Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 9
- Verzweigung
Bei einer Überlagerung mit konstanter endlicher Blätterzahl sind die Fasern alle endliche diskrete Mengen zu dieser Anzahl. Bei der Abbildung
sind die Fasern zu alle -elementig, dagegen ist die Faser im Nullpunkt einelementig. Allerdings kann man diese Abweichung auffangen, indem man die Nullstellen der Ableitungen mitzählt. In diesem Sinne ist für jedes Polynom vom Grad und jeden Punkt die Faser über -anzahlig, wenn man die Exponenten (Vielfachheiten) der Linearfaktoren von mitzählt. Dies gilt allgemeiner für holomorphe Abbildungen, die endlich sind, also endliche Fasern haben und eigentlich sind.
Es sei eine nichtkonstante holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und . Es sei ein Punkt mit . Es sei ein lokaler Parameter um . Dann nennt man die Nullstellenordnung der (in einer offenen Umgebung von definierten) holomorphen Funktion im Punkt den Verzweigungsindex von in . Sie wird mit bezeichnet.
Statt Verzweigungsindex sagt man auch Verzweigungsordnung, was insofern etwas problematisch ist, dass die Vielfachheit des Verzweigungsdivisor um niedriger ist. Wenn in einem Punkt der Verzweigungsindex ist, so sagt man, dass dort Verzweigung vorliegt. Die Menge aller Verzweigungspunkte nennt man auch den Verzweigungsort und die Bildpunkte aller Verzweigungspunkte nennt man auch das Verzweigungsbild. Über einem Punkt des Verzweigungsbildes liegt also zumindest ein Verzweigungspunkt, es muss aber nicht jeder Urbildpunkt ein Verzweigungspunkt sein. Der Verzweigungsort ist eine diskrete Teilmenge, da Verzweigung lokal durch das Verschwinden der ersten Ableitung charakterisiert ist. Das Verzweigungsbild ist im endlichen Fall ebenfalls diskret. Wir werden später sehen, dass dieser Verzweigungsbegriff auch mit dem Verzweigungsbegriff für diskrete Bewertungsringe übereinstimmt.
Es sei eine nichtkonstante holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und und sei .
Dann stimmt der Verzweigungsindex von in mit dem Exponenten einer lokalen Beschreibung von im Sinne von Satz 2.1 überein.
Wegen der Nichtkonstanz können wir nach Satz 2.1 davon ausgehen, dass eine Potenzierung auf einer Kreisscheibe vorliegt und dass der Nullpunkt ist. Die Nullstellenordnung von ist aber .
Es sei eine nichtkonstante holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und .
Dann ist genau dann unverzweigt, wenn ein lokaler Homöomorphismus ist.
Unverzweigt bedeutet nach Lemma 9.2, dass die Abbildung lokal in geeigneten Koordinaten die Form besitzt. Dabei handelt es sich um einen lokalen Homöomorphismus. Bei mit liegt lokal keine Bijektion vor.
- Verzweigung bei endlichen Abbildungen
Das Polynom definiert eine holomorphe Funktion , diese lässt sich nach Lemma 3.19 zu einer holomorphen Abbildung mit fortsetzen. Diese Abbildung ist nach Lemma Anhang 3.3 eigentlich und somit endlich. Diese Eigenschaft überträgt sich nach Lemma Anhang X.Y auf zurück.
Es sei ein Polynom ohne mehrfache Nullstelle und sei die zugehörige riemannsche Wurzelfläche mit der Projektion , .
Dann ist eine endliche holomorphe Abbildung, die genau in den Punkten mit verzweigt ist.
Bereits in Korollar 2.8 wurde gezeigt, dass eine riemannsche Fläche vorliegt. Eine kompakte Teilmenge ist nach dem Satz von Heine-Borel beschränkt und abgeschlossen. Das Urbild ist abgeschlossen in wegen der Stetigkeit und auch abgeschossen in , da abgeschossen in ist. Aufgrund der Beschränktheit ist auch beschränkt und damit ist auch beschränkt. Also ist kompakt und ist eigentlich, also endlich. Die Aussage über die Verzweigung folgt direkt durch eine lokale Betrachtung oder aus Satz 9.7.
Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen den riemannschen Flächen und .
Dann gibt es zu jedem eine offene Umgebung derart, dass das Urbild eine disjunkte Zerlegung mit Kartengebieten besitzt derart, dass die Einschränkung biholomorph zu einer Potenzabbildung ist.
