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Kurs:Differentialgeometrie (Osnabrück 2023)/Vorlesung 27

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Vertikale Ableitung längs einer Abbildung

Es sei ein differenzierbares Vektorbündel über einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit , das mit einem linearen Zusammenhang versehen sei. Dies gibt Anlass zu einer vertikalen Ableitung, zu jedem Vektorfeld und jedem stetig differenzierbaren Schnitt

ist der stetige Schnitt in , der durch

gegeben ist. Auf einer offenen Menge mit und den partiellen Ableitungen und einer Trivialisierung

mit Basisschnitten wird eine solche vertikale Ableitung durch die Christoffelsymbole mit

wegen Lemma 25.10 vollständig beschrieben. Dieses Konzept möchte man nicht nur für Schnitte über , sondern auch für Schnitte

längs einer fixierten differenzierbaren Abbildung

zur Verfügung haben, wenn also ein kommutatives Diagramm

vorliegt. Diese Situation ist uns schon bei den horizontalen Schnitten begegnet. Man beachte, dass ein Schnitt

dasselbe ist wie ein Schnitt

im zurückgezogenen Vektorbündel . Zu einem Vektorfeld auf und einem solchen Schnitt kann man die entsprechende Hintreeinanderschaltung von Abbildungen

betrachten, die wir wieder mit bezeichnen. Den über diese vertikale Ableitung festgelegten Zusammenhang nennen wir den zurückgezogenen Zusammenhang . Er erfüllt die folgenden Eigenschaften.



Es sei ein differenzierbares Vektorbündel über einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit , das mit einem linearen Zusammenhang versehen sei. Es sei eine differenzierbare Abbildung mit dem zurückgezogenen Zusammenhang auf dem zurückgezogenen Vektorbündel über . Dann gelten folgende Eigenschaften.

  1. Die Abbildung

    ist - linear. Insbesondere ist ein linearer Zusammenhang.

  2. Für eine Einschränkung

    auf offene Kartengebiete mit Koordinaten von und Koordinaten von gilt für die Christoffelsymbole von und Basisschnitte die Beziehung

  1. Klar.
  2. Wir betrachten direkt die lokale Situation. Einen Basisschnitt längs kann man direkt als einen Basisschnitt über auffassen. Die relevanten Abbildungen sind

    Dabei ist

    Für ist somit unter Verwendung von Lemma 25.10

    Betrachten der -ten Komponente liefert



Es sei ein differenzierbares Vektorbündel über einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit , das mit einem metrischen linearen Zusammenhang versehen sei. Es sei eine differenzierbare Abbildung mit dem zurückgezogenen Zusammenhang auf dem zurückgezogenen Vektorbündel über .

Dann ist auch metrisch.

Zunächst ist nach Aufgabe 16.13 wieder ein riemannsches Bündel. Wir betrachten die lokale Situation

und und entsprechend . Die beschreibenden Funktionen

der riemannschen Struktur auf hängen auf und auf unmittelbar über zusammen. Es sei ein Standardvektorfeld auf und Basischnitte in . Es ist

Nach Lemma 27.1 ist

und entsprechend

Da metrisch ist folgt

und daraus folgt mit Aufgabe 26.10, dass metrisch ist.



Tangentiale Beschleunigung

Es sei eine Mannigfaltigkeit. Zu einer differenzierbaren Kurve

ist

eine Kurve im Tangentialbündel, die eine Liftung zu ist. Wenn diese wiederum differenzierbar ist, so erhält man eine Kurve

die man aber nicht mit in Bezug setzen kann, da sie in einem anderen Raum landet. Wenn hingegen auf ein Zusammenhang gegeben ist, so kann man über die (zurückgezogene) vertikale Ableitung die zweite Ableitung über definieren.


Es sei eine riemannsche Mannigfaltigkeit versehen mit dem Levi-Civita-Zusammenhang. Zu einer zweifach stetig differenzierbaren Kurve

nennt man die tangentiale Beschleunigung von .

Man schreibt dafür auch bzw. (als vertikale Ableitung längs ) , wobei

als Schnitt im Tangentialbündel längs des Weges aufgefasst und die Abbildungskette

betrachtet wird.



Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei. Es sei

eine zweifach stetig differenzierbare Kurve.

Dann stimmt die tangentiale Beschleunigung von im Sinne von Definition 1.7 mit der tangentialen Beschleunigung im Sinne von Definition 27.3 überein.

Nach Lemma 26.15 (was auch höherdimensional stimmt) stimmen die Zusammenhänge überein.



Geodätische Kurven

Es sei eine riemannsche Mannigfaltigkeit versehen mit dem Levi-Civita-Zusammenhang. Man nennt eine zweifach differenzierbare Kurve

eine geodätische Kurve (oder Geodätische), wenn

auf ist.

Manchmal sagt man auch Geodäte. Wir betonen, dass eine geodätische Kurve eine Kurve ist, es also nicht nur um das Bild der Kurve geht, sondern um den Bewegungsvorgang.



