Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II/Vorlesung 48
- Die Hesse-Form
Wir sind natürlich auch an hinreichenden Kriterien für das Vorliegen von lokalen Extrema interessiert. Wie schon im eindimensionalen Fall muss man sich die zweiten Ableitungen anschauen, wobei die Situation natürlich dadurch wesentlich verkompliziert wird, dass es zu je zwei Richtungsvektoren und eine zweite Richtungsableitung gibt. Die zweite Richtungsableitung wird dadurch handhabbar, dass man sie in die sogenannte Hesse-Form bzw. Hesse-Matrix zusammenfasst. Als solche ist sie eine symmetrische Bilinearform, die mit Methoden der linearen Algebra analysiert werden kann. Diese Methoden werden wir im Folgenden entwickeln und insbesondere auf die Hesse-Form anwenden, um schließlich hinreichende Kriterien für die Existenz von lokalen Extrema zu erhalten.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, eine offene Menge und
eine zweimal stetig differenzierbare Funktion. Zu heißt die Abbildung
die Hesse-Form im Punkt .
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, eine offene Menge und
eine zweimal stetig differenzierbare Funktion. Es sei eine Basis , , von gegeben mit den zugehörigen Richtungsableitungen , . Zu heißt dann die Matrix
die Hesse-Matrix zu im Punkt bezüglich der gegebenen Basis.
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Die Bilinearform heißt symmetrisch, wenn
für alle gilt.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, eine offene Menge und
eine zweimal stetig differenzierbare Funktion. Zu ist die Hesse-Form
Die Symmetrie folgt aus dem Satz von Schwarz. Seien Vektoren und
Dann gelten unter Verwendung von Satz 46.3, Proposition 46.1 und Lemma 43.6 die Gleichheiten
- Eigenschaften von Bilinearformen
Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es sei eine Basis von . Dann heißt die - Matrix
die Gramsche Matrix von bezüglich dieser Basis.
Die Hesse-Matrix ist beispielsweise die Gramsche Matrix der Hesse-Form bezüglich der Standardbasis im .
Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es seien und zwei Basen von und es seien bzw. die Gramschen Matrizen von bezüglich dieser Basen. Zwischen den Basiselementen gelte die Beziehungen
die wir durch die Übergangsmatrix ausdrücken.
Dann besteht zwischen den Gramschen Matrizen die Beziehung
Es ist
Es sei ein reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Diese Bilinearform heißt
- positiv definit, wenn für alle , ist.
- negativ definit, wenn für alle , ist.
- positiv semidefinit, wenn für alle ist.
- negativ semidefinit, wenn für alle ist.
- indefinit, wenn weder positiv semidefinit noch negativ semidefinit ist.
Positiv definite symmetrische Bilinearformen nennt man auch Skalarprodukte. Eine indefinite Form liegt vor, wenn es Vektoren und mit und gibt.
Eine Bilinearform auf kann man auf einen Untervektorraum einschränken, wodurch sich eine Bilinearform auf ergibt. Wenn die ursprüngliche Form positiv definit ist, so überträgt sich dies auf die Einschränkung. Allerdings kann eine indefinite Form eingeschränkt auf gewisse Unterräume positiv definit werden und auf andere negativ definit. Dies führt zu folgender Definition.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Man sagt, dass eine solche Bilinearform den Typ
besitzt, wobei
und
ist.
Es seien natürliche Zahlen mit . Wir betrachten auf dem die Bilinearform , die durch
gegeben ist. Sie hat den Typ , und zwar ist die Einschränkung auf den Unterraum positiv definit und die Einschränkung auf den Unterraum negativ definit.
Bei einem Skalarprodukt auf einem -dimensionalen reellen Vektorraum ist der Typ . Wie für Skalarprodukte nennt man Vektoren orthogonal bezüglich einer Bilinearform, wenn ist, und ähnlich wie im Fall eines Skalarproduktes kann man zeigen, dass es Orthogonalbasen gibt.
Die folgende Aussage nennt man den Trägheitssatz von Sylvester.
Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform vom Typ .
