Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 17

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Geschlossene Differentialformen

Definition  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine - Differentialform auf heißt exakt, wenn es eine differenzierbare Funktion auf mit gibt.


Definition  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit. Eine differenzierbare Differentialform auf heißt geschlossen, wenn ihre äußere Ableitung ist.

Holomorphe Differentialformen auf einer riemannschen Fläche sind nach Satz 16.15 geschlossen. Eine geschlossene Differentialform ist lokal exakt, das heißt, für jeden Punkt gibt es eine offene Umgebung derart, dass die Form darauf eine Stammfunktion besitzt.



Wegintegrale

Wegintegrale zu einer -Form längs eines Weges werden in der höheren Analysis (siehe Kurs:Analysis_(Osnabrück_2014-2016)/Teil_III/Vorlesung_83) und in der Funktionentheorie behandelt. Für den Zusammenhang mit Wegintegralen zu Vektorfelder siehe Aufgabe 17.7.


Definition  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine - Differentialform. Es sei

eine stetig differenzierbare Kurve. Dann heißt

das Wegintegral von längs .

Zu einer holomorphen Differentialform auf einer offenen Menge und einem stetig differenzierbaren Weg ist das Wegintegral gleich


Beispiel  

Ein wichtiges Standardbeispiel ist die holomorphe Differentialform auf . Längs des Einheitskreises mit der trigonometrischen Parametrisierung

ist




Lemma

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine geschlossene Differentialform auf mit Werten in .

Dann ist die Zuordnung

eine Garbe auf .

Beweis

Siehe Aufgabe 17.10.


Diese Garbe beschreibt also die lokalen Stammfunktionen zur -Form . Wir betrachten den zugehörigen Ausbreitungsraum.



Lemma  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine geschlossene Differentialform auf mit Werten in . Es sei die zugehörige Garbe der lokalen Stammfunktionen aus Lemma 17.5 und sei der zugehörige Ausbreitungsraum. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die natürliche Projektion

    ist eine surjektive Überlagerung.

  2. Durch

    ist eine differenzierbare Funktion auf gegeben.

  3. Auf ist

    Insbesondere ist exakt.

  4. Zu einem stetigen differenzierbaren Weg ist

    wobei eine Liftung von nach ist.

Beweis  

  1. Nach Lemma 12.9 liegt ein lokaler Homöomorphismus vor. Die Surjektivität ergibt sich daraus, dass lokal eine Stammfunktion besitzt. Daraus ergibt sich auch die Überlagerungseigenschaft.
  2. Lokal stimmt auf einer offenen Menge von der Form mit überein.
  3. Dies folgt aus (2).
  4. Die erste Gleichung folgt aus Satz Anhang.. Die zweite Gleichung folgt daraus, dass nach Aufgabe 17.4 eine Stammfunktion von

    ist.


Die folgende Aussage nennt man auch Monodromiesatz, wobei Monodromie eher ein Prinzip ist, das aufgerufen wird, wenn analytische Objekte bereits durch topologische Daten festgelegt sind.


Satz  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine geschlossene Differentialform auf mit Werten in . Es seien

stetige differenzierbare homotope Wege.

Dann ist

Beweis  

Es seien bzw. Liftungen von bzw. nach (siehe Lemma 17.6) mit dem gleichen Startpunkt

Die Liftungen sind nach Lemma 7.8 wieder zueinander homotop und besitzen daher auch den gleichen Endpunkt. Somit folgt die Aussage aus Lemma 17.6  (4).



Korollar  

Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine geschlossene Differentialform auf mit Werten in . Es sei

ein stetig differenzierbarer nullhomotoper Weg.

Dann ist

Beweis  

Dies ist ein Spezialfall von Satz 17.7.



Wegintegrale auf riemannschen Flächen

Bemerkung  

Eine rationale Funktion in und in lässt sich unter Verwendung von gewissen Standardsubstitutionen elementar integrieren, siehe Lemma 27.8 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)). Beispielsweise ist mit

Eine solche Situation kann man auffassen als eine rationale Funktion in zwei Variablen und , wobei zusätzlich zwischen den Variablen die algebraische Beziehung besteht.