Es sei fixiert. Die Endlichkeit bleibt erhalten, wenn man zu einer offenen Teilmenge übergeht und
betrachtet. Wir können davon ausgehen, dass ein Kartengebiet ist mit und dass außerhalb von keine Verzweigung vorliegt. Es liegt dann nach Satz 6.19 und Korollar 9.3 eine endliche Überlagerung
mit einer gewissen Blätterzahl vor. Es seien die Urbildpunkte von . Durch Verkleinerung von kann man annehmen, dass die disjunkte Vereinigung von offenen Umgebungen ist mit ist. Würde es nämlich eine weitere disjunkte offene Menge im Urbild geben, die keinen Urbildpunkt von enthält, so sei mit dem Bildpunkt . Dann wäre die Liftung eines Verbindungsweges von nach , die es nach Satz 6.11 gibt, in nicht abgeschlossen, was der Eigentlichkeit widerspricht. Nach einer weiteren Verkleinerung können wir nach Satz 2.1 davon ausgehen, dass jede eingeschränkte Abbildung nach einem Kartenwechsel eine Potenzierung ist.
Zu einer holomorphen Abbildung
und einen Punkt
nennt man die Summe
(falls diese endlich ist)
die Gesamtordnung von über , man sagt, dass mit dieser Gesamtordnung angenommen wird. Speziell bei
und
spricht man von der Gesamtnullstellenordnung von .
Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen den riemannschen Flächen und mit zusammenhängend.
Dann ist die Summe konstant, also unabhängig von .
Aufgrund von dieser Aussage nennt man, den Sprachgebrauch von Überlagerungen erweiterend, bei einer endlichen holomorphen Abbildung die konstante Anzahl
(wenn man die Verzweigungspunkte richtig zählt)
der Elemente in der Faser die Blätterzahl der Abbildung. Solche Abbildung werden manchmal auch verzweigte Überlagerungen genannt.
Die Begriffe Decktransformation, Decktransformationsgruppe und normal verwenden wir auch in dieser allgemeineren Situation.
Es sei eine nichtkonstante holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und mit kompakt.
Dann ist für jedes die Summe konstant.
Dies folgt aus Lemma Anhang 3.3 und Satz 9.7.
Es sei eine nichtkonstante holomorphe Abbildung von der zusammenhängenden kompakten riemannschen Fläche in die projektive Gerade.
Dann ist für jedes die Summe konstant.
Dies folgt unmittelbar aus Satz 9.8.
Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden riemannschen Flächen und . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- ist unverzweigt.
- ist ein lokaler Homöomorphismus.
- ist eine Überlagerung.
- Die Faseranzahl ist konstant für .
Die Äquivalenz von (1) und (2) ergibt sich aus Korollar 9.3. Die Äquivalenz von (2) und (3) folgt aus Satz 6.19. Die Äquivalenz von (1) und (4) ergibt sich aus Satz 9.7.
Wir betrachten die holomorphe Funktion
Wegen
ist die Abbildung überall unverzweigt und nach Korollar 9.3 ein lokaler Homöomorphismus. Die entsprechende polynomiale Abbildung auf ist surjektiv, sie hat an der Stelle den Wert und an der Stelle den Wert . Es ist
und
daher ist auch selbst surjektiv. Es liegt keine Überlagerung vor, da über und über je ein Punkt und sonst stets drei Punkte liegen. Aus Satz 9.10 folgt, dass nicht endlich ist. Dies kann man auch direkt und explizit sehen. Die Folge konvergiert gegen und die Teilmenge ist kompakt. Die Urbildmenge von unter der polynomialen Abbildung ist kompakt, durch die Herausnahme der beiden Punkte geht die Kompaktheit verloren.
Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen den riemannschen Flächen und . Es sei eine offene Kreisscheibe, eine holomorphe Abbildung und
eine holomorphe Liftung von
Dann gibt es eine eindeutige holomorphe Liftung von , die fortsetzt.
Es sei . Über einer geeigneten offenen Scheibenumgebung ist nach Satz 9.6 die disjunkte Vereinigung von Kreisscheiben , wobei die Einschränkungen Potenzabbildungen mit dem Bild sind. Wir können durch eine kleinere Scheibenumgebung von ersetzen und annehmen, dass ist. Da das Bild zusammenhängend ist, gilt
für ein . Es liegt also ein kommutatives Diagramm
mit Kreisscheiben vor. Da für beschränkt ist, ist auch selbst beschränkt und somit gibt es nach dem Riemannschen Hebbarkeitssatz eine eindeutig bestimmte holomorphe Fortsetzung von nach .
Es sei eine endliche holomorphe Abbildung zwischen den riemannschen Flächen und . Es sei eine diskrete Teilmenge, wir setzen und .
Dann ist die natürliche Restriktionsabbildung zwischen den Decktransformationsgruppen
ein Gruppenisomorphismus.
Die Homomorphieeigenschaft ist klar. Es ist dicht in , daher ist die Abbildung injektiv. Zum Beweis der Surjektivität sei
eine Decktransformation über . Es liegt ein kommutatives Diagramm
vor, wobei die vertikale Abbildung links die Einbettung von in ist. Für jedem Punkt können wir Lemma 9.12 anwenden und erhalten eine Fortsetzung
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