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Kurs:Invariantentheorie (Osnabrück 2012-2013)/Vorlesung 32

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Die klassischen Gruppen über

Wir möchten zeigen, dass über den komplexen Zahlen die klassischen linearen Gruppen linear reduktiv sind. Dies stimmt nicht in positiver Charakteristik, so dass man dafür keinen algebraischen Beweis erwarten kann. Im Gegenteil benutzt der Beweis maßtheoretische Methoden, die wir aber nicht vollständig vorstellen können.


Es sei ein Körper und ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei eine affin-algebraische Gruppe, die auf - rational operiere. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Für einen Vektor und einen - Untervektorraum ist

    Zariski-abgeschlossen.

  2. Zu einem -Untervektorraum ist

    eine Zariski-abgeschlossene Untergruppe von (also selbst eine lineare Gruppe).

(1). Die Operation

ist nach Voraussetzung ein - Morphismus und somit ist insbesondere zu jedem die induzierte Abbildung

ein Morphismus ( ist die Hintereinanderschaltung von , , mit der Operationsabbildung). Da Zariski-abgeschlossen ist, ist auch das Urbild abgeschlossen.
(2). Offenbar ist eine Untergruppe von . Es sei eine Basis von . Die Bedingung ist äquivalent zu für . Daher ist der Durchschnitt von endlich vielen (nach (1)) Zariski-abgeschlossenen Mengen und somit selbst abgeschlossen.


Wir möchten zeigen, dass die linearen Gruppen und über den komplexen Zahlen linear reduktiv sind. Dazu brauchen wir einige analytische Hilfsmittel (die Aussage gilt nicht in positiver Charakteristik), und zwar die Existenz des Haarschen Maßes. Dazu zitieren wir den folgenden maßtheoretischen Satz.


Auf einer kompakten topologischen Gruppe

existiert ein Maß (auf der - Algebra der Borelmengen) mit den beiden folgenden Eigenschaften.

  1. für jede messbare Menge .
  2. Es ist .

Das Maß ist durch diese beiden Eigenschaften eindeutig bestimmt.

Diese Eigenschaften heißen Translationsinvarianz und Normierung. Das Maß, dass gemäß diesem Satz in einer kompakten Gruppe existiert, heißt Haarsches Maß.


Auf der -Sphäre lässt sich das Haarsche Maß einfach direkt definieren. Für einen Kreisbogen zu einem Winkel im Bogenmaß muss natürlich sein. Das Haarsche Maß ist also das -fache des Bogenmaßes. Dieser Ansatz liefert nicht nur ein Maß für zusammenhängende Teilbögen, sondern für jede Borelmenge, indem man von der messbaren Bijektion

ausgeht und für eine Borelmenge das Haarsche Maß durch

definiert, wobei das eindimensionale Borel-Lebesgue-Maß bezeichnet.


Die Existenz des Haarschen Maßes bedeutet insbesondere, dass über eine sinnvolle Integrationstheorie möglich ist. D.h. für stetige Funktionen

ist das Integral

definiert. Die Translationsinvarianz führt zu

für jedes Gruppenelement , aufgefasst als Links- oder als Rechtsmultiplikation . Mit der Existenz des Haarschen Maßes kann man auch stetige Abbildungen von in einen endlichdimensionalen -Vektorraum integrieren.



Es sei eine kompakte Gruppe und

eine stetige Darstellung auf dem endlichdimensionalen - Vektorraum .

Dann gibt es eine direkte Zerlegung von in irreduzible Darstellungen.

Wir zeigen, dass ein - Untervektorraum ein - Komplement besitzt, daraus folgt die Aussage wie Satz 30.7 aus Lemma 30.6. Auch der Beweis ist analog zu Satz 30.7. Es sei

eine lineare Projektion von auf . Zu ist die Abbildung

stetig. Wir definieren

Aufgrund der Linearität von und der Linearität des Integrals ist eine lineare Abbildung, deren Bild in liegt, da dies für gilt und da - invariant ist. Für ist

Also ist ebenfalls eine lineare Projektion von auf . Für beliebige und ist aufgrund der Translationsinvarianz

sodass mit der Gruppenoperation verträglich ist. Also ist nach Lemma 30.5 ein -invarianter Untervektorraum und somit ein - Komplement von .


Der Satz von Maschke ist ein Spezialfall des vorstehenden Satzes, da man eine endliche Gruppe mit der diskreten Topologie versehen und zu einer kompakten Gruppe machen kann. Das Haarsche Maß ist dabei einfach das normierte Zählmaß.



Es sei eine affin-algebraische Gruppe über derart, dass es eine kompakte Untergruppe gibt, deren Zariski-Abschluss gleich ist.

Dann ist linear reduktiv.

