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Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Teil II/Vorlesung 32

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Orthogonalität

Mit einem Skalarprodukt kann man die Eigenschaft zweier Vektoren, aufeinander senkrecht zu stehen, ausdrücken.


Es sei ein Vektorraum über mit einem Skalarprodukt . Man nennt zwei Vektoren orthogonal zueinander (oder senkrecht), wenn

ist.

Dass die über das Skalarprodukt definierte Orthogonalität der anschaulichen Orthogonalität entspricht, kann man sich folgendermaßen klar machen.[1] Zu orthogonalen Vektoren gilt, dass zu den beiden Punkten und den gleichen Abstand besitzt. Es ist ja

Die Umkehrung gilt ebenfalls, siehe Aufgabe 32.1.


Pythagoras von Samos lebte im sechsten vorchristlichen Jahrhundert. „Sein“ Satz war aber schon tausend Jahre früher in Babylon bekannt.

Wir rufen uns den Satz des Pythagoras in Erinnerung.

Der folgende Satz ist der Satz des Pythagoras, genauer die Skalarproduktversion davon, die trivial ist. Die Beziehung zum klassischen, elementar-geometrischen Satz des Pythagoras ist diffizil, da es nicht selbstverständlich ist, dass unser über das Skalarprodukt eingeführter Orthogonalitätsbegriff und unser ebenso eingeführter Längenbegriff mit dem entsprechenden intuitiven Begriff übereinstimmt. Dass unser Normbegriff der wahre Längenbegriff ist, beruht wiederum auf dem Satz des Pythagoras in einem cartesischen Koordinatensystem, was den klassischen Satz voraussetzt.


Es sei ein - Vektorraum mit Skalarprodukt . Es seien Vektoren, die aufeinander senkrecht stehen.

Dann ist

Es ist



Es sei ein - Vektorraum mit Skalarprodukt und ein Untervektorraum. Dann heißt

das orthogonale Komplement von .

Das orthogonale Komplement zu einem Untervektorraum ist selbst wieder ein Untervektorraum, siehe Aufgabe 32.6. Wenn ein Erzeugendensystem von gegeben ist, so gehört ein Vektor bereits dann zum orthogonalen Komplement von , wenn er auf allen Vektoren des Erzeugendensystems senkrecht steht, siehe Aufgabe 32.7.


Es sei mit dem Standardskalarprodukt versehen. Zum eindimensionalen Untervektorraum zum Standardvektor besteht das orthogonale Komplement aus allen Vektoren , deren -ter Eintrag ist. Zum eindimensionalen Untervektorraum zu einem Vektor

kann man das orthogonale Komplement bestimmen, indem man den Lösungsraum der linearen Gleichung

bestimmt. Der Orthogonalraum

besitzt die Dimension , es handelt sich also um eine sogenannte Hyperebene. Man nennt dann einen Normalenvektor für die Hyperebene .

Zu einem Untervektorraum , der durch eine Basis (oder ein Erzeugendensystem) , , gegeben ist, bestimmt man das orthogonale Komplement als Lösungsraum des linearen Gleichungssystems

wobei die aus den (als Zeilen) gebildete Matrix ist.




Orthonormalbasen

Es sei ein - Vektorraum mit einem Skalarprodukt. Eine Basis , , von heißt Orthogonalbasis, wenn

gilt.


Es sei ein - Vektorraum mit Skalarprodukt . Eine Basis , , von heißt Orthonormalbasis, wenn

gilt.

Die Elemente in einer Orthonormalbasis haben alle die Norm und sie stehen senkrecht aufeinander. Eine Orthonormalbasis ist also eine Orthogonalbasis, bei der zusätzlich die Normbedingung

erfüllt ist. Man kann problemlos von einer Orthogonalbasis zu einer Orthonormalbasis übergehen, indem man jedes durch die Normierung ersetzt (da Teil einer Basis ist, ist die Norm von verschieden). Eine Familie von Vektoren, die jeweils die Norm haben und paarweise aufeinander senkrecht stehen, aber nicht unbedingt eine Basis bilden, nennt man ein Orthonormalsystem.



Es sei ein - Vektorraum mit Skalarprodukt und sei , , eine Orthonormalbasis von .

