Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I/Vorlesung 23
- Grenzwerte von Abbildungen
Wir betrachten die beiden stetigen Funktionen
und
die beide nicht im Nullpunkt definiert sind. Offensichtlich kann man durch die Festlegung zu einer stetigen Funktion auf ganz fortsetzen. Bei hingegen ist das nicht möglich: wenn man sich auf der positiven Halbgeraden annähert, wachsen die Funktionswerte gegen , wenn man sich auf der negativen Halbgeraden annähert, so wachsen die Funktionswerte gegen , und somit ist jede Fortsetzung nicht stetig. Diese Beobachtung führt zum Begriff des Grenzwertes einer Abbildung, den wir insbesondere im Rahmen der Differentialrechnung verwenden werden.
Es sei ein metrischer Raum und eine Teilmenge. Ein Punkt heißt Berührpunkt von , wenn zu jedem der Durchschnitt
Es sei ein metrischer Raum und eine Teilmenge. Die Menge aller Berührpunkte von heißt der Abschluss von . Er wird mit bezeichnet.
Der Abschluss ist eine abgeschlossene Menge, und zwar die kleinste abgeschlossene Menge, die umfasst.
Es sei ein metrischer Raum, sei eine Teilmenge und sei ein Berührpunkt von . Es sei
eine Abbildung in einen weiteren metrischen Raum . Dann heißt der Grenzwert (oder Limes) von in , wenn es für jedes ein gibt mit der folgenden Eigenschaft: Für jedes ist . In diesem Fall schreibt man
Wenn der Grenzwert existiert, so ist er eindeutig bestimmt.
Es sei ein metrischer Raum, sei eine Teilmenge und sei ein Berührpunkt von . Es sei
eine Abbildung in einen weiteren metrischen Raum und sei . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- Die Abbildung besitzt in den Grenzwert .
- Zu jeder offenen Menge mit gibt es eine offene Menge mit und mit .
- Für jede Folge in , die gegen konvergiert, konvergiert die Bildfolge gegen .
. Da offen ist gibt es ein mit . Aufgrund von (1) gibt es ein mit
und wir können
nehmen.
. Es sei eine gegen konvergente Folge
und ein
gegeben. Für die offene Menge
gibt es nach (2) eine offene Menge
mit
und
.
Wegen der Offenheit von gibt es auch ein
mit
.
Da die Folge gegen konvergiert, gibt es ein
mit
für alle
.
Für diese ist dann
,
d.h. die Bildfolge konvergiert gegen .
. Nehmen wir an, dass nicht der Grenzwert ist. Dann gibt es ein
derart, dass es für alle
ein
gibt mit
und mit
.
Wir wenden diese Eigenschaft auf die Stammbrüche
, ,
an und erhalten eine Folge
Es sei ein metrischer Raum, sei eine Teilmenge und sei ein Berührpunkt von . Es seien und Funktionen derart, dass die Grenzwerte und existieren.
Dann gelten folgende Beziehungen.
- Die Summe besitzt einen Grenzwert in , und zwar ist
- Das Produkt besitzt einen Grenzwert in , und zwar ist
- Es sei
für alle
und
.
Dann besitzt der Quotient einen Grenzwert in , und zwar ist
Beweis
Wir betrachten den Limes
wobei , ist. Für ist der Ausdruck nicht definiert, und aus dem Ausdruck ist nicht direkt ablesbar, ob der Grenzwert existiert und welchen Wert er annimmt. Man kann den Ausdruck aber mit erweitern, und erhält dann
Aufgrund der Rechenregeln für Grenzwerte können wir den Grenzwert von Zähler und Nenner ausrechnen, wobei wir im Nenner die Stetigkeit der Quadratwurzel gemäß Aufgabe 20.9 verwenden, und es ergibt sich insgesamt .
- Fortsetzung von stetigen Abbildungen
Es sei ein metrischer Raum und eine Teilmenge. Es sei
eine stetige Abbildung in einen weiteren metrischen Raum und es sei . Dann heißt eine Abbildung
eine stetige Fortsetzung von , wenn stetig ist und gilt für alle .
Es seien und metrische Räume, eine Teilmenge und
und für jedes existiere der Grenzwert .
Dann ist die durch
definierte Abbildung eine stetige Fortsetzung von auf .
