Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2015-2016)/Teil I/Vorlesung 23
- Das charakteristische Polynom
Wir möchten zu einem Endomorphismus die Eigenwerte und dann auch die Eigenräume bestimmen. Dazu ist das charakteristische Polynom entscheidend.
Für
bedeutet dies
In dieser Definition nehmen wir Bezug auf die Determinante von Matrizen, die wir nur für Matrizen mit Einträgen in einem Körper definiert haben. Die Einträge sind jetzt aber Elemente im Polynomring . Da wir sie aber als Elemente im Körper der rationalen Funktionen auffassen können,[2] ist dies eine sinnvolle Definition. Gemäß der Definition ist diese Determinante ein Element in , da aber alle Einträge der Matrix Polynome sind und bei der rekursiven Definition der Determinante nur addiert und multipliziert wird, ist das charakteristische Polynom wirklich ein Polynom. Der Grad des charakteristischen Polynoms ist und der Leitkoeffizient ist , d.h. die Gestalt ist
Es gilt die wichtige Beziehung
für jedes , siehe Aufgabe 23.4.
Für eine lineare Abbildung
Determinantenmultiplikationssatz zeigt, dass diese Definition unabhängig von der Wahl der Basis ist. Das charakteristische Polynom der Identität auf einem -dimensionalen Vektorraum ist
Es sei ein Körper und es sei ein - dimensionaler Vektorraum. Es sei
eine lineare Abbildung.
Dann ist genau dann ein Eigenwert von , wenn eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist.
Es sei eine beschreibende Matrix für , und sei vorgegeben. Es ist
genau dann, wenn die lineare Abbildung
nicht bijektiv (und nicht injektiv) ist (wegen Satz 16.11 und Lemma 12.5). Dies ist nach Lemma 22.1 und Lemma 11.3 äquivalent zu
was bedeutet, dass der Eigenraum zu nicht der Nullraum ist, also ein Eigenwert zu ist.
Wir betrachten die reelle Matrix . Das charakteristische Polynom ist
Die Eigenwerte sind also (diese Eigenwerte haben wir auch in Beispiel 21.6 ohne charakteristisches Polynom gefunden).
Zur Matrix
ist das charakteristische Polynom gleich
Die Nullstellenbestimmung dieses Polynoms führt zur Bedingung
die über nicht erfüllbar ist, sodass die Matrix über keine Eigenwerte besitzt. Über hingegen gibt es die beiden Eigenwerte und . Für den Eigenraum zu muss man
bestimmen, ein Basisvektor (also ein Eigenvektor) davon ist . Analog ist
Für eine obere Dreiecksmatrix
ist das charakteristische Polynom nach Lemma 16.4 gleich
In diesem Fall liegt das charakteristische Polynom direkt in der Zerlegung in lineare Faktoren vor, sodass unmittelbar seine Nullstellen und damit die Eigenwerte von ablesbar sind, nämlich die Diagonalelemente (die nicht alle verschieden sein müssen).
- Invariante Untervektorräume
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und
eine lineare Abbildung. Dann heißt ein Untervektorraum -invariant, wenn
gilt.
Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum und
eine lineare Abbildung. Es sei
eine direkte Summenzerlegung in - invariante Unterräume.
Dann gilt für das charakteristische Polynom die Beziehung
Es sei eine Basis von und eine Basis von , die zusammen eine Basis von ergeben. Bezüglich dieser Basis wird insgesamt durch die Blockmatrix beschrieben, wobei die Einschränkung und die Einschränkung beschreibt. Dann ist unter Verwendung von Aufgabe 16.21
- Algebraische Vielfachheiten
Für eine genauere Untersuchung der Eigenräume ist die folgende Begrifflichkeit sinnvoll.
Es sei
eine lineare Abbildung auf einem endlichdimensionalen - Vektorraum und . Man nennt dann den Exponenten des linearen Polynoms im charakteristischen Polynom die algebraische Vielfachheit von . Sie wird mit
bezeichnet.
Wie neulich eingeführt, nennt man
die geometrische Vielfachheit von . Der weiter oben stehende Satz besagt also, dass die eine Vielfachheit genau dann positiv ist, wenn dies für die andere gilt.
Im Allgemeinen können die beiden Vielfachheiten aber verschieden sein, wobei eine Abschätzung immer gilt.
Es sei ein Körper und es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei
eine lineare Abbildung und .
Dann besteht zwischen der geometrischen und der algebraischen Vielfachheit die Beziehung
Sei und sei eine Basis von diesem Eigenraum, die wir durch zu einer Basis von ergänzen. Bezüglich dieser Basis hat die beschreibende Matrix die Gestalt
Das charakteristische Polynom ist daher nach Aufgabe 16.21 gleich , sodass die algebraische Vielfachheit mindestens ist.
Wir betrachten -Scherungsmatrizen
mit . Das charakteristische Polynom ist
sodass der einzige Eigenwert von ist. Den zugehörigen Eigenraum berechnet man als
Aus
folgt, dass ein Eigenvektor ist, und dass bei der Eigenraum eindimensional ist (bei liegt die Identität vor und der Eigenraum ist zweidimensional). Bei ist die algebraische Vielfachheit des Eigenwerts gleich , die geometrische Vielfachheit gleich .
- Vielfachheiten und diagonalisierbare Abbildungen
Es sei ein Körper und es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei
eine lineare Abbildung.
Dann ist genau dann diagonalisierbar, wenn das charakteristische Polynom in Linearfaktoren zerfällt und wenn für jede Nullstelle mit der algebraischen Vielfachheit die Gleichheit
gilt.
Wenn
diagonalisierbar
ist, so kann man sofort annehmen, dass bezüglich einer Basis aus Eigenvektoren durch eine
Diagonalmatrix
beschrieben wird. Die Diagonaleinträge dieser Matrix sind die Eigenwerte, und diese wiederholen sich gemäß ihrer
geometrischen Vielfachheit.
Das
charakteristische Polynom
lässt sich auch direkt aus dieser Diagonalmatrix ablesen, jeder Diagonaleintrag trägt als Linearfaktor bei.
Für die Umkehrung seien die verschiedenen Eigenwerte und
seien die (geometrischen und algebraischen) Vielfachheiten. Da nach Voraussetzung das charakteristische Polynom in Linearfaktoren zerfällt, muss die Summe dieser Zahlen gleich sein. Nach Lemma 22.6 ist die Summe der Eigenräume
direkt. Nach Voraussetzung ist die Dimension links ebenfalls gleich , sodass Gleichheit vorliegt. Nach
Lemma 22.11
ist diagonalisierbar.
- Fußnoten
- ↑ Manche Autoren definieren das charakteristische Polynom als Determinante von anstatt von . Dies ändert aber - und zwar nur bei ungerade - nur das Vorzeichen.
- ↑ heißt der Körper der rationalen Polynome; er besteht aus allen Brüchen zu Polynomen mit . Bei oder kann man diesen Körper mit der Menge der rationalen Funktionen identifizieren.