Zum Inhalt springen

Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 5

Aus Wikiversity



Binomiale Gleichungen

Es seien Variablen. Unter einer binomialen Gleichung in den versteht man eine Gleichung der Form

wobei Exponententupel sind. Zu einem Körper interessiert man sich für die Erfüllungsmenge

Dies ist einfach die Nullstellenmenge der binomialen Funktion (oder des binomialen Polynoms) . Wenn die Variable auf beiden Seiten echt (d.h. mit einem positiven Exponenten) vorkommt, so ist die Hyperebene eine irreduzible Komponente von . Wenn (nach einer Umnummerierung der Variablen) die Variablen beidseitig echt vorkommen, so erhält man die Zerlegung

wobei im vorderen binomialen Polynom keine Variable beidseitig vorkommt. Wir werden uns weitgehend auf den Fall beschränken, wo keine Variable beidseitig vorkommt. Auch dann muss das binomiale Polynom nicht irreduzibel sei, beispielsweise ist .


Wir betrachten die binomiale Gleichung . Die Nullstellenmenge besteht aus sämtlichen Punkten, deren Produkt der Koordinaten gleich ist. Insbesondere darf kein Eintrag gleich sein. Die Jacobimatrix ist

und diese besitzt in jedem Punkt der Nullstellenmenge den Rang , es liegt also eine glatte Varietät vor. Der Satz über implizite Abbildungen liefert lokal die Existenz eines Diffeomorphismus zu (bei oder ), doch gibt es hier unmittelbar die bijektive algebraische (rationale) Abbildung

Dies kann man so verstehen, dass der Graph zur rationalen Funktion auf ist. Es liegt hier also ein Isomorphismus zwischen der Zariski-offenen Menge

und der Zariski-abgeschlossenen Menge vor. Die Menge nennt man auch den -dimensionalen Torus.

Bei ist das der Isomorphismus zwischen der punktierten Geraden und der Hyperbel.


Wenn, anders als im vorstehenden Beispiel, auf beiden Seiten der binomialen Gleichung variable Ausdrücke stehen, also jeweils mindestens eine Variable mit einem positiven Exponenten vorkommt, so gehört der Nullpunkt zu . Im vorstehenden Beispiel war die Varietät glatt. Dies ist aber (neben der trivialen Gleichung ) die einzige glatte Varietät, die durch eine binomiale Gleichung definiert wird. Wir halten fest.


Es sei eine binomiales Polynom, wobei auf beiden Seiten weder die noch eine Variable allein stehe.

Dann besitzt die Nullstellenmenge eine Singularität im Nullpunkt.

Zunächst ist ein Punkt der durch das binomiale Polynom gegebenen Nullstellenmenge. Aufgrund der Voraussetzungen können wir das Polynom als mit verschiedenen Variablen und Monomen schreiben, die keine Einheiten sind (in den bzw. vorkommen kann). Die partiellen Ableitungen sind

und

(für jede weitere Variable ), die alle im Nullpunkt verschwinden.



Es sei ein Körper, seien teilerfremde Zahlen und sei das zugehörige binomiale Polynom.

Dann gelten folgende Eigenschaften.

  1. Das Polynom ist irreduzibel.
  2. Es gibt eine bijektive polynomiale Abbildung
  3. Bei besitzt eine isolierte Singularität im Nullpunkt.

Beweis

Siehe Aufgabe 5.4.

In der vorstehenden Situation liegt also eine Bijektion und bei eine Homöomorphie zwischen der glatten affinen Geraden und der singulären Kurve vor. In diesem Fall hat die Existenz einer Singularität keine topologischen Auswirkungen  (siehe allerdings die elfte Vorlesung, wo topologische Eigenschaften besprochen werden, die mit der Einbettung zusammenhängen, aber nicht mit der intrinsischen topologischen Struktur der Kurve).


Die binomiale Gleichung definiert eine algebraische Fläche

über jedem Körper . Die Jacobi-Matrix ist

Bei ist dies überall glatt, bei liegt im Nullpunkt eine isolierte Singularität vor. Man spricht von den -Singularitäten (die Indizierung ist so gewählt, dass schon eine Singularität ist). Das Polynom ist irreduzibel, für prim ergibt sich dies aus Aufgabe 8.25 (Körper- und Galoistheorie (Osnabrück 2018-2019)). Der Quotientenkörper von ist der rationale Funktionenkörper , da man

ausdrücken kann.



Der Nullpunkt von ist eine isolierte Singularität dieser Fläche über jedem Körper. Hat dies bei oder eine topologische Auswirkung? Im Komplexen kann man

schreiben und sieht, dass man genauso gut mit der Gleichung

für den Standardkegel arbeiten kann. Eine topologische Besonderheit des reellen Standardkegels ist, dass, wenn man die Singularität, also die Kegelspitze, herausnimmt, der Kegel in zwei Zusammenhangskomponenten zerfällt, die jeweils homöomorph zur punktierten Ebene sind und deren Fundamentalgruppe ist. Eine glatte reelle Ebene bleibt dagegen, wenn man einen Punkt herausnimmt, zusammenhängend, und die Fundamentalgruppe ist . Es ist ein typisches Phänomen, dass topologische Eigenschaften hervortreten, wenn man die Singularität herausnimmt und Eigenschaften des Komplements betrachtet. In Aufgabe 5.10 werden wir sehen, dass auch das reelle Nullstellengebilde in zwei Zusammenhangskomponenten zerfällt, wenn man die Singularität herausnimmt.

