Kurs:Analysis (Osnabrück 2021-2023)/Teil II/Arbeitsblatt 41
- Übungsaufgaben
Wir betrachten die Differentialgleichung
mit der Anfangsbedingung . Bestimme zur Schrittweite die approximierenden Punkte gemäß dem Polygonzugverfahren. Bestimme insbesondere . Was passiert mit für ?
Kommentar:
Beim Polygonstreckenzugverfahren, welches auch explizites Eulerverfahren genannt wird, approximieren wir die Lösung einer Differentialgleichung durch einen Streckenzug, der durch eine Punktfolge gegeben ist. Die Punkte sind rekursiv durch
definiert, wobei wir das Vektorfeld mittels definieren. Hier liegt die Besonderheit vor, dass das Vektorfeld nur von abhängt, nicht aber von . Die Beschreibung der Punktfolge im Polygonstreckenzugverfahren vereinfacht sich daher zu
Diese rekursive Darstellung können wir direkt in die explizite Darstellung
umwandeln. Der Punkt wird hierbei als Approximation der Lösung zum Zeitpunkt interpretiert.
Mit der Startbedingung , , und fixierter Schrittweite erhalten wir und .
Insbesondere gilt nach Korollar 20.14 für den Punkt (also zum Zeitpunkt ) im Grenzwert
Falls wir also die Schrittweite gegen Null laufen lassen, so konvergiert (wenn auch nicht sehr schnell) die durch den Streckenzug gegebene Approximation tatsächlich gegen die erwartete Lösung , falls .
Andererseits stellen wir fest, dass bei fixiertem und wachsendem der Punkt von der erwarteten Lösung zunehmend abweicht. Das Polygonstreckenzugverfahren liefert daher nur für eine gewisse Zeit eine gute Approximation der Exponentialfunktion.
Die Diskrepanz lässt sich beispielsweise anhand von Zinsrechnung verstehen. Verzinst man ein Kapital mit jährlicher Verzinsung (große Schrittweite), so wächst das Kapital weniger stark als bei einer monatlichen Verzinsung zu gleichem Zinssatz (kleine Schrittweite). Auch bei monatlicher Verzinsung fällt das Wachstum noch geringer als bei stetiger Verzinsung aus.
Wir betrachten das Vektorfeld
Es sei und eine Schrittweite. Zeige, dass das Polygonzugverfahren zu einem Streckenzug führt, bei dem der Abstand der Punkte zum Nullpunkt gegen unendlich läuft (obwohl nach Beispiel 40.8 die Lösungskurven Kreise beschreiben). Wie verhalten sich die Winkel am Nullpunkt, die durch und gegeben sind.
- Löse das
Anfangswertproblem
mit und durch einem Potenzreihenansatz bis zur Ordnung .
- Löse das Anfangswertproblem
mit und durch einem Potenzreihenansatz bis zur Ordnung .
- Vergleiche die Lösungen zu (1) und (2).
Für die beiden folgenden Aufgaben verwende man die Potenzreihe
Für den inhaltlichen Hintergrund siehe Beispiel Anhang 3.5 bzw. Beispiel 3.6.
Löse mit einem Potenzreihenansatz das Anfangswertproblem
mit und bis zur Ordnung . Dabei ist eine Konstante.
Bestimme alle Lösungen des linearen Differentialgleichungssystems
Kommentar:
Wir haben es hier mit einem homogenen linearen Differentialgleichungssystem zu tun. Wichtig ist hierbei zu erkennen, dass das lineare System bereits Dreiecksgestalt besitzt, sodass wir nach Lemma 41.6 schrittweise die Lösungen konstruieren können.
Tatsächlich besteht die zweite Zeile des Systems nur aus der Gleichung , für die wir bereits den Lösungsraum , , kennen.
Die Lösung für können wir nun in die erste Zeile einsetzen und erhalten die inhomogene lineare Differentialgleichung
Wie sieht die zugehörige homogene Gleichung aus und welches ist der inhomogene Anteil? Obwohl das ursprüngliche Differentialgleichungssystem homogen war, stoßen wir hier nun auf eine inhomogene Differentialgleichung, die wir lösen müssen. Dazu haben wir bereits ein allgemeines Lösungsverfahren in Satz 29.10 kennen gelernt.
Insgesamt ergeben sich daher welche Lösungen für das Differentialgleichungssystem?
Bestimme alle Lösungen des linearen Differentialgleichungssystems
Bestimme alle Lösungen des linearen Differentialgleichungssystems
Bestimme alle Lösungen (für ) des linearen Differentialgleichungssystems
Bestimme alle Lösungen des linearen Differentialgleichungssystems
Es sei ein reelles Intervall und seien
differenzierbare Funktionen mit
für alle . Wir betrachten das lineare Differentialgleichungssystem
Zeige, dass sowohl als auch Lösungen des Differentialgleichungssystems sind.
Es sei
eine (variable) -Matrix, deren Einträge stetige Funktionen
seien. Es sei für alle . Zeige, dass die einzige konstante Lösung der linearen Differentialgleichung die Nulllösung ist.
Es sei
ein lineares Differentialgleichungssystem auf ( ein reelles Intervall) mit einer Funktionenmatrix
wobei das zugrunde liegende Vektorfeld zugleich ein Zentralfeld sei. Zeige, dass die Matrix die Gestalt
mit einer geeigneten Funktion
besitzt.
