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Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 23

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Komplexe

In der nächsten Vorlesung wollen wir die homologische Charakterisierung von regulären Ringen beweisen. Dazu geben wir hier eine Einführung in die homologische Algebra und insbesondere zu freien Auflösungen.


Es sei ein kommutativer Ring. Ein Kettenkomplex (oder einfach Komplex) ist eine Folge , , von - Moduln zusammen mit einer Folge von Modulhomomorphismen[1]

mit der Eigenschaft

für alle .

Dies bedeutet, dass an jeder Stelle

gilt.


Ein Kettenkomplex über einem kommutativen Ring heißt exakt an der Stelle , wenn

gilt. Er heißt exakt, wenn er an jeder Stelle exakt ist.

Dies bedeutet wiederum, dass an jeder Stelle

gilt.

In der Form von kurzen exakten Sequenzen haben wir dieses Konzept bereits kennengelernt.



Flache Moduln

Zu einer exakten Sequenz von - Moduln

und einem weiteren -Modul ist nach Proposition Anhang 5.4 auch die tensorierte Sequenz

exakt. Allerdings ist zu einer injektiven Abbildung (man denke beispielsweise an die Situation einer kurzen exakten Sequenz, bei der oben noch eine links steht) die tensorierte Abbildung

im Allgemeinen nicht injektiv. Wenn beispielsweise ein Nichtnullteiler ist, so ist die Multiplikationsabbildung

injektiv. Für den zu einem Ideal mit gehörenden Restklassenring

ist aber die tensorierte Abbildung

die Nullabbildung, da ja in ist. Diese ist nicht (mit der einzigen Ausnahme bei ) injektiv.


Es sei ein kommutativer Ring. Ein - Modul heißt flach, wenn die Tensorierung mit die Exaktheit von beliebigen Sequenzen erhält.

Ein freier Modul ist flach, siehe Aufgabe 23.1. Restklassenmoduln sind typischerweise nicht flach.



Es sei ein kommutativer Ring und ein multiplikatives System.

Dann ist der - Modul flach.

Beweis

Siehe Aufgabe 23.2.


Insbesondere ist eine Lokalisierung an einem Primideal und der Quotientenkörper zu einem Integritätsbereich flach.



Projektive Moduln

Es sei ein kommutativer Ring und ein - Modul. Der Modul heißt projektiv, wenn es zu jedem surjektiven - Modulhomomorphismus

und jedem Modulhomomorphismus

einen Modulhomomorphismus

mit

gibt.

Ähnlich wie flache Moduln werden projektive Moduln unter Bezug auf eine universelle Eigenschaft innerhalb der Kategorie aller Moduln definiert. Dies ist innerhalb der homologischen Algebra eine weitverbreitete Vorgehensweise. Eine unmittelbare Konsequenz der universellen Eigenschaft, die von projektiven Moduln gefordert wird, ergibt sich aus dem folgenden Spezialfall. Wir betrachten die Identität

(also ) und eine surjektive Abbildung

mit einem freien Modul . Für projektiv gibt es dann ein

mit . Dies bedeutet

und das heißt, dass ein projektiver Modul ein direkter Summand eines freien Moduls ist. Umgekehrt ist ein direkter Summand eines freien Moduls selbst projektiv, siehe Aufgabe 23.4.



Es sei ein kommutativer lokaler Ring und ein endlich erzeugter - Modul. Dann ist genau dann frei, wenn ein projektiver Modul ist.

Dass freie Moduln projektiv sind wurde in Lemma Anhang 17.2 bewiesen. Es sei also projektiv. Es sei ein minimales Erzeugendensystem von und sei

der zugehörige surjektive Modulhomomorphismus. Wegen der Minimalität ist

eine - lineare bijektive Abbildung. Wegen der Projektivität gibt es einen Modulhomomorphismus mit . Dann ist

mit und wobei wir mit identifizieren. Wir betrachten nun

und die induzierten -linearen Abbildungen

Hierbei ist sowohl die Abbildung links als auch die Gesamtabbildung bijektiv. Daher muss sein. Aus Lemma Anhang 7.1 folgt und somit ist frei.