Es sei und vorgegeben. Da ein Berührpunkt von ist und da der Grenzwert von in existiert (bei existiert er aufgrund der Stetigkeit), gibt es ein mit für alle . Es sei nun mit . Es gibt ein mit und mit . Wegen der ersten Abschätzung und der Voraussetzung an ist . Insgesamt ist daher
Es sei ein metrischer Raum und eine Teilmenge mit dem Abschluss . Es sei
eine gleichmäßig stetige Abbildung.
Dann gibt es eine eindeutig bestimmte stetige Fortsetzung
Aufgrund von Satz 23.9 genügt es zu zeigen, dass der Grenzwert für jedes existiert. Es sei eine Folge in , die gegen konvergiert. Wir zeigen, dass dann auch die Bildfolge konvergiert. Da diese Bildfolge in ist, und vollständig ist, genügt es zu zeigen, dass eine Cauchy-Folge vorliegt. Es sei vorgegeben. Wegen der gleichmäßigen Stetigkeit von gibt es ein derart, dass ist für alle mit
Wegen der Konvergenz der Folge gibt es ein mit für alle . Für alle gilt daher und somit insgesamt
Wir müssen nun noch zeigen, dass für jede gegen konvergente Folge der Grenzwert der Bildfolge gleich ist. Dies ergibt sich aber sofort, wenn man für zwei Folgen
und
die Folge betrachtet, die ebenfalls gegen konvergiert, und für die der Limes der Bildfolge mit den Limiten der Teilbildfolgen übereinstimmt.
Dies folgt direkt aus Satz 23.10 und aus .
- Reelle Exponentialfunktionen
Für jede positive reelle Zahl und ist eine positive reelle Zahl, wobei die Potenzgesetze gelten, siehe Aufgabe *****. Für eine weitere natürliche Zahl und eine positive reelle Zahl ist definiert. Für eine rationale Zahl ist daher definiert, und zwar ist dies unabhängig von der Wahl der Zähler und Nenner in der Darstellung von , siehe Aufgabe 23.10.
Es sei eine positive reelle Zahl. Dann besitzt die Funktion
folgende Eigenschaften.
- Es ist für alle .
- Es ist .
- Für und ist .
- Für und ist .
- Für ist streng wachsend.
- Für ist streng fallend.
- Es ist für alle .
- Für ist .
Beweis
Es sei eine positive reelle Zahl.
Dann ist die Funktion
auf jedem beschränkten Intervall gleichmäßig stetig.
Wir betrachten Intervalle der Form mit . Aufgrund der Monotonie ist
für alle . Sei vorgegeben. Die Folge konvergiert nach Aufgabe ***** gegen , daher gibt es insbesondere ein derart, dass
ist. Wir setzen . Dann gelten für zwei beliebige rationale Zahlen mit
unter Verwendung der Funktionalgleichung die Abschätzungen (wir beschränken uns auf den Fall und )
Aufgrund von
Lemma 23.13
und
Korollar 23.11
(mit einem beliebigen Intervall statt ganz .)
lassen sich die zunächst nur auf definierten Exponentialfunktionen zu stetigen Funktionen auf den reellen Zahlen fortsetzen. In diesem Sinn ist die folgende Definition zu verstehen.
Es sei eine positive reelle Zahl. Dann besitzt die Exponentialfunktion
folgende Eigenschaften.
- Es ist für alle .
- Es ist .
- Für und ist .
- Für und ist .
- Für ist streng wachsend.
- Für ist streng fallend.
- Es ist für alle .
- Für ist .
Wir beweisen (1), die anderen Eigenschaften ergeben sich ähnlich, siehe Aufgabe 23.12. Es sei eine rationale Folge, die gegen konvergiert, und eine rationale Folge, die gegen konvergiert. Dann ist nach Lemma 7.10 (1) die Folge eine rationale Folge, die gegen konvergiert. Somit ist unter Verwendung der rationalen Funktionalgleichung und von Lemma 7.10 (2) und der Stetigkeit
Eine besondere Rolle spielt die Exponentialfunktion zur Basis . Wir werden dafür bald eine weitere Beschreibung kennenlernen, die auch für komplexe Exponenten erklärt ist.
<< | Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil I | >> |
---|