Satz von Pythagoras.
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt und der zugehörigen Norm .
Dann gilt die Cauchy-Schwarzsche Abschätzung, nämlich
für alle .
Bei ist die Aussage richtig. Es sei also und damit auch . Damit hat man die Abschätzungen
Multiplikation mit und Wurzelziehen ergibt das Resultat.
Für von verschiedene Vektoren und in einem euklidischen Vektorraum folgt aus der der Ungleichung von Cauchy-Schwarz, dass
ist. Damit kann man mit Hilfe der trigonometrischen Funktion Kosinus (als bijektive Abbildung ) bzw. der Umkehrfunktion den Winkel zwischen den beiden Vektoren definieren, nämlich durch
Der Winkel ist also eine reelle Zahl zwischen und . Die obige Gleichung kann man auch als
schreiben, was die Möglichkeit eröffnet, das Skalarprodukt in dieser Weise zu definieren. Allerdings muss man dann für den Winkel eine unabhängige Definition finden. Dieser Zugang ist etwas intuitiver, hat aber rechnerisch und beweistechnisch viele Nachteile.
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt . Dann gelten für die zugehörige Norm folgende Eigenschaften.
- Es ist .
- Es ist genau dann, wenn ist.
- Für
und
gilt
- Für
gilt
Die ersten beiden Eigenschaften folgen direkt aus der Definition des
Skalarprodukts.
Die Multiplikativität folgt aus
Zum Beweis der Dreiecksungleichung schreiben wir
Aufgrund von
Satz 34.5
ist dies . Diese Abschätzung überträgt sich auf die Quadratwurzeln.
Die folgende Aussage heißt Polarisationsformel.
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt und der zugehörigen Norm .
Dann gilt die Beziehung
Beweis
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt . Zu zwei Vektoren nennt man
den Abstand zwischen und .
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt . Dann besitzt der zugehörige Abstand die folgenden Eigenschaften (dabei sind ).
- Es ist .
- Es ist genau dann, wenn .
- Es ist .
- Es ist
Beweis
Damit ist ein euklidischer Raum insbesondere ein metrischer Raum, womit wir uns in den nächsten Vorlesungen beschäftigen werden.
- Orthogonalität
Mit dem Skalarprodukt kann man die Eigenschaft zweier Vektoren, aufeinander senkrecht zu stehen, ausdrücken.
Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt . Man nennt zwei Vektoren orthogonal zueinander (oder senkrecht), wenn
ist.
Es sei ein euklidischer Vektorraum und ein Untervektorraum. Dann heißt
das orthogonale Komplement von .
Es sei mit dem Standardskalarprodukt versehen. Zum eindimensionalen Untervektorraum zum Standardvektor besteht das orthogonale Komplement aus allen Vektoren , deren -ter Eintrag ist. Zum eindimensionalen Untervektorraum zu einem Vektor
kann man das orthogonale Komplement bestimmen, indem man den Lösungsraum der linearen Gleichung
bestimmt. Der Orthogonalraum
besitzt die Dimension , es handelt sich also um eine sogenannte Hyperebene. Man nennt dann einen Normalenvektor für die Hyperebene .
Zu einem Untervektorraum , der durch eine Basis (oder ein Erzeugendensystem) , , gegeben ist, bestimmt man das orthogonale Komplement als Lösungsraum des linearen Gleichungssystems
wobei die aus den (als Zeilen) gebildete Matrix ist.
Die Elemente in einer Orthonormalbasis haben alle die Norm und sie stehen senkrecht aufeinander. Im ist die Standardbasis eine Orthonormalbasis. Das folgende Schmidtsche Orthonormalisierungsverfahren erlaubt es, ausgehend von einer Basis eine Orthonormalbasis zu konstruieren.
Es sei ein euklidischer Vektorraum und es sei eine Basis von .
Dann gibt es eine Orthonormalbasis von mit[2]
für alle .
Die Aussage wird durch Induktion über bewiesen, d.h. es wird sukzessive eine Familie von orthonormalen Vektoren konstruiert, die jeweils den gleichen Untervektorraum aufspannen. Für muss man lediglich normieren, also durch
ersetzen. Es sei die Aussage für schon bewiesen und sei eine Familie von orthonormalen Vektoren mit bereits konstruiert. Wir setzen
Dieser Vektor steht senkrecht auf allen und offenbar ist . Durch Normieren von erhält man .
Es sei der Kern der linearen Abbildung
Als Unterraum des trägt das induzierte Skalarprodukt. Wir möchten eine Orthonormalbasis von bestimmen. Dazu betrachten wir die Basis bestehend aus den Vektoren
Es ist und somit ist
der zugehörige normierte Vektor. Gemäß dem[3] Schmidtschen Orthonormalisierungsverfahren setzen wir
Es ist
und daher ist
der zweite Vektor der Orthonormalbasis.
- Der Gradient
Es sei ein euklidischer Vektorraum und
eine Linearform.
Dann gibt es einen eindeutig bestimmten Vektor mit
Wenn eine Orthonormalbasis von und ist, so ist dieser Vektor gleich .
Die Aussage folgt aus dem Zusatz. Es sei also eine Orthonormalbasis gegeben und sei . Dann ist für jedes
D.h. die beiden linearen Abbildungen und stimmen auf einer Basis überein, sind also nach Satz 24.7 identisch. Für jeden anderen Vektor ist der Wert der zugehörigen Linearform an mindestens einem Basisvektor von verschieden, daher liegt Eindeutigkeit vor.
Dieser Vektor, mit dem man die Linearform mit Hilfe des Skalarproduktes beschreiben kann, heißt Gradient zur Linearform.
- Fußnoten
- ↑ Auch für komplexe Vektorräume gibt es Skalarprodukte, was wir aber nicht behandeln werden.
- ↑ Hier bezeichnet den von den Vektoren erzeugten Untervektorraum, nicht das Skalarprodukt.
- ↑ Häufig ist es numerisch geschickter, zuerst nur zu orthogonalisieren und die Normierung erst zum Schluss durchzuführen, siehe Beispiel 34.16.