Kurs:Analysis (Osnabrück 2013-2015)/Teil III/Vorlesung 83
Wir kommen nun zur Integrationstheorie auf Mannigfaltigkeiten. Ausgangspunkt dafür ist, dass auf einer Mannigfaltigkeit der Dimension eine -Form gegeben ist. Bei einer offenen Teilmenge mit den Koordinaten entspricht dabei die Integration bezüglich der Form der Integration bezüglich des Lebesgue-Maßes. Bei einer Mannigfaltigkeit muss man die Form und das zugehörige Maß „zusammenkleben“.
- Positive Volumenform auf einer Mannigfaltigkeit
In der folgenden Definition bezeichnen wir zu einer Karte und einer Differentialform auf die nach transportierte Differentialform mit . Das ist dasselbe wie die zurückgezogene Form .
Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine messbare - Differentialform auf . Dann heißt eine positive Volumenform, wenn für jede Karte (eines gegebenen Atlases)
(mit und Koordinatenfunktionen ) in der lokalen Darstellung der Differentialform
die Funktion überall positiv ist.[1]
Dabei ist die Funktion durch
festgelegt. Eine solche positive Volumenform kann es nur geben, wenn die Mannigfaltigkeit orientierbar ist (siehe Lemma 83.5 weiter unten).
Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit abzählbarer Basis der Topologie und es sei eine positive Volumenform auf . Zu einer Karte
mit und einer messbaren Teilmenge setzen wir
- Wenn zwei Kartenumgebungen sind, so ist .
- Zu einer messbaren Teilmenge gibt es eine abzählbare disjunkte Vereinigung derart, dass jedes ganz in einer Karte liegt.
- Die Summe ist unabhängig von der gewählten abzählbaren disjunkten Zerlegung in (2).
(1). Wegen können wir annehmen (aber mit unterschiedlichen Kartenabbildungen und nach bzw. ). Es sei
der diffeomorphe Kartenwechsel. Dann gelten nach Satz 74.3 und nach Lemma 82.8, und da wegen der Positivität von und von auch die Determinante positiv ist, die Gleichheiten
(2). Es sei
, ,
eine abzählbarer Atlas. Dann kann man die Mengen
nehmen.
(3). Es seien
zwei abzählbare disjunkte messbare Zerlegungen, deren Glieder jeweils in Karten enthalten seien. Die Karten seien einerseits mit den die Form beschreibenden Funktionen und andererseits mit den die Form beschreibenden Funktionen . Wir betrachten die ebenfalls abzählbare Zerlegung, die durch die Mengen
, ,
gegeben ist. Nach
Lemma 70.1
(angewendet auf die einzelnen Kartenbilder)
gilt dann unter Verwendung von Teil (1)
Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer abzählbaren Basis der Topologie und es sei eine positive Volumenform auf . Dann heißt die für jede Borelmenge durch eine abzählbare Zerlegung (wobei ein offenes Kartengebiet und ist) definierte Zahl
(aus ) das Maß von zu oder das Integral von über .
Nach dem vorstehenden Lemma ist dieses Volumenmaß wohldefiniert. Nach Aufgabe 83.2 handelt es sich um ein - endliches Maß. Für eine offene Menge , eine messbare Teilmenge und eine positive -Form ist einfach
Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit mit einer abzählbaren Basis der Topologie und es seien und positive Volumenformen auf .
Dann gilt für jede messbare Teilmenge und die Beziehung
Beweis
- Volumenformen und Orientierung
Die Existenz einer stetigen nullstellenfreien Volumenform auf einer Mannigfaltigkeit hängt eng mit ihrer Orientierbarkeit zusammen. Von der folgenden Aussage werden wir in Satz 88.10 auch die Umkehrung beweisen.
Es sei eine - dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine stetige nullstellenfreie Volumenform auf .
Dann gibt es einen (diffeomorph-äquivalenten) orientierten Atlas für derart, dass eine positive Volumenform bezüglich dieses Atlases wird.
Insbesondere ist orientierbar.
Zu betrachtet man Kartengebiete mit der Eigenschaft, dass homöomorph zu einem offenen Ball ist. Es ist
mittels . Dabei ist die hintere Isomorphie durch die Standardbasis mit den Koordinaten gegeben. Es sei die zugehörige -Differentialform auf . Diese Form ist nullstellenfrei, und da zusammenhängend ist, ist nach dem Zwischenwertsatz positiv oder negativ. Im negativen Fall ersetzen wir die Karte, indem wir ein Basiselement durch sein Negatives ersetzen. Dadurch gewinnen wir für jeden Punkt eine Kartenumgebung, auf der die Form positiv ist. Zu zwei Karten und mit der Übergangsabbildung und den lokalen Beschreibungen und gilt dann wegen nach Lemma 82.8 die Beziehung . Da und positiv sind, muss auch die Determinante positiv sein, sodass die Übergangsabbildung orientierungstreu und die Mannigfaltigkeit somit orientiert ist.
Es sei offen und sei
(mit ) eine stetig differenzierbare Abbildung, die in jedem Punkt der Faser über regulär sei.
Dann ist die Abbildung
in jedem Punkt eine Isomorphie, wodurch eine stetige nullstellenfreie Volumenform auf gegeben ist.