Ein - Modul über einem kommutativen Ring heißt lokal frei, wenn für jedes Primideal von die Lokalisierung ein freier -Modul ist.



Es sei ein noetherscher kommutativer Ring und ein endlich erzeugter - Modul. Dann ist genau dann lokal frei, wenn ein projektiver Modul ist.

Die eine Richtung folgt direkt aus Lemma 23.6 unter Berücksichtigung von Aufgabe 23.8. Zum Beweis der Umkehrung sei ein surjektiver Modulhomomorphismus mit einem endlich erzeugten freien -Modul . Es ist zu zeigen, dass es einen Homomorphismus mit gibt. Dies ist insbesondere dann gesichert, wenn man zeigen kann, dass der natürliche Homomorphismus

surjektiv ist, da ja dann insbesondere die Identität getroffen wird. Nach Lemma Anhang 18.4 kann man die Surjektivität lokal testen. Für die Homomorphismenmoduln gilt unter den gegebenen Endlichkeitsvoraussetzungen

Die Surjektivität von

folgt aber für jedes Primideal aus der Freiheit von und Lemma Anhang 17.2.



Es sei eine zusammenhängende glatte Varietät über einem vollkommener Körper und es sei der affine Koordinatenring zu .

Dann ist der Modul der Kähler-Differentiale lokal frei von konstantem Rang und insbesondere ein projektiver Modul.



Wir betrachten die reelle Sphäre

mit dem affinen Koordinatenring

Der - Modul der Kählerdifferentiale ist nach Korollar 13.2 gleich

Eine direkte Überprüfung zeigt, dass die reelle Sphäre glatt ist. Nach Satz 21.7 ist somit lokal frei (von konstantem Rang ). Dies kann man auch direkt von der Darstellung her begründen, siehe Aufgabe 23.11. Dagegen ist nicht frei. Dies ist eine algebraische Version des Satzes vom Igel, dass man ihn nicht glattkämmen kann, also die Stacheln nicht wirbelfrei tangential an die Kugel anlegen kann.




Freie Auflösungen

Es sei ein kommutativer Ring und ein -Modul. Eine freie Auflösung ist ein (linksseitig unendlicher) exakter Komplex

wobei die freie endlich erzeugte -Moduln sind.

Die haben somit die Form mit . Die -Modulhomomorphismen

werden durch Matrizen beschrieben. Da surjektiv ist, muss endlich erzeugt sein, wenn es für ihn eine freie Auflösung gibt. Den Modul kann man aus der Auflösung , bei der man weglässt, als Kokern von rekonstruieren. Die Bedeutung von freien Auflösungen liegt darin, beliebig komplizierte und insbesondere hochgradig nichtfreie Moduln durch freie Moduln zu beschreiben.



Es sei ein noetherscher kommutativer Ring und ein endlich erzeugter -Modul.

Dann besitzt eine freie Auflösung mit endlich erzeugten freien Moduln.

Znächst gibt es einen surjektiven - Modulhomomorphismus

wobei die Standardvektoren auf ein (endliches) Erzeugendensystem von abgebildet werden. Somit hat man eine kurze exakte Sequenz

Nach Satz 10.4 (Algebraische Kurven (Osnabrück 2017-2018)) ist ein noetherscher Modul und somit ist ebenfalls endlich erzeugt. Man findet daher wieder eine Surjektion

und so kann man induktiv fortfahren.



Eine freie Auflösung

eines - Moduls heißt minimal, wenn in jedem Schritt die Abbildung

durch ein Erzeugendensystem von

von minimaler Anzahl gegeben ist.



Es sei ein lokaler noetherscher Ring, ein endlich erzeugter - Modul und

eine minimale freie Auflösung von .