Es gibt eine Reihe von geometrisch relevanten Problemen, die auf ähnliche Integrale führen, wobei allerdings keine algebraische Beziehung zwischen den Variablen vom Grad , sondern von höherem Grad vorliegt. Die Berechnung der Länge einer Ellipse oder einer sogenannten Lemniskate (siehe Beispiel Anhang.) führt zu Integralen der Form mit einem Polynom vom Grad bzw. . Diese Integrale sind nicht elementar integrierbar, ihre Behandlung erfordert neuartige Ansätze, die sich in der Theorie von Wegintegralen auf riemannschen Flächen niederschlagen.


Wir fixieren die folgende Situation.



Lemma  

Es sei eine rationale Funktion in den beiden Variablen und und es sei ein Polynom in und , das kein Teiler des Nenners von sei. Es sei

das glatte Nullstellengebilde zu . Es sei

ein differenzierbarer Weg mit für und es sei ohne Polstelle auf dem Intervall.

Dann ist eine holomorphe Differentialform auf einer offenen Menge von und

wobei ist.

Beweis  

Nach Lemma 14.5 sind und holomorphe Funktionen auf dem glatten Nullstellengebilde und daher ist auch auf einer offenen Teilmenge davon eine holomorphe Funktion und somit liegt eine holomorphe Differentialform vor. Nach der Definition von Wegintegralen ist



Beispiel  

Im Beispiel aus Bemerkung 17.9 sind die Bezeichnungen aus Lemma 17.10 als

das Nullstellengebilde ist also reell ein Kreis (komplex eine Quadrik) und die holomorphe Differentialform darauf ist . Eine elementare Integration ist möglich, da der Kreis ein einfach zu parametrisierendes Gebilde ist.




Lemma  

Es sei ein reelles Polynom vom Grad ohne mehrfache komplexe Nullstelle und sei die zugehörige riemannsche Fläche. Es seien benachbarte reelle Nullstellen von mit für . Es sei der geschlossene Weg, dessen -Koordinate linear von nach und zurück läuft und dessen -Koordinate zuerst die positive Wurzel und dann die negative Wurzel von durchläuft.

Dann ist

Insbesondere ist nicht nullhomotop in .

Beweis  

Die Form ist nach Lemma 15.10 eine holomorphe Differentialform (hierzu braucht man Grad ). Auf dem Hinweg ist der Integrand positiv, auf dem Rückweg ebenfalls, da dort negativ und auch negativ ist. Der Zusatz folgt aus Korollar 17.8.


In der vorstehenden Situation weiß man insbesondere, dass es nicht nullhomotope Wege auf dem Nullstellengebilde gibt. Insbesondere ist diese riemannsche Fläche nicht einfach zusammenhängend.



Der Residuensatz

Wie in der Funktionentheorie definiert man das Residuum in einem Punkt einer -Form auf einer riemannschen Fläche , die in holomorph ist, durch

wobei einen einfach gegen den Uhrzeigersinn durchlaufenen Weg um innerhalb einer Kartenumgebung bezeichnet, die biholomorph zu einer offenen Kreisscheibe ist. Dies stimmt mit dem Koeffizienten der Laurent-Entwicklung überein.



Satz  

Es sei eine kompakte riemannsche Fläche, es sei

eine endliche Teilmenge in und eine holomorphe Differentialform auf .

Dann ist

Beweis  

Wir wählen zu jedem Punkt offene Kartenumgebungen , die zueinander disjunkt und biholomorph zu einer offenen Menge sind. Es sei

eine offene Kreisscheibe um den Kartenbildpunkt zu innerhalb von . Es sei die abgeschlossene Kreisscheibe zu , die ganz innerhalb von sei. Es sei der Kreisrand von und sei ein einfacher Durchlauf durch gegen den Uhrzeigersinn. Es seien die entsprechenden Objekte auf . Wir betrachten die abgeschlossene und damit kompakte Untermannigfaltigkeit mit Rand

der Rand ist . Die Untermannigfaltigkeit und ihr Rand erben von der riemannschen Fläche die Orientierung. Die -Form ist auf geschlossen, da dies nach Satz 16.15 auf gilt. Daher ist der Satz von Stokes anwendbar und ergibt

(das Minuszeichen rührt daher, dass die die Orientierung als Rand von tragen ud nicht als Rand von ).


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