Dann ergeben sich die Koeffizienten eines Vektors bezüglich dieser Basis durch

Da eine Basis vorliegt, gibt es eine eindeutige Darstellung

(wobei alle bis auf endlich viele gleich sind). Die Behauptung ergibt sich somit aus


Wir werden Orthonormalbasen hauptsächlich im endlichdimensionalen Fall betrachten. Im ist die Standardbasis eine Orthonormalbasis. In der Ebene ist eine Orthonormalbasis von der Form oder , wobei jeweils erfüllt sein muss. Beispielsweise ist eine Orthonormalbasis. Das folgende Schmidtsche Orthonormalisierungsverfahren erlaubt es, ausgehend von einer Basis eines endlichdimensionalen Vektorraumes eine Orthonormalbasis zu konstruieren, die die gleiche Fahne von Untervektorräumen bestimmt.



Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit Skalarprodukt und es sei eine Basis von .

Dann gibt es eine Orthonormalbasis von mit[2]

für alle .

Die Aussage wird durch Induktion über bewiesen, d.h. es wird sukzessive eine Familie von orthonormalen Vektoren konstruiert, die jeweils den gleichen Untervektorraum aufspannen. Für muss man lediglich normieren, also durch ersetzen. Es sei die Aussage für schon bewiesen und sei eine Familie von orthonormalen Vektoren mit bereits konstruiert. Wir setzen

Dieser Vektor steht wegen

senkrecht auf allen und offenbar ist

Durch Normieren von erhält man .



Es sei der Kern der linearen Abbildung

Als Unterraum des trägt das induzierte Skalarprodukt. Wir möchten eine Orthonormalbasis von bestimmen. Dazu betrachten wir die Basis bestehend aus den Vektoren

Es ist und somit ist

der zugehörige normierte Vektor. Gemäß dem[3] Schmidtschen Orthonormalisierungsverfahren setzen wir

Es ist

und daher ist

der zweite Vektor der Orthonormalbasis.




Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit Skalarprodukt.

Dann gibt es eine Orthonormalbasis in .

Dies folgt direkt aus Satz 32.9.


Man kann auch stets in einem endlichdimensionalen Vektorraum mit Skalarprodukt ein vorgegebenes Orthonormalsystem zu einer Orthonormalbasis ergänzen, siehe Aufgabe 32.22.



Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit Skalarprodukt und ein Untervektorraum.

Dann ist

d.h. ist die direkte Summe aus und seinem orthogonalen Komplement.

Aus folgt direkt

und daher . Somit ist die Summe direkt. Es sei eine Orthonormalbasis von , die wir zu einer Orthonormalbasis von ergänzen. Dann ist

und somit ist die Summe aus den Unterräumen.


Zur folgenden Aussage vergleiche auch Lemma 15.6 und Aufgabe 32.26.


Es sei ein - Vektorraum mit einem Skalarprodukt . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Zu Untervektorräumen ist
  2. Es ist und .
  3. Es sei endlichdimensional. Dann ist
  4. Es sei endlichdimensional. Dann ist

Beweis

Siehe Aufgabe 32.24.



Orthogonale Projektionen

Zu einem endlichdimensionalen - Vektorraum mit einem Skalarprodukt und einem Untervektorraum gibt es ein orthogonales Komplement und der Raum hat die direkte Summenzerlegung

Die Projektion

längs heißt die orthogonale Projektion auf . Diese hängt allein von ab, da ja das orthogonale Komplement eindeutig bestimmt ist. Häufig bezeichnet man auch die Abbildung als orthogonale Projektion auf . Bei einer orthogonalen Projektion wird ein Punkt auf seinen Lotfußpunkt auf abgebildet.



Es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum mit Skalarprodukt und ein Untervektorraum mit einer Orthonormalbasis von .

Dann ist die orthogonale Projektion auf durch

gegeben.

Wir ergänzen die Basis zu einer Orthonormalbasis von . Das orthogonale Komplement zu ist

Nach Lemma 32.8 ist

Somit ist die Projektion auf längs .



Fußnoten
  1. Wenn man akzeptiert, dass die über das Skalarprodukt definierte Länge der anschaulichen Länge entspricht, was auf dem elementar-geometrischen Satz des Pythagoras beruht.
  2. Hier bezeichnet den von den Vektoren erzeugten Untervektorraum, nicht das Skalarprodukt.
  3. Häufig ist es numerisch geschickter, zuerst nur zu orthogonalisieren und die Normierung erst zum Schluss durchzuführen, siehe Beispiel Anhang 1.1.


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