Dann ist der Rang von gleich der - Dimension von mit .

Beweis

Siehe Aufgabe 23.12.



Es sei ein lokaler noetherscher Ring und ein endlich erzeugter - Modul.

Dann ist die minimale freie Auflösung von im folgenden Sinne eindeutig bestimmt: Wenn

und

minimale freie Auflösungen von sind, dann gibt es - Modulisomorphismen

derart, dass die Diagramme

kommutieren.

Wir konstruieren induktiv die , . Für betrachten wir die Situation

Wegen der Minimalität rühren beide Abbildungen von einem minimalen Modulerzeugendensystem der Länge von her, sagen wir

und

Es ist dann

Durch die Festlegung

erhält man dann einen -Modulhomomorphismus von nach , der mit den gegebenen Abbildungen kommutiert. Die Abbildung ist surjektiv, da andernfalls ein echter Untermodul von schon surjektiv auf abbildet würde, was der Minimalität von widerspricht (siehe Aufgabe 23.15). Dieser Isomorphismus führt somit auch die Kerne

und

ineinander über. Es sei nun vorausgesetzt, dass die Isomorphismen schon konstruiert sind und die Kerne ineinander überführen. Dann liegt die Situation

vor, wobei das Quadrat rechts kommutiert. Sowohl als auch rühren von einem minimalen Erzeugendensystem von bzw. her. Das im Wesentlichen gleiche Argument wie am Induktionsanfang zeigt, dass es einen Isomorphismus

gibt, der die Kerne ineinander überführt.



Endliche projektive Dimension

Es sei ein noetherscher lokaler Ring und ein endlich erzeugter - Modul. Man sagt, dass eine endliche projektive Dimension besitzt, wenn es eine freie Auflösung

mit für gibt. In diesem Fall nennt man das Minimum der mit für alle freie Auflösungen die projektive Dimension von .

Die projektive Dimension eines Moduls ist also das Maximum des Indexes, wo in jeder freien Auflösung ein Modul stehen muss. Ein endlich erzeugter freier Modul besitzt demnach die projektive Dimension , der Nullmodul die projektive Dimension . Zu einem Nichtnullteiler besitzt der Restklassenmodul die projektive Dimension , da eine freie Auflösung

vorliegt, und selbst nicht frei ist.


Es sei ein zweidimensionaler lokaler regulärer Ring mit dem maximalen Ideal . Dann ist

eine freie Auflösung des Restklassenkörpers . Dieser besitzt also die projektive Dimension . Die einzige Stelle, an der die Exaktheit nicht direkt klar ist, ist für . Es seien mit . Dies bedeutet und dies bedeutet in . Nach Lemma 21.4 ist dies ein regulärer Ring der Dimension und erzeugt darin das maximale Ideal. Wegen Satz 21.5 ist ein Integritätsbereich und somit ist dort . Dies heißt zurückübersetzt nach , dass ist. Da ein Nichtnullteiler in ist, folgt und somit ist




Es sei ein lokaler noetherscher Ring und ein endlich erzeugter - Modul mit einer endlichen projektiven Dimension.

Dann besitzen auch die direkten Summanden und eine endliche projektive Dimension, die höchstens so groß wie die von ist.

Wir führen Induktion über die projektive Dimension von . Wenn diese gleich ist, so bedeutet dies, dass frei ist. Doch dann sind und als direkte Summanden projektiv und somit nach Lemma 23.6 selbst frei. Es sei die Aussage nun für endliche projektive Dimension bewiesen und habe die projektive Dimension . Es sei

surjektiv und minimal. Dabei kann man annehmen, dass dies von surjektiven Abbildungen und mit herrührt. Dann ist der Kern davon von der Form und man kann darauf die Induktionsvoraussetzung anwenden.




Fußnoten
  1. Diese Indizierung wählen wir in Hinblick auf die freien Auflösungen weiter unten.


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Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)