Die komplexe Ebene ist reell betrachtet ein vierdimensionaler Raum. Wenn man einen Punkt herausnimmt, bleibt das Komplement zusammenhängend und sogar einfach zusammenhängend, d.h. die Fundamentalgruppe ist trivial. Wir werden als Korollar zu Satz 9.7 sehen, dass das komplexe Nullstellengebilde hingegen die Eigenschaft hat, dass das Komplement zur Singularität zwar auch zusammenhängend ist, seine Fundamentalgruppe aber gleich ist.



Wir betrachten die algebraische Fläche, die durch die Gleichung

gegeben ist, also mit dem affinen Koordinatenring . Diese Fläche heißt Whitney-Regenschirm. Die Jacobi-Matrix zur Funktion ist

Die Gerade

liegt auf und genau dort ist die Jacobi-Matrix die Nullmatrix. Der singuläre Ort ist also eine eindimensionale Untervarietät. Im Quotientenkörper (das Polynom ist irreduzibel) ist

und der Quotientenkörper ist isomorph zum rationalen Funktionenkörper . Das Element aus dem Quotientenkörper hat also die kuriose Eigenschaft, dass sein Quadrat, nämlich , zu gehört, das Element selbst aber nicht. Die Abbildung

ist (wohldefiniert und bei algebraisch abgeschlossen) surjektiv, die Punkte und werden beide auf abgebildet und für liegt eine Bijektion vor, da sich dann aus rekonstruieren lässt. Das bedeutet, dass aus der affinen Ebene entsteht, indem man auf einer Geraden durch den Nullpunkt gegenüberliegende Punkte miteinander identifiziert. Das Bild dieser Geraden ist die singuläre Gerade (im reellen Bild eine Halbgerade). Die Gesamtabbildung heißt Normalisierung.


Wir betrachten nun Nullstellengebilde, die zu mehr als einer binomialen Gleichung gegeben sind. Es ist hier schon eine subtile Frage, wie die Zerlegung in irreduzible Komponenten aussieht.


Wir betrachten die Nullstellenmenge

und bestimmen die irreduziblen Komponenten davon. Die -Achse ist eine Teilmenge von . Wegen

gehört auch das Produkt zum definierenden Ideal. Für einen jeden Punkt

gilt also oder oder . Im ersten Fall ist auch . Im zweiten Fall werden die beiden definierenden Polynome zu

Bei

gehört der Punkt zur -Achse, anderfalls ist

Im dritten Fall kommt noch die Möglichkeit

hinzu. Somit ist

eine Vereinigung von drei Geraden, wobei sich die erste und die zweite in und die erste und die dritte in treffen. Insbesondere ist eindimensional und zusammenhängend.

Wir betrachten nun die Jacobi-Matrix, diese ist

Diese hat in einem Punkt genau dann den Rang , wenn die zweite Zeile das -fache der ersten Zeile ist. Dann ist und somit oder . Im ersten Fall ist wegen der letzten Spalte der Jacobi-Matrix . Bei werden aber beide definierenden Gleichungen zu , sodass nur im Kreuzungspunkt eine Singularität vorliegt. Der zweite Fall führt entsprechend zur Singularität .



Wir betrachten die beiden binomialen Gleichungen

und

in den drei Variablen und versuchen uns über das zugehörige Nullstellengebilde

ein Bild zu machen. Zunächst gehört die Gerade

zu . Dies kann aber nicht ganz sein, da der Punkt zu gehört. Wenn in einem Punkt

die Koordinate ist, so sind auch . Dort gilt also

und damit

also

In der Tat gehört auch das Polynom

zu dem von den beiden binomialen Polynomen erzeugten Ideal. Das Nullstellengebilde erfüllt also insbesondere eine binomiale Gleichung, in der nur die beiden Variablen und vorkommen. Es sei nach wie vor ein Punkt von , für den sämtliche Komponenten nicht sind. Dann gilt aufgrund von ähnlichen Überlegungen

und

Allerdings gehören die Polynome und nicht zum Ideal, da sie auf der eingangs erwähnten Geraden nicht verschwinden. Unsere Überlegung hat die Inklusion

gezeigt, wir werden gleich begründen, dass hier Gleichheit gilt. Wir betrachten die Abbildung

Das Bild dieser Abbildung liegt offenbar in der zweiten Teilmenge. Umgekehrt ist jeder Punkt der zweiten Menge von dieser Form zu einem eindeutig bestimmten . Da die Bildpunkte auch die ursprünglichen Gleichungen erfüllt, gehört die rechte Teilmenge auch links dazu und oben gilt Gleichheit. Als bijektives Abbild der affinen Geraden ist über einem unendlichen Körper die rechte Teilmenge ebenfalls eine irreduzible Kurve.