Es sei eine (variable) -Matrix, deren Einträge Funktionen
Es sei eine (variable) -Matrix, deren Einträge stetige Funktionen
seien. Es sei ein (konstanter) Eigenvektor von zum (variablen, von differenzierbar abhängigen) Eigenwert . Zeige durch ein Beispiel, dass keine Lösung der linearen Differentialgleichung sein muss.
Kommentar:
Hier handelt es sich um ein lineares Differentialgleichungssystem, dessen Koeffizienten nicht konstant, sondern Funktionen sind, die vom Parameter abhängen. Genauer gesagt ist es ein homogenes lineares gewöhnliches Differentialgleichungssystem.
Um ein Gegenbeispiel zu finden, bietet es sich an, zunächst zu untersuchen, an welcher Stelle die Forderung, dass eine Lösung ist, fehlschlagen könnte. Dazu verwenden wir die Voraussetzung, dass der konstante Vektor ein Eigenvektor der variablen Matrix zum variablen Eigenwert sein soll. Das bedeutet, dass
für alle gilt. Anders ausgedrückt erhalten wir zu jedem beliebigen Zeitpunkt einen konkreten Eigenwert zu der Matrix , die zu diesem Zeitpunkt vorliegt. Es handelt sich um eine Familie von Eigenwertgleichungen.
Wir wollen nun die zu untersuchende Funktion in die Differentialgleichung einsetzen. Für die Ableitung ergibt sich mittels Ketten- und Produktregel
Hierbei ist eine Funktion in mehreren Komponenten, für die wir die Ableitung komponentenweise bestimmen können. Die Einträge des Vektors sind konstant, hängen also nicht von ab.
Andererseits folgt aus der Eigenwertgleichung
Dabei konnten wir die Ausdrücke und vertauschen, weil letzterer für jedes nur ein Skalar ist.
Durch Vergleich der beiden Ergebnisse zeigt sich, dass nur eine Lösung der Differentialgleichung sein kann, wenn gilt. Welche Funktionen sind das genau?
Für das Gegenbeispiel muss man nun eine -Matrix , einen Vektor und eine nichtkonstante Funktion finden, sodass ein Eigenwert ist. Man kann ein möglichst einfaches Beispiel konstruieren, indem man etwa eine Diagonalmatrix wählt, weil dann das Differentialgleichungssystem in einzelne Differentialgleichungen zerfällt, die wir sogar alle gleich wählen können.
Es sei
eine (variable) -Matrix, deren Einträge stetige Funktionen
seien. Es sei ein (variabler, von differenzierbar abhängiger) Eigenvektor von zum konstanten Eigenwert . Zeige durch ein Beispiel, dass keine Lösung der linearen Differentialgleichung sein muss.
Es sei ein lineares Differentialgleichungssystem auf dem endlichdimensionalen reellen Vektorraum und eine bijektive lineare Abbildung. Zeige, dass die transformierte Differentialgleichung auf ebenfalls linear ist.
Löse mit einem Potenzreihenansatz das Anfangswertproblem
mit der Anfangsbedingung
bis zur fünften Ordnung.
- Aufgaben zum Abgeben
Aufgabe (6 Punkte)
a) Man schreibe ein Computerprogramm, das zu dem Vektorfeld aus Beispiel 41.3 zu einem Startzeitpunkt , einem Startpunkt und einer vorgegebenen Schrittweite die approximierenden Punkte berechnet.
b) Berechne mit diesem Programm die Punkte für
- , , , .
- , , , .
- , , , .
- , , , .
- , , , .
- , , , .
- , , , .
- , , , .
(Abzugeben ist lediglich Teil b), und zwar in einer leserfreundlichen Form.)
Aufgabe (5 (1+2+2) Punkte)
a) Übersetze das Anfangswertproblem zweiter Ordnung
in ein Differentialgleichungssystem erster Ordnung.
b) Bestimme mit dem Polygonzugverfahren zur Schrittweite die Näherungspunkte für dieses System.
c) Berechne den Wert des zugehörigen Streckenzuges an der Stelle .
Aufgabe (6 Punkte)
Aufgabe (4 Punkte)
Bestimme alle Lösungen des linearen Differentialgleichungssystems
Aufgabe (8 (2+2+4) Punkte)
Wir betrachten das lineare Differentialgleichungssystem
- Erstelle eine Differentialgleichung in einer Variablen, die die Funktion zu einer Lösung erfüllen muss.
- Finde eine Lösung für aus Teil (1).
- Finde eine nichttriviale Lösung des Differentialgleichungssystems.
Bemerkung: Im ersten und zweiten Teil wird untersucht, wie sich bei einer Lösung des Systems der Abstand zum Nullpunkt (bzw. dessen Quadrat) verhält. Es liegt nahe, sich für den dritten Teil zu überlegen, wie sich bei einer Lösung der Winkel zur -Achse verhält (Polarkoordinaten).
Aufgabe (4 Punkte)
Finde eine nichttriviale Lösung (für ) zum linearen Differentialgleichungssystem
mit Hilfe von Aufgabe 41.19.
Die für , , und ein definierte lineare Differentialgleichung
heißt Legendresche Differentialgleichung zum Parameter .
Aufgabe (5 Punkte)
Zeige, dass das -te Legendre-Polynom[1]
eine Lösung der Legendreschen Differentialgleichung zum Parameter ist.
- Fußnoten
- ↑ Hier bedeutet das hochgestellte die -te Ableitung.
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