Wir zeigen, dass es zu jeder - rationalen Darstellung

auf einem - Vektorraum und einem - Untervektorraum ein - Komplement gibt. Die induzierte Darstellung

ist stetig. Daher gibt es nach Satz 32.4 ein -Komplement . Wir betrachten

Dies ist eine Untergruppe von , die umfasst. Nach Lemma 32.1 ist Zariski-abgeschlossen und daher gleich .


Die linearen Gruppen

nennt man auch die klassischen Gruppen.

Es sei ein Körper und die Einheitsmatrix der Länge . Eine Matrix mit

heißt orthogonale Matrix. Die Menge aller orthogonalen Matrizen heißt orthogonale Gruppe, sie wird mit

bezeichnet.

Man beachte, dass dies bei nicht die unitäre Gruppe ist. Die Gruppe, die aus allen speziellen orthogonalen Matrizen besteht, also die Determinante besitzen, heißt spezielle orthogonale Gruppe.


Es sei ein Körper und , wobei die Einheitsmatrix der Länge ist. Eine Matrix mit

heißt symplektische Matrix. Die Menge aller symplektischen Matrizen heißt symplektische Gruppe, sie wird mit

bezeichnet.

Da die definierenden Bedingungen dieser Gruppen ein System aus algebraischen Gleichungen bilden, sind diese Gruppen affin-algebraisch, es handelt sich also um lineare Gruppen.



Die klassischen Gruppen

besitzen Zariski-dichte kompakte Untergruppen.

Wir skizzieren einen Beweis für die allgemeine lineare Gruppe . Sie enthält die unitäre Gruppe als Untergruppe, die nach Aufgabe 32.2 kompakt ist. Für ist beispielsweise und , die ist eine kompakte Gruppe, deren Zariski-Abschluss ganz ist, da ein Polynom, das auf verschwindet, das Nullpolynom sein muss. Bei größerem ist die Argumentation deutlich komplizierter.

Wir benutzen die Exponentialabbildung für Matrizen, also die Abbildung

Dabei bedeutet die -te Potenz der Matrix bezüglich der Matrizenmultiplikation. Man kann zeigen, dass die definierende Reihe gegen eine invertierbare Matrix konvergiert, sodass die Abbildung wohldefiniert ist und dass sie analytisch ist, also in jeder Koordinaten durch eine Potenzreihe in vielen komplexen Variablen gegeben ist. Insbesondere ist die Abbildung komplex-differenzierbar. Ferner ist die Exponentialabbildung surjektiv.

Wir betrachten nun den Untervektorraum der schiefhermiteschen Matrizen, das sind diejenigen Matrizen mit . Das sind diejenigen Matrizen, die für beliebige Vektoren die Bedingung

für das Standardskalarprodukt erfüllen. Wir behaupten, dass die schiefhermiteschen Matrizen unter der Exponentialabbildung auf unitäre Matrizen abgebildet werden. Es sei also eine schiefhermitesche Matrix. Aufgrund der eben formulierten Eigenschaft gilt für eine beliebige quadratische Matrix und Vektoren die Gleichheit

Für mit einem beliebigen (reellen oder komplexen Parameter) ergibt dies

Dieser Ausdruck ist aber die Ableitung der Abbildung

was man sieht, wenn man diese Abbildung als Hintereinanderschaltung

mit

schreibt. Daher ist unabhängig von und somit gleich , da dies der Wert für ist. Also ist eine Isometrie für jedes und insbesondere ist eine Isometrie, also eine unitäre Matrix.

Wir müssen jetzt zeigen, dass der Zariski-Abschluss der unitären Gruppe gleich der allgemeinen lineare Gruppe ist. Dazu sei ein Polynom in Variablen, das auf der unitären Gruppe verschwindet. Es ist zu zeigen. Wir betrachten die Verknüpfung , die eine holomorphe Funktion auf ist. Wegen der erwähnten Surjektivität der Exponentialfunktion genügt es zu zeigen, dass ist. Nach der Vorüberlegung verschwindet auf dem reellen Untervektorraum der schiefhermiteschen Matrizen. Daher verschwindet auch die Ableitung auf diesem Untervektorraum für jeden Punkt . Wir betrachten daher zuerst den Fall einer komplexen Linearform auf , die auf den schiefhermiteschen Matrizen verschwindet. Wir ersetzen die Variablen von durch (). Die Bedingung schiefhermitesch bedeutet in diesen Variablen, dass die Imaginärteile von und dass die Realteile von gleich sind. Der Kern von enthält also zu jedem Element der transformierten Basis eine volle reelle Gerade und damit muss überhaupt zum Kern gehören, d.h. . Dies bedeutet wiederum, dass und daher ist konstant, also .



Die klassischen Gruppen

sind linear reduktiv.

Dies folgt aus Satz 32.8 und aus Lemma 32.5.



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