Dann ist die Gramsche Matrix von bezüglich einer jeden Orthogonalbasis eine Diagonalmatrix mit positiven und negativen Einträgen.
Bezüglich einer Orthogonalbasis von (die es nach Satz 38.15 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)) gibt) hat die Gramsche Matrix natürlich Diagonalgestalt. Es sei die Anzahl der positiven Diagonaleinträge und die Anzahl der negativen Diagonaleinträge. Die Basis sei so geordnet, dass die ersten Diagonaleinträge positiv, die folgenden Diagonaleinträge negativ und die übrigen seien. Auf dem -dimensionalen Unterraum ist die eingeschränkte Bilinearform positiv definit, sodass gilt. Sei , auf diesem Unterraum ist die Bilinearform negativ semidefinit. Dabei ist , und diese beiden Räume sind orthogonal zueinander.
Angenommen, es gebe einen Unterraum , auf dem die Bilinearform positiv definit ist, und dessen Dimension größer als ist. Die Dimension von ist und daher ist nach Korollar 9.8 (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)).
Für einen Vektor , , ergibt sich aber direkt der Widerspruch und .
- Minorenkriterien für symmetrische Bilinearformen[1]
Es gibt mehrere Methoden, den Typ einer symmetrischen Bilinearform zu bestimmen. Hier besprechen wir das Minorenkriterium.
Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis. Die Determinanten der quadratischen Untermatrizen
seien für von verschieden. Es sei die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Folge
Dann ist vom Typ .
Da nach Voraussetzung insbesondere die Determinante der Gramschen Matrix nicht ist, ist nach Aufgabe 48.4 die Bilinearform nicht ausgeartet und daher hat der Typ die Form . Wir müssen zeigen, dass ist. Wir beweisen die Aussage durch Induktion über die Dimension von , wobei der Induktionsanfang trivial ist. Die Aussage sei bis zur Dimension bewiesen und es liege ein -dimensionaler Raum mit einer Basis mit den angegebenen Eigenschaften vor. Der Untervektorraum
hat die Dimension und die Folge der Determinanten der Untermatrizen der Gramschen Matrix zur eingeschränkten Form stimmt mit der vorgegebenen Folge überein, wobei lediglich das letzte Glied
weggelassen wird. Nach Induktionsvoraussetzung besitzt den Typ , wobei die Anzahl der Vorzeichenwechsel in der Folge
ist. Aufgrund der Definition des Typs ist
da ein -dimensionaler Untervektorraum , auf dem die Bilinearform negativ definit ist, zu einem Untervektorraum
führt, der die Dimension oder besitzt und auf dem die eingeschränkte Form ebenfalls negativ definit ist. Nach Aufgabe 48.5 ist das Vorzeichen von gleich und das Vorzeichen von gleich . Das bedeutet, dass zwischen und ein zusätzlicher Vorzeichenwechsel (und somit ) genau dann vorliegt, wenn
ist.
Es sei eine symmetrische Bilinearform auf einem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und sei eine Basis von . Es sei die Gramsche Matrix zu bezüglich dieser Basis und es seien die Determinanten der quadratischen Untermatrizen
- Genau dann ist positiv definit, wenn alle positiv sind.
- Genau dann ist negativ definit, wenn das Vorzeichen in der Folge an jeder Stelle wechselt.
(1). Wenn die Bilinearform
positiv definit
ist, so ist nach
Aufgabe 48.5
das Vorzeichen der
Determinante
der
Gramschen Matrix
gleich
,
also positiv. Da die Einschränkung der Form auf die Unterräume
ebenfalls positiv definit ist, sind auch die Determinanten zu den Untermatrizen positiv.
Wenn umgekehrt die Determinanten alle positiv sind, so folgt aus
Satz 48.11, dass die Bilinearform positiv definit ist.
(2) folgt aus (1), indem man die negative Bilinearform, also , betrachtet.
- Fußnoten
- ↑ Unter einem Minor versteht man die Determinante einer quadratischen Untermatrix einer Matrix. Man könnte also genauso gut von einem Determinantenkriterium sprechen.
<< | Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil II | >> |
---|