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Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 22

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In dieser Vorlesung möchten wir beweisen, dass Wegintegrale zu holomorphen Differentialformen nur vom Homotopietyp des Weges abhängen, siehe Satz 22.3 und Korollar 22.6.



Die Integralüberlagerung

Es sei eine offene Menge und sei eine holomorphe Differentialform auf mit einer holomorphen Funktion . Für jeden Punkt gibt es eine offene Umgebung (beispielsweise einen offenen Ball) derart, dass die Einschränkung von auf eine Stammfunktion besitzt, siehe Korollar 14.3. Wir betrachten

zusammen mit der Projektion nach , und wir werden auf eine Topologie derart definieren, dass diese Projektion eine Überlagerung wird. Wir betrachten die Teilmengen

wobei eine offene Teilmenge und eine Stammfunktion zu auf ist. Es handelt sich also um den Graphen einer lokalen Stammfunktion. Wenn zusammenhängend ist, so unterscheiden sich die untereinander um eine Kontante aus , da sich ja Stammfunktionen um eine Konstante unterscheiden.

Wir legen nun eine Topologie auf dadurch fest, dass wir beliebige Vereinigungen von solchen Mengen als offen erklären, die bilden also eine Basis der Topologie. Man beachte hierzu, dass der Durchschnitt von zwei solchen Mengen eine Vereinigung solcher Mengen ist. Sei hierzu . Dann ist und dann gibt es auch einen offenen Ball . Wegen

gilt überhaupt

Für jeden Punkt im Durchschnitt gibt es also auch eine offene Umgebung der beschriebenen Form. Für jede offene Menge , auf der eine Stammfunktion besitzt, ist nun die eingeschränkte Projektion

eine triviale Überlagerung, die einfach aus einer disjunkten Vereinigung von Kopien von besteht, und zwar eine für jedes . Daher ist eine Überlagerung von , man nennt sie die Integralüberlagerung zu .

Auf gibt es die wohldefinierte Abbildung

siehe Aufgabe 22.1. Diese repräsentiert in gewisser Weise eine Stammform für , sie ist allerdings nicht auf , sondern auf der Integralüberlagerung definiert.



Es sei eine holomorphe Funktion mit der zugehörigen holomorphen Differentialform und sei

ein stetiger, stückweise stetig-differenzierbarer Weg.

Dann ist

wobei

eine Liftung in die Integralüberlagerung ist und die Stammform auf bezeichnet.

Es ist kompakt und daher gibt es eine endliche Überdeckung mit offenen Bällen , auf denen eine Stammform besitzt, und Unterteilungspunkte

derart, dass

in einem offenen Ball liegt. Mit einer Stammform zu und ist nach Satz 12.11

Die (Teil-)Liftung besitzt die Form

mit einem . Somit ist

Daher ist


Die Integralüberlagerung und das vorstehende Lemma erlauben es, Wegintegrale zu holomorphen Differentialformen auch zu nur stetigen Wegen zu definieren, da es für diese ja eine stetige Liftung gibt.



Wegintegrale zu homotopen Wegen



Es sei eine auf einer offenen Menge definierte holomorphe Funktion und seien

stetige Wege mit und , die zueinander homotop seien.

Dann ist

und haben nach Lemma 22.2 homotope Liftungen in die Integralüberlagerung zu , insbesondere stimmen bei gleichem Anfangspunkt auch die Endpunkte der Liftungen überein. Daher folgt die Aussage aus Satz 21.13.



Es sei eine auf einer offenen Menge definierte holomorphe Funktion und sei

ein nullhomotoper stetiger geschlossener Weg in .

Dann ist

Dies folgt unmittelbar aus Satz 22.3, da ja die Voraussetzung bedeutet, dass homotop zum konstanten Weg ist.



Es sei eine offene, einfach zusammenhängende Teilmenge und es sei eine holomorphe Funktion.

Dann ist für jeden stetigen, stückweise stetig differenzierbaren geschlossenen Weg

Dies folgt direkt aus Korollar 22.4.



Es sei eine offene, einfach zusammenhängende Teilmenge und es sei eine holomorphe Funktion.

Dann ist die Differentialform exakt, d.h. besitzt eine Stammfunktion.

Dies folgt aus Korollar 22.5 und aus Satz 12.14.



Logarithmus und Potenzfunktionen

Als erste Anwendung besprechen wir die Existenz von Logarithmen und Potenzfunktionen. Zuerst klären wir den Zusammenhang zwischen Stammfunktionen zu und (partiellen Links- oder Rechts)-Inversen zur Exponentialfunktion.