Bei dieser Abbildung werden die Vektoren und die Gradienten als Vektoren in aufgefasst. Nach Aufgabe 80.12 und nach Korollar 79.7 ist die Abbildung wohldefiniert und linear. Der Ausgangsraum der Abbildung ist wie der Zielraum eindimensional. Es sei eine Basis von
Da die Abbildung regulär ist, sind die Gradienten untereinander linear unabhängig, und wegen der Orthogonalitätsbeziehung erst recht linear unabhängig zu den . Daher liegt insgesamt eine Basis des vor, sodass nach Satz Anhang C.10 die Determinante ist. Die Abhängigkeit dieser Volumenform vom Basispunkt ist stetig, wie aus der Stetigkeit der Gradienten, der Stetigkeit der Determinante und dem Satz über implizite Abbildungen folgt.
In der Situation von Korollar 83.6 erhält man nicht nur eine nullstellenfreie Volumenform, sondern auch eine Orientierung auf jedem Tangentialraum und überhaupt eine orientierte Mannigfaltigkeit. Man definiert die Orientierung auf dadurch, dass man festlegt, dass eine Basis die Orientierung repräsentiert, wenn die erweiterte Basis die Standardorientierung des repräsentiert. Diese Festlegung hängt von ab. Wenn man beispielsweise durch ersetzt, so ändert sich bei ungeradem die Orientierung.
Wir betrachten die - Sphäre als Faser über zur differenzierbaren Abbildung
Wir können darauf Korollar 83.6 anwenden und erhalten durch
(wobei die Tangentenvektoren und wegen direkt im aufgefasst werden können.), eine stetige nullstellenfreie Flächenform . Dies führt zu einer positiven Flächenform und zu einer Orientierung auf . Zwei linear unabhängige Tangentialvektoren und repräsentieren die Orientierung, wenn ist, und dies ist genau dann der Fall, wenn die drei Vektoren die Standardorientierung des repräsentieren.
Es sei eine offene Teilmenge,
eine stetig differenzierbare Funktion und der zugehörige Graph, den wir als -dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit auffassen, die zu über diffeomorph ist. Diese Mannigfaltigkeit ist zugleich die Faser über unter der Abbildung
Der Gradient dieser Abbildung ist
Nach Korollar 83.6 liefert daher die Zuordnung
eine stetige nullstellenfreie -Form auf . Wenn man diese Form über die oben beschriebene (einzige) Karte nach zurückzieht, so ist , wobei sich als Wert der Form im Punkt bezüglich der Vektoren ergibt. Wegen ist dies
wobei das Vorzeichen von abhängt.
- Integration längs einer differenzierbaren Abbildung
Auf einer -dimensionalen Mannigfaltigkeit sind nur -Formen über sinnvoll integrierbar. Man möchte aber auch -Formen () über gewisse -dimensionale Unterobjekte integrieren können. Das passende Konzept ist dabei die Integration längs einer differenzierbaren Abbildung
einer -dimensionalen Mannigfaltigkeit . Dabei integriert man über einfach die mit zurückgezogene Differentialform zu einer Form . Auf passen dabei die Dimension und der Grad der Form zusammen. Ein wichtiger Spezialfall ist dabei der von -Formen und differenzierbaren Kurven
die dabei entstehenden Integrale nennt man Wegintegrale.
Es sei eine differenzierbare Mannigfaltigkeit und eine - Differentialform. Es sei
eine stetig differenzierbare Kurve. Dann heißt
das Wegintegral von längs .
Dabei ist .
Im physikalischen Kontext beschreibt eine reellwertige - Differentialform (bzw. ihre duale Version, ein Vektorfeld) eine Kraft; das Wegintegral ist dann der Arbeitsaufwand oder die Energie, die gebraucht oder freigesetzt wird, wenn sich ein Teilchen auf dem Weg bewegt.
Häufig werden wir Differentialformen auf einer abgeschlossenen Untermannigfaltigkeit , offen in , betrachten, die sogar auf definiert sind und daher die Gestalt besitzen, wobei die die Koordinaten des und die auf definierte Funktionen sind. Für einen Weg in ist es nach Aufgabe 83.7 gleichgültig, ob man das Wegintegral mit Bezug auf und oder mit Bezug auf und die eingeschränkte Differentialform betrachtet.
Ein Wegintegral wird folgendermaßen berechnet. Es sei eine -Form auf offen, die durch
beschrieben werde, wobei die messbare Funktionen sind. Es sei eine stetig differenzierbare Kurve gegeben mit den (stetig differenzierbaren) Komponentenfunktionen . Die Ableitung in einem Punkt wird dann nach Lemma 37.4 durch den Vektor beschrieben. Die zurückgezogene Differentialform hat dann im Punkt in Richtung den Wert
Im mittleren Ausdruck wird eine Linearform auf einen Vektor angewendet. In wird also durch und durch ersetzt. Das Gesamtergebnis ist eine messbare -Form auf bzw. eine messbare Funktion von nach , die man integrieren kann.
Wir betrachten die Differentialform
auf dem und den affin-linearen Weg
Die unter zurückgenommene Differentialform ist
Für das Integral über dem Einheitsintervall ergibt sich
- Fußnoten
- ↑ Die zur Karte gehörenden Funktionen , die hier mit der -Standardform multipliziert werden, entsprechen den am Ende der 81sten Vorlesung erwähnten Dichten, mit denen ein Maß auf der Mannigfaltigkeit beschrieben werden kann.
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