Wir betrachten die Abbildung

Das Nullstellengebilde besteht aus dem isolierten Punkt und der durch gegebenen Geraden. Dieses Gebilde ist glatt und besitzt eine nulldimensionale und eine eindimensionale Komponente. Die Jacobi-Matrix der Abbildung ist

Im isolierten Nullpunkt besitzt die Matrix den Rang und man kann den Satz über die implizite Abbildung bzw. die entsprechende Definition anwenden (und erhält wieder, dass lokal die Faser nulldimensional ist). In einem Punkt der Form ist der Rang gleich und man kann diesen Satz nicht anwenden. Da die direkte Betrachtung gezeigt hat, dass in diesen Punkten lokal die Dimension der Faser gleich ist, können wir die Definition 3.15 anwenden und auf Glattheit schließen.



Wir betrachten die Abbildung

wobei man die Koeffizientenfunktionen als die - Minoren der Matrix

interpretieren sollte. Die Jacobi-Matrix ist

Im Nullpunkt liegt die Nullmatrix vor und somit liegt dort jedenfalls eine Singularität vor. Sei ein Punkt mit . Dann zeigt die Untermatrix aus der ersten und dritten Zeile und der vorletzten und letzten Spalte, dass der Rang zumindest ist. Wenn nicht zum Nullstellenmenge gehört, so ist beispielsweise

Doch dann ist auch die Determinante der Untermatrix bestehend aus der und Spalte nicht und es liegt Rang vor. Dies gilt in allen Punkten außerhalb des Nullstellengebildes, d.h. nach dem Satz über implizite Abbildungen sind die anderen Fasern glatt und haben die Dimension . In einem Punkt der Nullfaser, der nicht der Nullpunkt ist, ist der Rang der Jacobi-Matrix genau . Beispielsweise ist die Determinante der eben erwähnten Untermatrix gleich , und da steckt eine definierende Gleichung als Faktor drin.

Welche Dimension besitzt die Nullfaser, also die Nullstellenmenge

und ist sie außerhalb des Nullpunktes glatt? Diese Nullstellenmenge umfasst unmittelbar die Nullstellenmengen und , was beides zwei affine Räume sind. Daher liegt zumindest die Dimension vor. Da die anderen Fasern dreidimensional sind und da das Nullstellengebilde durch drei Funktionen beschrieben wird, könnte man ebenfalls Dimension erwarten (drei algebraische Bedingungen für sechs Variablen). Es liegen aber zwischen den drei definierenden Gleichungen die Beziehungen

und

vor, sie sind also nicht „unabhängig“. Als Zwischenschritt betrachten wir das Nullstellengebilde, das von den ersten beiden Gleichungen definiert wird, also

Für einen Punkt

muss wegen den oben formulierten Beziehungen auch

gelten. Bei muss somit

gelten. Daher gilt

Die Jacobi-Matrix zur Abbildung

ist

woran man direkt ablesen kann, dass für Punkte außerhalb von der Rang gleich ist und damit wieder nach dem Satz über implizite Abbildungen ein glatter Punkt vorliegt und diese Nullstellenmenge vierdimensional ist. Daraus folgt, dass die ursprüngliche Nullstellenmenge eine offene Teilmenge, nämlich

(eingeschränkt auf diese Menge) enthält, auf der die Menge die Dimension besitzt. Wegen der Symmetrie der Situation liegt dies in jedem Punkt außer eventuell dem Nullpunkt vor (ein Extremfall könnte sein, dass der Nullpunkt ein isolierter Punkt der Nullstellenmenge ist, der mit dieser gar nichts zu tun hat). Man kann aber zeigen, dass das Ideal

ein Primideal ist, siehe Aufgabe 5.22.




Die Monoidstruktur auf binomialen Nullstellengebilden

Der affine Raum ist ein Vektorraum und insbesondere mit der komponentenweisen Addition eine kommutative Gruppe. Es gibt aber auch die komponentenweise Multiplikation, mit der der affine Raum allerdings nur ein Monoid und keine Gruppe ist. Andererseits ist

eine Gruppe.



Es sei eine affin-algebraische Menge, die durch binomiale Gleichungen gegeben sei.

Dann ist ein Untermonoid des affinen Raumes, versehen mit der komponentenweisen multiplikativen Verknüpfung.

Es sei eines der binomialen Polynomen, die festlegen. Dann ist das neutrale Element eine Nullstelle dieses Polynoms. Für Tupel und , die zur Nullstellenmenge gehören, gilt für das komponentenweise Produkt

gehört also wieder zur Nullstellenmenge. Diese Eigenschaft überträgt sich auf , das ja der Durchschnitt von binomialen Hyperflächen ist.



<< | Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019) | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)