Es sei offen, eine stetig differenzierbare Funktion und die Faser zu , wobei in jedem Punkt von regulär sei.

Dann stimmen die Geodätischen in im Sinne von Definition 1.8 mit den Geodätischen im Sinne von Definition 27.5 überein.

Dies folgt aus Lemma 27.4.



Es sei eine geodätische Kurve auf einer riemannschen Mannigfaltigkeit versehen mit dem Levi-Civita-Zusammenhang.

Dann ist konstant auf .

Auf einem offenen Kartengebiet ist unter Verwendung von Satz 26.14  (2) und Lemma 27.2

also ist konstant.



Eine zweifach differenzierbare Kurve auf einer riemannschen Mannigfaltigkeit ist

genau dann eine geodätische Kurve (bezüglich des Levi-Civita-Zusammenhangs), wenn sie auf jeder Karte das gewöhnliche Differentialgleichungssystem zweiter Ordnung

(für alle ) erfüllt.

Es sei die Dimension von . Wir betrachten die Situation direkt auf einem offenen Kartenbild . Die vertikale Ableitung ist gemäß Bemerkung 25.8 durch

gegeben, wobei man die Abbildung nach erhält, wenn man die mittlere Komponente weglässt. Die zweite Ableitung der Kurve ist zunächst die zweite Tangentialabbildung, es ist (wobei wir die Multiplikation mit der eindimensionalen Richtung des Tangentialraumes der Kurve ignorieren)

und entsprechend

(es werden beide Komponenten der Tangentialabbildung abgeleitet). Mit wird dies unter der vertikalen Projektion auf

abgebildet. Die Bedingung an eine Geodätische, dass die zweite Ableitung (in ) stets horizontal ist, ist äquivalent dazu, dass die berechnete vertikale Projektion gleich ist. Dies bedeutet, dass die einzelnen Komponenten gleich sind und dies bedeutet

für .


In der Situation von Satz 27.8 nennt man das Differentialgleichungssystem

mit , das lokal die Geodätischen charakterisiert, die geodätische Differentialgleichung. Es handelt sich um ein gewöhnliches Differentialgleichungssystem zweiter Ordnung mit Gleichungen. Das System ist nicht linear und ist im Allgemeinen schwierig zu lösen.



Wir knüpfen an Beispiel 26.7 an. Nach Satz 27.8 muss eine Geodätische die beiden Bedingungen

und

erfüllen. Für konstant wird dieses System zu

mit der Komponentenlösung

und der Gesamtlösung

die auf einer vertikalen Geraden verläuft. Darüber hinaus sind nach Aufgabe 27.13

zu , Lösungen, die sich nach Aufgabe 20.50 (Analysis (Osnabrück 2021-2023))  (3) auf den Halbkreisen mit Mittelpunkt und Radius bewegen.


Das sogenannte Parallelenaxiom (oder Parallelenpostulat) der ebenen euklidischen Geometrie besagt, dass es zu einer jeden Geraden und jedem Punkt, der nicht auf dieser Geraden liegt, genau eine parallele Gerade durch diesen Punkt gibt. Eine parallele Gerade ist durch die Eigenschaft bestimmt, dass sie die vorgegebene Gerade nicht schneidet. Eine Frage von historischem Belang war, ob man das Parallelenpostulat aus den anderen Axiomen und Postulaten von Euklid ableiten kann und ob dieses daher unnötig ist. Diese Frage wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts negativ beantwortet, indem geometrische Modelle (die insbesondere ein Konzept von Punkt und Gerade beinhalten) angegeben wurden, die die übrigen Axiome der euklidischen Geometrie erfüllen, aber nicht das Parallelenaxiom. Im Rahmen der riemannschen Geometrie und insbesondere mit dem Konzept einer Geodätischen ergeben sich zwanglos solche Modelle, wenn man die Geodätischen (hier ist das Bild einer geodätischen Kurve gemeint) als Geraden ansieht. Man beachte, dass im axiomatischen Aufbau einer Geometrie eine Gerade nicht durch die Anschauung, sondern durch die ihr in Verbindung mit weiteren Objekten zukommenden Eigenschaften festgelegt ist. Beispielsweise liefert Beispiel 27.10 mit den dort beschriebenen Geodätischen ein Modell für eine nichteuklidische Geometrie, es gibt zu einer vorgegebenen Geodätischen und einem weiteren Punkt stets unendlich viele Geodätische durch diesen Punkt, die schnittpunktfrei zur vorgegebenen sind.


Es sei eine zusammenhängende riemannsche Mannigfaltigkeit. Zu Punkten definiert man

und nennt dies die riemannsche Metrik auf .

Durch diese Metrik wird in der Tat zu einem metrischen Raum, dessen Topologie mit der vorgegebenen Topologie übereinstimmt. Ferner kann gezeigt werden, dass eine bogenparametrisierte Realisierung des Abstandes zwischen zwei Punkten eine Geodätische ist.


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