Es sei eine offene Menge mit und sei eine holomorphe Funktion.

Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Es ist

    d.h. ist eine Stammfunktion zu .

  2. Es ist

    (mit einer Konstanten ) auf jeder offenen zusammenhängenden Teilmenge von .

  3. Es ist

    auf jeder offenen zusammenhängenden Teilmenge von (mit einer Konstanten ).

Von (1) nach (2). Es sei , wobei die gleiche Eigenschaft besitzt. Wir betrachten die Bedingung

Für einen beliebigen Punkt legt diese über

ein (nicht eindeutiges) fest. Es gilt dann

und

Also ist

konstant auf jeder offenen zusammenhängenden Umgebung von und damit ist

und wegen der durch festgelegten Bedingung ist . Von (2) nach (1). Wenn

gilt, so ist

Also ist

und damit

Von (1) nach (3). Wenn

ist, so ist die Ableitung von gleich

Also ist

mit auf jeder offenen zusammenhängenden Teilmenge von . Von (3) nach (1). Wenn

gilt, so ergibt sich durch ableiten

also

Da die Exponentialfunktion alle Werte annimmt, ist



Es sei eine einfach zusammenhängende offene Menge mit .

Dann gibt es eine holomorphe Funktion mit

  1. Es ist

    d.h. ist eine Stammfunktion zu .

  2. Es ist
  3. Es ist

    auf einer offenen nichtleeren Teilmenge von .

Auf ist die komplexe Invertierung definiert und besitzt dort nach Korollar 22.6 eine Stammfunktion , die bis auf eine Konstante eindeutig bestimmt ist. Nach Lemma 22.7 gilt

mit . Es sei

Dann besitzt nach wie vor die Ableitungseigenschaft und es gilt

Wir bezeichnen das modifizierte wieder mit . Es sei und , wegen der Eigenschaft (2) gilt

Somit gilt auch

Es sei ein Gebiet, nach Lemma 22.7 gilt darauf

für ein und wegen dem Punktepaar muss sein.



Es sei eine offene Menge. Eine holomorphe Funktion heißt Logarithmus, wenn sie

für alle erfüllt.

Damit ist ein Logarithmus nur bis Verschiebung mit bestimmt, bei fordert man häufig noch . Wenn nennt man diesen den Hauptzweig des Logarithmus.


Es sei eine offene Menge mit und sei ein Logarithmus. Dann nennt man zu die Funktion mit

die Potenzfunktion zum Exponenten (bezüglich ).

Diese Bezeichnung verwendet man hauptsächlich für den Hauptzweig des Logarithmus.



Erste Homologie und Differentialformen



Es sei eine holomorphe Differentialform auf einer zusammenhängenden offenen Menge .

Dann ist die Zuordnung

ein wohldefinierter Gruppenhomomorphismus.

Die Wohldefiniertheit beruht auf Korollar 22.4, die Homomorphieeigenschaft auf Lemma 12.7  (3).


Diese Abbildung nennt man auch die Periodenabbildung zu .

Die Fundamentalgruppe eines topologischen Raumes ist im Allgemeinen nicht kommutativ. Man kann aber jeder nichtkommutativen Gruppe eine kommutative Gruppe zuordnen, indem man die Restklassengruppe modulo der Kommutatoruntergruppe bildet, siehe die Aufgaben. Im Fall der Fundamentalgruppe nennt man

die erste Homologiegruppe von .


Es sei ein zusammenhängender topologischer Raum. Man nennt

die erste singuläre Homologiegruppe (mit Werten in ).

Diese kann man auch anders und auch mit anderen Koeffizientengruppen, etwa mit statt mit , konstruieren.


Es sei ein zusammenhängender topologischer Raum. Man nennt einen geschlossenen stetigen Weg

nullhomolog, wenn seine Klasse in der ersten Homologiegruppe gleich ist.

Dies bedeutet einfach, dass die Homotopieklasse in der Kommutatoruntergruppe der Fundamentalgruppe liegt.



Es sei eine auf einer offenen Menge definierte holomorphe Funktion und sei

ein nullhomologer stetiger geschlossener Weg in .

Dann ist

Zur holomorphen Differentialform

betrachten wir die Wegauswertung

die nach Lemma 22.11 ein Gruppenhomomorphismus ist. Da die Gruppe kommutativ ist, besitzt nach dem Homomorphiesatz eine Faktorisierung

Die Nullhomologie von bedeutet, dass die Klasse von in gleich ist, somit ist auch der Wert rechts gleich .


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